Donnerstag, 25. April 2024

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Aids-Forschung
Manuskript: Traum von der Heilung

Aids ist nicht heilbar. Doch der Traum von der Heilung hat durch den Fall Brown neue Nahrung bekommen. Die Hindernisse, die die Forscher bei ihrer „Mission Heilung“ aus dem Weg räumen müssen, sind gewaltig, doch als aussichtslos gilt sie nicht mehr.

20.07.2014
    Eine mit dem HIV-Virus infizierte Frau nimmt am Freitag (11.05.2007) in einem Flüchtlingslager in der Nähe von Gulu in Uganda ihre Medizin ein.
    Medikamente, wie sie hier eine ugandische Frau nimmt, unterdrücken das HI-Virus nur. (picture-alliance/ dpa - Frank May)
    Michael: "Es hat sich eigentlich der Boden aufgetan. Ich hab da gesessen, hab geweint, und ich habe so viele Gedanken gehabt, die ich gar nicht sortieren konnte: Was mache jetzt? Wie geht es weiter? Muss ich jetzt sterben?"
    Sharon Lewin: "Heilung, das war lange Zeit ein 'schmutziges' Wort. Eines, das niemand in den Mund nehmen wollte, weil die meisten sagten: Aids heilen? Das ist unmöglich."
    Françoise Barré-Sinoussi: "Fragen Sie doch die Leute, die mit HIV leben. Wenn ich sage: Ihr seid in medizinischer Behandlung. Es geht Euch gut. Ihr habt eine Lebenserwartung, die in etwa so ist wie die von den Nichtinfizierten – und sie dann frage: Was erwartet Ihr von uns, den Forschern? Die große Mehrzahl - mehr als 90 Prozent sagen: Entwickelt eine Therapie, die es uns möglich macht, mit der Behandlung aufzuhören."
    Michael: "Ich habe gemerkt, dass ich Durchfall hatte, über mehrere Wochen hin."
    1991. Michael ist Mitte 30.
    "Und dann hab ich mir auch schon Gedanken gemacht, weil ich schon so abgemagert hatte."
    Michael lässt bei seiner Hausärztin einen Aids-Test machen.
    "Die hat mich dann reingeholt mit meinem Partner zusammen. Sagt sie: 'Ich muss Dir leider sagen, dass es positiv ausgefallen ist, und es tut mir so unendlich leid für Dich.'"
    Aids ist nicht heilbar. Da waren sich Mediziner und Forscher sicher. Wer sich einmal mit HIV angesteckt hat, der wird das Virus nicht mehr los. Doch dann gab es den "Berliner Patienten", erinnert sich Gerd Fätkenheuer von der Universitätsklinik Köln.
    "Man spricht sehr viel über Heilung heute.
    Heilung nach Knochenmarktransplantation
    Der "Berliner Patient", er ist US-Amerikaner. Timothy Ray Brown lebte in Berlin, als er an Blutkrebs erkrankte. Seine einzige Überlebenschance: eine Knochenmarktransplantation. Die Mediziner an der Berliner Charité suchten einen passenden Spender, und da Timothy Ray Brown HIV-positiv war, achteten sie zusätzlich noch auf eine genetische Besonderheit. Etwa einer von 100 Menschen – statistisch gesehen – besitzt eine Genvariante, die Schutz vor dem Aids-Virus vermittelt. Auf der Oberfläche ihrer Körperzellen fehlt eine Art Andockstutzen, die das Virus braucht, um in die Zelle hineinzukommen und sie zu infizieren. Die Überlegung der Berliner Ärzte, so Gerd Fätkenheuer:
    "Wenn wir dem schon Knochenmark geben müssen von anderen, dann gucken wir doch einmal, ob wir jemanden finden, der zufälligerweise vielleicht diese genetische Variante hat. So einen Spender haben sie gefunden und haben dieses Knochenmark dem Patienten eingesetzt, und das hat tatsächlich funktioniert. Das hätte man vorher nicht geglaubt, wirklich, dass das funktioniert."
    Seit 2008 ist das HI-Virus bei Timothy Ray Brown nicht mehr nachweisbar. Ein Nebeneffekt einer geglückten Krebsbehandlung. Menschen mit HIV, die ansonsten gesund sind, würde man so zwar nicht behandeln.
    "Das würde man auf keinen Fall machen, weil diese Knochenmarktransplantation eine der schwierigsten und komplikationsreichsten Maßnahmen ist, die wir überhaupt in der Medizin kennen. Das hat ja auch eine Sterblichkeit normalerweise von zehn bis 20 Prozent so eine Knochenmarktransplantation. Das Risiko, dass jemand an der Maßnahme sterben würde, wäre unvertretbar hoch."
    Dennoch: Zum ersten Mal wurde ein Mensch von HIV geheilt. Und es stellt sich die Frage: Warum hat Timothy Ray Brown das Virus besiegt? Was genau spielte sich in seinem Körper ab nach der Transplantation?
    In Boston am Brigham and Women's Hospital und der Harvard Medical School arbeitet und forscht Timothy Henrich. Als bei zwei seiner HIV-Patienten Blutkrebs diagnostiziert wurde, behandelte er sie wie den "Berliner Patienten". Allerdings musste er mit Spenderzellen ohne HIV-Schutz auskommen.
    "Der Berliner Patient hat bei der Knochenmarktransplantation eine Infusion bekommen mit Blutstammzellen, die von Natur aus resistent sind gegen HIV. Bei den Zellen, die unsere Patienten bekommen haben, ist das anders gewesen. Sie sind in vollem Umfang empfänglich für HIV."
    Aus den Blutstammzellen bauten die Bostoner Patienten ein neues Immunsystem auf. Die neuen Immunzellen sollten die verbliebenen Blutzellen des Empfängers angreifen.
    Henrich: "Das ist eine gute Sache. Denn das neue Immunsystem räumt die verbliebenen Krebszellen ab. Bei Menschen mit Blutkrebs kann es passieren, dass einige wenige Krebszellen die Chemotherapie überleben. Und die neuen Immunzellen bekämpfen genau diese Zellen. Unsere Hoffnung war, dass die Spenderzellen auch Immunzellen bekämpfen, die mit dem Aids-Virus infiziert sind. Nicht weil die Zellen infiziert sind, sondern weil sie für die Spenderzellen fremdartig aussehen. Bildlich gesprochen: Das neue Immunsystem frisst das alte auf. Das alte Immunsystem beherbergt HIV und mit dem alten Immunsystem verschwindet das Virus. Zumindest sinkt die Zahl der Viren."
    Neues Immunsystem reicht nicht aus
    Das neue Immunsystem beseitigt infizierte Immunzellen – und damit die wichtigsten Verstecke des Virus. Dieser Effekt, glaubten einige Forscher, könnte bei dem "Berliner Patienten" der entscheidende Faktor gewesen sein. Aber ist er der einzige? Reicht es aus, ein neues Immunsystem aufzubauen, das dann das HI-Virus aus eigener Kraft kontrolliert? Timothy Henrich probierte es aus. Er bat seine beiden Patienten die Virus-Medikamente abzusetzen. Im Frühjahr 2014 musste er eingestehen: Der Versuch war fehlgeschlagen.
    "Leider haben beide Patienten einen Rückfall erlitten. Das HI-Virus ist zurückgekommen. Die Krankheitszeichen ähnelten denen einer heftigen akuten Infektion. Seitdem nehmen beide Patienten wieder ihre Kombinationstherapie. In ihrem Blut ist das Virus inzwischen nicht mehr nachweisbar, und es geht ihnen gut. Aber wir waren wirklich verblüfft darüber, wie schnell das Aids-Virus nach der kurzen Therapie-Unterbrechung wieder da war."
    Nach der Diagnose meldet sich Michael krank. Er zieht sich zurück, schläft viel.
    "Und immer morgens aufgestanden, Gesicht gewaschen, und dann im Kopf: Du hast es. Wieso Du, habe ich mich erst einmal gefragt. Und ich habe dann versucht, eigentlich gar nicht darüber nachzudenken, von wem ich das habe, sondern dass ich das habe. Da habe ich aber lange dran geknabbert. Erst einmal. Ich habe auch keinem was erzählt, meiner Familie nicht, gar keinem. Es wurde überhaupt nicht publik gemacht."
    "Wir würden lieber heilen"
    Für die "Mission Heilung" gibt es viele gute Gründe meint Kevin de Cock.
    "Yes, it makes sense on a number of levels."
    De Cock leitet eine Zweigstelle der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde, der Centers for Disease Control, im kenianischen Nairobi.
    "Zum einen, und das ist selbstverständlich: Wir würden HIV – wie andere Infektionskrankheiten auch – lieber heilen, anstatt Infizierte lebenslang mit Medikamenten zu behandeln."
    Immer mehr Menschen weltweit aber benötigen eine HIV-Therapie – oft Jahre, nachdem sie sich angesteckt haben.
    De Cock: "Die Ansteckung mit HIV läuft ab wie bei einer akuten Infektion. Das Virus verursacht aber eine chronische Erkrankung. Wenn es also mit der Vorbeugung nicht klappt, hat man mit den lebenslangen Folgen zu kämpfen."
    Das grundsätzliche Problem, so Kevin de Cock: Die heutigen Möglichkeiten, sich vor dem Virus zu schützen, reichen nicht aus, der Aids-Epidemie ein Ende zu setzen. Der Grund: Jedes einzelne Präventions-Mittel für sich hat Unzulänglichkeiten.
    "Condoms clearly work."
    Kondome zum Beispiel. Sie schützen. Vorausgesetzt, sie werden richtig benutzt. Und immer dann, wenn es nötig ist.
    "Menschen neigen dazu, Kondome nicht richtig und regelmäßig zu benutzen – besonders dann, wenn sie in einer stabilen Partnerschaft leben. Es ist sehr schwierig, Menschen dazu zu bewegen, auch in einer Langzeitbeziehung Kondome zu benutzen."
    Männer können sich zum Schutz vor einer Ansteckung mit HIV beschneiden lassen. Große Studien haben gezeigt: Die operative Entfernung der Vorhaut senkt das Ansteckungsrisiko immerhin um etwa 60 Prozent. Es schützt insbesondere Männer, die Sex mit Frauen haben. Wie groß die Schutzwirkung für homosexuelle Männer ist, ist noch unklar.
    "Die Beschneidung ist eine bemerkenswerte Maßnahme. Es ist ein einmaliger Eingriff - der Nutzen aber besteht fort für den Rest des Lebens. Meiner Meinung nach sollte sehr viel aggressiver für die Beschneidung geworben werden, zumindest in den Ländern der Welt, in denen HIV vor allem auf heterosexuellem Wege übertragen wird."
    Auch die Medikamente zeigen Wirkung. Sie senken die Zahl der Viren im Blut, in der Samen- und der Scheidenflüssigkeit - die Menschen sind also deutlich weniger ansteckend. In den letzten Jahren haben mehr und mehr Menschen mit HIV Zugang zur Therapie. Der Effekt ist messbar: 2012 hat die Zahl der Neuansteckungen erstmals leicht abgenommen.
    "Die Behandlung rettet Leben, sie verhindert den Ausbruch der Immunschwächekrankheit. Weltweit leben etwa 33 Millionen Menschen mit HIV. Jedes Jahr sterben aber immer noch an die zwei Millionen Menschen. Es sind vermeidbare Todesfälle. Die Menschen früher zu behandeln, damit sie nicht sterben müssen, das muss absolute Priorität haben. Die Prävention von Neuansteckungen ist ein Nebenaspekt."
    Michael: "Ich wurde immer dünner. Und ich wurde krank. Bekam Fieber. Schüttelfrost."
    1995, vier Jahre nach der Diagnose, bricht bei Michael die Immunschwächekrankheit Aids aus.
    "Ich war abgemagert auf 56 Kilo, meine Beziehung war kaputt, meine Seele war kaputt. Ich habe gearbeitet. Ich ging in die Küche, ich nahm mir einen Kaffee, schmeckte nicht, machte die Tür zu, und dann wachte ich im Krankenhaus wieder auf. Habe ich nur gedacht: 'Nee, ne. Geht gar nicht. Was mache ich denn jetzt?'"
    Im Krankenhaus versuchen die Ärzte, das HI-Virus unter Kontrolle zu bekommen. Sie geben ihm die neuesten Anti-Virus-Präparate. Außerdem Mittel zum Schutz vor lebensbedrohlichen Pilzinfektionen der Lunge.
    "Von 1995 bis Mitte 1997 habe ich jeden Monat 1450 Medikamente nehmen müssen. Das heißt: Morgens, mittags, abends, nachts. Und alles zu einer pünktlichen Zeit. Ich bekam diese HIV-Blocker, ich bekam Medikamente für Krankheiten, die ich noch nicht hatte, damit ich abgeschirmt war."
    Die Medikamente wirken. Aber sie haben auch unerwünschte Effekte.
    "Wenn Du geduscht hast, dann prasselte das wie Nägel auf die Haut, wenn Du Dich gekratzt hast, war das tagelang rot. Du hast das Gefühl gehabt, dass Du alles wie durch einen Tunnel siehst, das war ganz schrill – wie Fernsehgucken – auf so einem kleinen Fernseher."
    Medikamentenentwicklung stößt an Grenzen
    Die Aids-Medikamente von heute sind gut. Mit ihnen lässt sich das Virus unter Kontrolle halten - für viele Jahre. Die Medikamentenentwicklung ist inzwischen aber auch an ihre Grenzen gestoßen.
    "Wir können sie nicht noch wirksamer machen. Wir können sie vielleicht noch besser verträglich machen, aber auch das ist schon sehr gut. Da ist man im Prinzip schon sehr, sehr weit."
    Gerd Fätkenheuer ist ein erfahrener HIV-Behandler. Er erinnert sich noch an die Zeit, als er 1987 an der Universitätsklinik angefangen hat.
    "Die Patienten sind alle gestorben. Fast alle gestorben."
    Im Herbst 1985 dann der Durchbruch: Die Entwicklung eines so genannten Proteasehemmers macht es möglich, virushemmende Wirkstoffe miteinander zu kombinieren. Die Bausteine dieser Kombinationstherapie blockieren jeweils unterschiedliche Schritte der Virusvermehrung.
    "Patienten, die ich Ende 1995 gesehen habe, die neu kamen mit schwersten Infektionen, die haben sofort dieses Medikament bekommen, und die habe ich heute alle noch in meiner Ambulanz, fast alle dieser Patienten leben noch seither, und vorher, da sind sie alle gestorben."
    Heute ist es möglich, alle wichtigen Schritte im Lebenszyklus des HI-Virus medikamentös zu hemmen. Einige Wirkstoffe sind üblicher Bestandteil einer Kombinationstherapie, andere kommen eher selten zum Einsatz – als Ausweichmittel. Mediziner haben die Wahl, wenn sie für Patienten eine wirksame Medikamenten-Kombination zusammenstellen.
    "Die genaue Zahl weiß ich nicht, aber das sind über 20, irgendwas 25 bis 30, in der Größenordnung."
    Medikamente müssen regelmäßig eingenommen werden
    Die Medikamente sind wirksamer, sie sind besser verträglich. Aber sie müssen jeden Tag eingenommen werden, damit das Virus keinen weiteren Schaden im Körper anrichtet.
    "Und das zeigt eben auch, dass die Medikamente – so wirksam sie sind – das Virus sehr gut unterdrücken können, aber sie können es nicht vollständig aus dem Körper beseitigen."
    Michael: "Das ist meine Medikamentendose. Die ist in vier Gruppen aufgeteilt: Morgens, abends, morgens, abends."
    Zwei Mal am Tag noch muss Michael daran denken, seine HIV-Medikamente einzunehmen. Mit den Jahren hat die Zahl der Tabletten deutlich abgenommen.
    "Also, dann habe ich eine pinkfarbene, das ist die Telzir. Dann habe ich eine weiße, das ist die Norvir. Dann habe ich noch eine weiße, das ist die Viramune. Das ist die Kombination für das HIV-Virus. Eins, zwei, drei. Jetzt hat sich der Bluthochdruck dazu gesellt, das heißt: drei, vier, fünf, sechs. Magentablette. Sieben. Sieben morgen. Sechs abends nur noch. Nur noch ist auch gut. Sind auch noch 400 im Monat, mehr oder weniger."
    Das Aids-Virus besitzt eine fatale Eigenschaft: Es schwächt genau die Instanz im Körper, die Krankheitserreger unschädlich macht – das Immunsystem. Der "Berliner Patient" hat gezeigt: Ein Weg, HIV zu besiegen, führt über dieses Abwehrsystem. Davon ist auch Pablo Tebas von der Universität von Pennsylvania überzeugt. Sein Ansatz: Einen Teil der Immunzellen immun machen gegen HIV. Er entnahm zwölf Patienten Blut und sammelte daraus so genannte T-Helfer-Zellen. Diese veränderte er genetisch so, dass den Zellen auf ihrer Oberfläche die Struktur fehlt, die das Virus braucht, um in die Zelle hineinzukommen. Bildlich gesprochen: Die Klinke an der Tür zur Zelle wurde abgeschraubt. Mit Hilfe eines Enzyms, einer speziell entwickelten Zinkfinger-Nuklease.
    "Das Enzym sucht die von Ihnen ausgewählte Stelle im Erbgut und bindet daran. Und dann schneidet es das Erbmolekül genau an dieser Stelle kaputt. Die Zelle mag das natürlich nicht, sie repariert den Schaden. Aber sie macht das nicht perfekt. Die Folge: Das Gen ist lahm gelegt."
    Pablo Tebas vermehrte die genetisch veränderten Zellen im Labor und gab den Patienten 30 Milliarden dieser Zellen per Infusion wieder zurück. Im Körper vermehrten sie sich weiter. Aber waren die manipulierten Zellen wirklich unangreifbar für HIV? Solange Patienten Medikamente nehmen, sind keine Aids-Viren im Blut messbar.
    Tebas: "Wir haben daher bei sechs Patienten die HIV-Medikamente abgesetzt. Für zwölf Wochen. Und wir haben uns angeschaut, wie es den veränderten Zellen in den zwölf Wochen ergangen ist."
    Tatsächlich hatten die veränderten Immunzellen alle überlebt. Damit ist gezeigt: Ein wichtiger Teil des Immunsystems kann immun gemacht werden gegen HIV.
    Michael: "Ich nehme die Medikamente. Die sind ein Teil meines Lebens."
    Auch nach zwanzig Jahren wirken die Medikamente bei Michael gut. In seinem Blut sind keine Viren nachweisbar.
    "Ich geh natürlich immer regelmäßig zu meinen Kontrollen, alle drei Monate Blut abnehmen. Ich muss mehr trinken, ich trinke zu wenig, mein Doktor ist da sehr streng."
    Mississippi-Baby bekam doch Aids
    Die Aids-Forschung muss immer mit Rückschlägen rechnen: Vor drei Jahren, erinnert sich die Kinderärztin Hannah Gay, wurde ein Neugeborenes in die Klinik der University of Mississippi eingeliefert. Der Verdacht: Das Baby könnte sich im Mutterleib mit dem Aids-Virus angesteckt haben.
    "The Baby was born turned out to have infection probably in utero and we had started early treatment."
    Hannah Gay entschied, dem Baby HIV-Medikamente zu geben. Sofort, ohne das Ergebnis des Aids-Tests abzuwarten. Damals ein eher unübliches Verfahren. Das infizierte Mädchen entwickelte sich gut. Die Mutter brachte es regelmäßig zu den Kontroll-Untersuchungen.
    "Dann gingen uns Mutter und Baby für einige Monate verloren. Als wir die Mutter endlich fanden, erzählte sie uns, sie habe, als das Kind 18 Monate alt war, aufgehört, ihm die HIV-Medikamente zu geben. Wir dachten: Bestimmt hat sich das Aids-Virus stark vermehrt. Zu unserer Überraschung fanden wir aber kein Virus im Blut. Kein einziger der üblichen Tests schlug an. Wir waren verwirrt. Wir haben dann Forschungslabors gebeten, hoch-empfindliche Spezial-Tests zu machen."
    Die empfindlichen Tests spürten zwar Erbmaterial des Virus auf, aber keine vermehrungsfähigen Viren. War das "Mississippi Baby" geheilt? Hannah Gay blieb vorsichtig
    "Irgendwo im Körper könnte ja ein Virus schlummern, das eines Tages aktiv wird und sich vermehrt."
    Und tatsächlich, im Juli 2014 zerschlägt sich die Hoffnung. Nach zwei Jahren ohne Aids-Medikamente weisen die Ärzte bei dem Mädchen doch HI-Viren nach. Die Infektion ist erneut aufgeflammt.
    Geht eine schwangere Infizierte rechtzeitig vor der Niederkunft zum Arzt, bekommt sie Medikamente. Das Kind kommt per Kaiserschnitt zur Welt. Maßnahmen, die dafür sorgen, dass das Baby sich nicht mit HIV ansteckt. HIV-positive Neugeborene sind rare Ausnahmen. Daher hat Deborah Persaud von der Kinderklinik der Johns Hopkins University in Baltimore eine internationale Studie aufgelegt. Mit Zentren in den USA, Brasilien und Südafrika. Persaud hofft so, die Fragen klären zu können, die der Fall des Mississippi Babys aufwirft.
    "Wie groß ist das Zeitfenster? Wie früh müssen wir, wie spät können wir noch behandeln, um wirklich eine Remission oder sogar eine Heilung zu erreichen? Und wann können wir gefahrlos die Medikamente absetzen bei den Kindern?"
    Michael: "Sicherlich gibt es immer noch Nebenwirkungen, die auch noch da sind, die ich nicht bemerke, mein Umfeld kriegt die mit, dass man noch mehr hyperaktiv ist. Man ist nervöser, aber dann nur für ein, zwei Stunden, dann legt sich das auch wieder. Also die Nebenwirkungen sind eigentlich immer da, nur ich habe ganz früh angefangen, die auszublenden. Die Veränderungen am Körper, die Fettumverteilung: dünne Beine, dicker Bauch – das ist dann halt so."
    Vollständige Heilung wird schwierig zu erreichen sein
    Gibt es einen Weg zu verhindern, dass sich das Aids-Virus festsetzt im Körper: In den Zellen des Immunsystems, des Gehirns, in den Lymphknoten des Darms. Die Mehrzahl der Infizierten sind erwachsene Menschen. Kommt es darauf an, nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene möglichst früh zu therapieren? In Frankreich ist es gelungen, einige Patienten bereits Tage nach der Ansteckung zu behandeln, erzählt die Entdeckerin des Aids-Virus und Nobelpreisträgerin Françoise Barré-Sinoussi vom Pariser Institut Pasteur.
    "Wenn wir die Medikamente sehr früh geben, hat das ganz klar einen Effekt. Wir haben aber auch gesehen: Es macht bereits einen Unterschied, ob Sie schon am Tag 7 oder erst am Tag 10 die Medikamente geben. Wenn Patienten in den ersten sieben Tagen der Infektion behandelt werden, ist das Virus-Reservoir im Körper deutlich kleiner."
    Die größte Herausforderung auf dem Weg zu einer Heilung von Aids ist: Wie ist es möglich, an die Viren heranzukommen, die in Zellen ruhen und dort unangreifbar sind für heutige Medikamente? Ideen, wie es klappen könnte, gebe es viele, sagt Sharon Lewin, sie leitet die Infektiologie am Alfred Hospital und der Monash University im australischen Melbourne. Hoch im Kurs stehe zur Zeit die "shock-and-kill"-Strategie: zuerst das Virus aufschrecken und dann die infizierte Zelle töten.
    "Es gibt eine ganze Reihe von Wirkstoffen, von denen wir annehmen, dass sie das Virus aufwecken können. Die meisten von ihnen sind bislang nur im Labor getestet worden, einige wenige erst sind in klinischer Testung. Es gibt ein Problem: Die Wirkstoffe, die wir heute nutzen, die schalten nicht nur Virusgene an – sie aktivieren auch andere Gene der Zelle. Und das wollen wir nicht. Bei der shock-and-kill-Strategie stehen wir also noch ziemlich am Anfang. Was sie so attraktiv macht, ist dass sie letztendlich relativ billig sein könnte und dass sie sich für Patienten eignet, die schon länger infiziert sind."
    Unklar ist, ob die virus-weckenden Wirkstoffe alleine überhaupt wirksam wären. Vielleicht müssten sie kombiniert werden. Etwa mit Wirkstoffen, die das Immunsystem anregen oder Immunzellen vor Erschöpfung bewahren. Auch zu solchen Substanzen haben Tests an Menschen gerade erst begonnen. Erfolgversprechend, so Françoise Barré-Sinoussi, könnte auch die Kombination mit einem Produkt aus der Impfstoffforschung sein: Abwehrmoleküle gegen das HI-Virus – so genannte breit neutralisierende Antikörper.
    "Diese Antikörper heften sich an das Virus, sobald es die Zelle verlässt. Und verhindern so, dass das Virus andere Zellen infizieren kann. Die Antikörper sind sehr wirksam. Einige Arbeitsgruppen haben vielversprechende Ergebnisse vorgelegt – sie stammen nicht von Studien an Menschen sondern aus Tierversuchen."
    Michael: "Viel erlebt in der Zeit, viele Leute verloren, viele Freunde gewonnen, viele gute Erfahrungen gemacht, mehr gute Erfahrungen als schlechte Erfahrungen. Ich lebe gut. Und mir geht es auch gut."
    Seit über 20 Jahren lebt Michael mit dem HI-Virus. Er nennt sich selbst einen "gesunden Kranken".
    "Ich habe meine Mitte gefunden, in dem ganzen Chaos meines Lebens, mit dem ganzen Virus, mit den ganzen Untersuchungen, mit den ganzen Medikamenten, und wieder ein Rückschlag. Aber prinzipiell ist es, dass ich sage: 'So, eigentlich bin ich jetzt bei mir angekommen. Ich weiß, wer ich bin, ich weiß, was ich will.' Und das ist dann gut so."
    Françoise Barré-Sinoussi: "Es geht voran. Schritt für Schritt. Das Puzzle beginnt sich zu füllen mit Teilen, die zusammen passen. Aber es ist längst noch nicht fertig. Da wartet noch viel Arbeit."
    Ob die "Mission Heilung" gelingen wird? Eine vollständige Heilung zu erreichen, meint Nobelpreisträgerin Françoise Barré-Sinoussi, wird schwierig sein.
    "Wenn es aber um die Entwicklung einer Behandlung geht, die Patienten eine gewisse Zeit einnehmen, dann die Medikamente absetzen und das Virus aus eigener Kraft unter Kontrolle halten – daran glaube ich fest."
    Sharon Lewin: "Das Komplizierte bei der Sache ist, dass wir es von verschiedensten Seiten aus probieren müssen: Wir müssen das Virus attackieren, das Immunsystem auf Trab bringen, Zellen immun gegen HIV machen. Am Ende könnte sich herausstellen: Wir müssen die Ansätze miteinander kombinieren. Eine Strategie allein, das könnte zu wenig sein."
    Der Laboraufwand für eine maßgeschneiderte Therapie könnte groß sein, die Kosten immens – und damit unerreichbar für Patienten in armen Ländern. Sharon Lewin von der Monash University in Melbourne kennt das Argument.
    "Dasselbe haben wir bei den Aids-Medikamenten gesagt: Sehr teuer, nichts für Entwicklungsländer. Aber der Druck der Aids-Aktivisten, das Engagement von Pharmafirmen, Stiftungen und Spendern zeigen Erfolg: Elf Millionen Menschen mit HIV in armen Ländern bekommen heute Medikamente. Nur weil es teuer ist, deshalb sollten wir nicht aufgeben. Wir müssen die richtige Strategie finden und dann hart dran arbeiten, dass es billig wird und damit erreichbar für die Menschen, die es brauchen."
    Michael: "Ne Heilung? Ob ich das dann in meinen Kopf kriege, dass ich geheilt wäre, nach 20 Jahren? Keine Ahnung. Damit muss ich mich dann erst einmal auseinandersetzen. Wenn man sagt: 'So, Du kriegst jetzt eine Tablette, die nimmst Du jetzt drei Wochen, und dann bist Du von dem Positiven befreit.' Dann würde wahrscheinlich immer noch im Hinterkopf sein: Du musst vorsichtig sein, Du musst vorsichtig sein."