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Aids in Deutschland - aus dem Blickfeld geraten?

"Leben und leben lassen" - so lautet das Motto des heutigen Welt-Aids-Tags. Wenn in jüngster Zeit von Aids die Rede ist, steht meistens die Situation in Schwarzafrika oder in Fernost im Zentrum, denn dort hat sich Aids mittlerweile zur nationalen Katastrophe entwickelt. Weltweit sind allein im Jahr 2002 über drei Millionen Menschen durch Aids gestorben, fünf Millionen Menschen haben sich neu mit dem HI-Virus infiziert. Die Zahl der weltweit infizierten Menschen wird mittlerweile auf 42 Millionen geschätzt. In den Zentren der Epidemie sind große Teile der arbeitsfähigen Generationen betroffen, in Sambia allein sind doppelt so viele Lehrer durch Aids gestorben, wie ausgebildet werden können. Aber auch in Deutschland leben aktuell knapp 40.000 Menschen mit dem HI-Virus. Ein Viertel davon sind Frauen. Die Zahl der Neuinfektionen ist mit 2000 im Jahr in etwa konstant, ein Anstieg wird dennoch befürchtet und bei einer im internationalen Vergleich relativ niedrigen Sterberate von 600 im Jahr wird deutlich: Die Zahl der Betroffenen wächst. Dennoch besteht die Gefahr, Aids vor der eigenen Haustür aus dem Blickfeld zu verlieren.

Autor: Detlef Grumbach |
    Birgitt Bender (B90/Die Grünen):
    Im Jahr 2002 sind 600 Menschen an Aids gestorben. Wären die alle an einem Tag bei einem Eisenbahnunglück gestorben, dann hätte das sehr viel Aufmerksamkeit gefunden. So hat man sich aber daran gewöhnt, dass Aids mehr oder weniger zu einer chronischen Krankheit geworden ist und auch nicht mehr die Angst und Aufmerksamkeit verursacht wie ehedem.

    Helga Kühn-Mengel (SPD):
    Das Wichtige ist nach wie vor, das auch ins Bewusstsein zu bringen, dass wir uns dieses Themas annehmen müssen, dass wir in einer Gesellschaft mit Aids-Erkrankten leben, die wir nicht stigmatisieren dürfen. Es ist also eine Frage von Bewusstsein und von Toleranz.


    Soweit die Stellungsnahmen von Birgitt Bender von den Grünen und Helga Kühn-Mengel von der SPD. Dass Aids nach wie vor ein wichtiges Thema ist, betonen auch Dieter Thomae von der FDP und Verena Butalikakis von der CDU, auch wenn diese eigentlich ganz zufrieden ist:

    Dieter Thomae (FDP):
    Das Thema ist in der Tat in den letzten Jahren zurückgetreten, weil andere Krankheitsbilder auch sehr aktuell wurden, ich sage nur die Thematik BSE. Die Achtziger-Generation hat die große Thematik erlebt, aufgeklärt durch die Kampagne "Gib Aids keine Chance", aber die nachfolgende Generation muss natürlich viel stärker aufgeklärt werden, und ich würde mir schon wünschen, wir würden mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung dieses Thema wieder in den Mittelpunkt stellen.

    Verena Butalikakis (CDU):
    Ich denke, dass der Umgang schon sehr viel normaler, sehr weniger hysterisch geworden ist, dass alle wissen, dass es Heterosexuelle treffen kann, dass es Frauen und Kinder vor allem auch treffen kann, wenn man mal den Drogenbereich mit einbezieht, also von daher glaube ich, dass sich das Bewusstsein, dass sich in den letzten Jahren entwickelt hat, genauso weiter entwickeln sollte.


    Szenenwechsel. Gaby Schröter ist 42 Jahre alt, Mutter eines neunzehnjährigen Sohnes, und hat sich vor siebzehn Jahren mit HIV infiziert.

    Als Frau hat man wirklich - am Anfang traut man sich auch nicht, das seiner Familie zu sagen. Man muss erst mal selber versuchen, das zu verarbeiten. Also die haben nicht so ein Netz, wo sie hingehen können, wie die homosexuellen Männer, die ihren Freundeskreis haben, wo das eher akzeptiert wird und auch Thema ist und drüber gesprochen wird, wo sie aufgefangen wird, sondern muss sich das im privaten Bereich selber holen.

    HIV positiv. Das war Mitte der achtziger Jahre wie ein Todesurteil. Gaby Schröters Freund starb durch Aids, doch sie selbst hatte Glück. Sie wurde zwar auch krank, konnte aber an den ersten klinischen Studien für die heute angewendeten Kombinationstherapien teilnehmen und kam so wieder zu Kräften. Leben mit Aids - das ist heute ihr Problem, nicht die Angst vor dem Tod.

    Man muss sich da langsam erst mal wieder Perspektiven für sich suchen. Man muss erst mal im Kopf wieder klarkommen: Ich sterbe jetzt nicht. Ich habe jetzt doch noch ein bisschen Zeit und was mache ich mit meiner Zeit. Ich möchte nicht nur zu Hause einfach herum sitzen, sondern irgend etwas machen. Und das ist eine ganz langsame Entwicklung, die auch damit einhergeht, sich immer mehr anderen Leuten zu öffnen und das als Teil seines Lebens dann auch anzuerkennen.

    Hannelore Knittel, DAH:
    Bei Frauen ist es schon immer so durch ihre Erziehung bedingt, dass sie stärker vereinzelt mit ihrer Krankheit, mit ihrer Lebenssituation umgehen und es deshalb schwierig ist, Gruppen infizierter Frauen zu bilden.

    So Hannelore Knittel, Geschäftsführerin der Deutschen Aidshilfe in Berlin:

    Das ist die eine Sache. Und die andere ist natürlich auch, dass Frauen zum Glück eine relativ kleine Gruppe von Infizierten in der Bundesrepublik darstellen und dann die Vereinzelung dann noch einmal größer wird, wenn vor Ort jenseits der großen Städte in der Republik einzelne Frauen infiziert sind und dort sehen müssen, wie sie mit ihrem Leben zurechtkommen.

    Ihr Freund hatte sich in der Drogenszene infiziert, und obwohl sie selbst nicht abhängig war, reichte die HIV-Infektion aus, um Gaby Schröter das Sorgerecht abzuerkennen. Erst als ihr Sohn sechzehn war, hat sie wieder Kontakt zu ihm aufgenommen. Hat er sich gefragt, warum sie nicht für ihn da war, wer sein Vater war und wie es seiner Mutter geht? Hat er Angst um sie? Und was erzählt er seiner Freundin, seinen Freunden? Mutter und Sohn verstehen sich mittlerweile gut, die Mutter glaubt sogar, dass der Sohn stolz auf sie ist, aber - es herrscht ein Tabu zwischen den beiden. Er weiß, woran sein Vater gestorben ist, er weiß von ihrer Krankheit - gesprochen wird darüber aber kaum. Allein deshalb wünscht sie sich schon,

    dass die Krankheit nicht als Krankheit für Außenseiter oder Randgruppen angesehen wird, sondern als normale Krankheit und die Menschen als ganz normale Menschen endlich mal angesehen werden. Und nicht wo man total hilflos gegenüber steht oder wo man Angst hat. Denn durch das nicht drüber sprechen und verdrängen, da schwebt immer etwas in der Luft, was unausgesprochen ist. Und man muss sich einfach mit dem Thema auseinandersetzen. Und ich denke schon, dass ich dann auch mehr Möglichkeiten hätte, mich mit ihm darüber zu unterhalten, wenn es präsenter wäre. So, wenn ich da urplötzlich mit HIV ankomme, das ist, weil es ja überhaupt kein Thema ist, das wäre wie ein Keulenschlag.

    Das "neue Aids". Seit Aids zumindest in den westlichen Industrienationen auf dem Weg ist, eine behandelbare, chronische Krankheit zu werden, ist ein Bedeutungswandel eingetreten. Doch noch immer sterben Menschen an Aids! Und angesichts von geschätzten 2000 Neuinfektionen jährlich in Deutschland wächst hier auch die Zahl der Betroffenen. Aufgrund der Kombinationstherapien geht es den Erkrankten deutlich besser, man sieht "es" ihnen nicht mehr an. Wie sich dadurch die Arbeit der Aidshilfen vor Ort verändert, erläutern die Geschäftsführerin der Deutschen Aidshilfe, Hannelore Knittel, und Christian Tausch, der in der Hamburger Organisation vor Ort arbeitet.

    Hannelore Knittel:
    Natürlich sterben immer noch Leute an Aids, aber die allergrößte Zahl der Infizierten wird mit der Kombinationstherapie bei uns behandelt und überlebt dadurch über lange, lange Jahre. Aids wird - oder HIV wird - zu einem Problem von Medikamenten, von Medikamentenanwendungen, von Medikamentennebenwirkungen, vom Leben mit Medikamenten. Und Aids bringt nicht mehr die Leute zusammen als ein gemeinschaftliches Problem, das heißt, gesamtgesellschaftlich findet eine viel größere Individualisierung statt. Dadurch wird Aids weniger sichtbar. Wir müssen in der Prävention damit zu Recht kommen, dass diese unmittelbare Sichtbarkeit und die Angst vor dem Tod verschwindet, das heißt, wir müssen ganz neue Strategien erfinden.

    Christian Tausch:
    Die Arbeit der Aidshilfen hat sich insoweit verändert, als wir auf der anderen Seite damit konfrontiert sind, dass Menschen mit HIV und Aids, die eventuell schon verrentet sind, wieder eine längere Lebensperspektive haben, wieder eine höhere Lebensqualität haben und auf Grund dessen sich oft auch fragen, was kann ich denn tun mit dieser Zeit, wie kann ich die sinnvoll füllen, für mich befriedigend füllen, dazu gehört auch Beschäftigung. Damit sind wir zunehmend konfrontiert, Hinweise zu geben, Unterstützung zu geben, Lebensperspektiven zu entwickeln. Aids ist häufig auch verkoppelt mit einem ganzen Stück Verarmung: dann, wenn Menschen lange krank sind, wenn sie in Rente gehen, die Renten klein sind, insofern wir auch sehr viel das Thema Beratung haben zu finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten, zu Möglichkeiten, was kann ich vom Sozialamt kriegen, wie kann ich, wenn ich Rente bekomme, noch nebenbei arbeiten und dieses?

    Gaby Schröter kennt diese Probleme. Die Medikamente drücken zwar die Viruslast, verursachen aber Nachtschweiß - und sie nimmt einfach nicht mehr zu. Als junge Frau hatte sie eine kaufmännischen Ausbildung, jetzt schließt sie gerade ein Studium der Sozialpädagogik ab. Warum sie das überhaupt noch mache, ob sich das lohne - diese Fragen hört sie nicht selten, und sie treffen ins Mark.

    24 Prozent der neu gemeldeten Infektionen betreffen Migranten aus den Regionen der Welt, in denen die Epidemie ein katastrophales Ausmaß angenommen hat, und hier trifft es mehr Frauen als Männer. Noch immer die Hälfte der Neuinfektionen werden bei homosexuellen Männern diagnostiziert, 10 Prozent bei Drogenkonsumenten, 16 Prozent der Übertragungen finden bei heterosexuellem Geschlechtsverkehr statt. Und so sieht das Klientel der Aids-Hilfen heute aus: Männer und Frauen, auch aus islamischen oder streng katholischen, afrikanischen Kulturkreisen, Strichjungen und Prostituierte, viele von ihnen aus Osteuropa. Halbwegs fitte Menschen, die Patientenschulungen zum Umgang mit den Medikamenten brauchen, eine Beratung über die Angebote von Bildungs- oder Beschäftigungsträgern, die für sie geeignet sind. Auch Menschen, die wissen wollen, wie sie, statt Rente zu beziehen, zurück auf den Arbeitsmarkt kommen. Kranke, die einen Platz im betreuten Wohnen oder einen passenden Pflegedienst suchen, Migranten, deren Aufenthaltsstaus nicht geklärt ist, die vielleicht sogar illegal in Deutschland sind und sich nicht trauen, zum Arzt zu gehen. Das Robert-Koch-Institut fordert angesichts der veränderten Lage:


    Auch die Präventionsarbeit sollte darauf mit einer Ausdifferenzierung und Individualisierung ihrer Botschaften und Vermittlungsansätze reagieren. Das hat zur Folge: Die personellen und finanziellen Ansprüche an eine Erfolg versprechende HIV-Prävention nehmen derzeit eher zu als ab. Hannelore Knittel:

    Die Realität sieht eher trist aus. Nicht für den Bundesverband der Deutschen Aidshilfe, sondern für die Aidshilfen vor Ort, die ja in der Regel über freiwillige Leistungen der Kommunen, über ihre Bundesländer finanziert werden. Und dort sieht man, dass die Zahlen der Neuinfektionen seit Jahren stabil sind und auf niedrigem Niveau sich eingependelt haben, und dort findet eben der Trugschluss statt, dass damit das Problem weitestgehend beseitigt ist und deshalb Aids-Hilfe nicht mehr gebraucht wird.

    Die Aids-Hilfen aus den Ländern berichten von immer schwierigeren Bedingungen: Einige Länder wie Sachsen-Anhalt haben ihre Zuschüsse offenbar völlig eingestellt, und vor Ort wäre eigentlich die zielgruppenspezifische Prävention zu leisten. Das wird in der Tat immer schwieriger, das liegt aber an den Ländern und Kommunen.

    Birgitt Bender von den Grünen. Doch so wie sie den Schwarzen Peter den zahlungsunfähigen Kommunen zuschiebt, trägt für Helga Kühn-Mengel von der SPD die Opposition die Verantwortung.

    Wir haben vor einigen Monaten ein Steuervergünstigungsabbaugesetz auf den Weg gebracht, das hätte den Kommunen 6,7 Milliarden gebracht. Das ist durch den Bundesrat blockiert worden, abgelehnt worden, das wäre eine gute Möglichkeit gewesen, die Finanzkraft der Kommunen auch zu stärken.


    Wer in Bremen die Beratungstelefonnummer der Aids-Hilfe anruft, hört die Ansage: "Kein Anschluss unter dieser Nummer". Frankfurt am Main hat die Mittel für die Aids-Hilfen innerhalb von drei Jahren um circa ein Drittel gekürzt, über Kürzungen von 5 oder 10 Prozent von Hamburg bis München regt sich kaum noch jemand auf. In Nordrhein-Westfalen droht im nächsten Jahr ein Kahlschlag. Die Folgen: Öffnungszeiten der Aidshilfen werden eingeschränkt, Personalstellen gestrichen oder reduziert, kleine Einrichtungen, die mit nur einer hauptamtlicher Kraft arbeiten, sind in ihrer Existenz gefährdet. Und das Robert-Koch-Institut stellt fest:


    Bedauerlicherweise geht im Unterschied zu anderen Ländern in Deutschland derzeit der Trend hin zu einer weiteren Ausdünnung der ohnehin schon fragil gewordenen Präventionsinfrastruktur auf der lokalen und regionalen Ebene. Die bisher auch im internationalen Vergleich erfolgreiche HIV-Präventionsarbeit in Deutschland droht dadurch bleibenden Schaden zu nehmen.


    Szenenwechsel. Im Hamburger Magnus-Hirschfeld-Centrum treffen sich die Boyfriends, eine Gruppe schwuler Jungs, sechzehn oder siebzehn Jahre alt.

    Stefan: Ich habe irgendwie schon Angst davor.
    Michael: Wenn ich Sex habe, dann mit meinem Freund und dann mit Gummi.
    Jan: Das ist für mich sicherer, für den anderen sicherer. Man weiß ja nie, was gerade im Umlauf ist.


    Gerade bei den Schwulen rechnen die Experten am ehesten mit einer steigenden Sorglosigkeit, mit steigenden Infektionsraten also. Das betrifft aber eher Angehörige der Altersgruppen, die lange auf bestimmte Praktiken verzichtet haben und jetzt, wo Behandlungsmöglichkeiten von Aids Erfolge zeigen, die Angst beiseite schieben und ihren Nachholbedarf befriedigen. Um so wichtiger ist es deshalb, so Gruppenleiter Michael Schilf, dass Aufklärung früh einsetzt, dass es Orte gibt, wo das Thema, und wenn auch nur beiläufig, gegenwärtig ist, auch jenseits der Aidshilfen:



    Schwule Jugendliche sind ja eher schon ein bisschen besser informiert. Was da wichtig ist, wozu unsere Arbeit ja auch da ist, ein Selbstbewusstsein zu schaffen, es auch umzusetzen. Und eine andere Sache ist unter Einfluss von Drogen. Alkohol, Erschöpfung - dass Leute sich hinterher darüber geärgert haben, ach Mist, irgendwie war das jetzt doch nicht safe, aber ich war auch so betrunken, ich habe da gar nicht mehr drüber nachgedacht und solche Sachen. Dass das Bewusstsein an sich schon da ist, aber die Umsetzung an solchen Dingen auch hapern kann.


    Bei Jan, Markus, Stefan und anderen jungen Schwulen, die sich in einer Gruppe treffen, ist das Bewusstsein wohl da. Was sie jedoch in der Schule und bei ihren Mitschülern erleben, klingt nicht so optimistisch. Wird dort über Aids gesprochen?

    Jan: Überhaupt nicht. Darüber wird überhaupt nicht geredet. Man hat es mal kurz im Unterricht angesprochen, aber das war's dann auch.
    Markus: Ich hab's versucht, nur meine Lehrerin meinte dann, das haben wir nicht in den Büchern drin und das wäre auch nicht nötig, darüber zu reden.
    Stefan: Das wurde einmal kurz erläutert, kurz gesagt, was es ist, was für eine Krankheit das ist. Mehr nicht.


    Knapp 14.000 Lehrerinnen und Lehrer gibt es in Hamburg, wo Aids-Prävention als so genanntes "Aufgabengebiet", also als fächerübergreifendes Thema, im Lehrplan steht. 20 Lehrer haben Anfang Oktober an einer dreistündigen Veranstaltung des Instituts für Lehrerfortbildung teilgenommen.

    Es gibt doch teilweise Leute, wenn ich mich mit manchen unterhalte, die echt keine Ahnung davon haben. Die sagen dann, ja, bei heterosexuellen zum Beispiel, ja, wir hatten kein Gummi, aber das ist egal, er zieht dann ja vorher raus. Ich mein, ich nehme die Pille, da kann ich auch nicht schwanger werden. Und ich sag, ja und, was ist mit Aids? Dann sagt sie, ja, das kriegt man schon nicht. Ich bin ja seine erste Freundin.


    Entwarnung gibt es nur in einem Bereich: Nicht jedes Neugeborene einer infizierten Mutter ist, wie vor Jahren noch befürchtet, automatisch HIV-positiv. Pränatale und postnatale Präventionsmaßnahmen drücken die Infektionsrate hier auf einen statistisch kaum erfassbaren Bereich. Viele Frauen, so Ute Senftleben von der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz Hamburg e.V., erfahren heute aber erst in der Schwangerschaft, im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen, von der eigenen Infektion. Die Organisation, von deren Diensten Gaby Schröter vor siebzehn Jahren nur hätte träumen können, leistet zunächst Krisenintervention, berät Frauen und Paare: Fragen der Schuld, des Verrats, der Untreue werden virulent. Es brechen Welten zusammen, Männer schieben die Schuld auf die Frauen, Frauen begreifen, betrogen worden zu sein - es kommt zu Trennungen. Das größte Problem aber ist, dass die Situation oft in ein verschwiegenes Doppelleben und in Geheimniskrämerei führt, immer noch aus Angst, plötzlich alleine da zu stehen, aus Angst um die Kinder.

    Die haben Angst, dass es, wenn es im Haus, in der Schule, im Kindergarten, zum Teil im Freundeskreis bekannt wird, dass es an den Kindern ausgelassen werden kann oder dass die Kinder darunter zu leiden haben, dass dann der Freund oder die Freundin nicht mehr mit nach Hause kommen darf und dass dann die Eltern gleichzeitig in dem Dilemma stehen, dass sie das dem eigenen Kind erklären müssen und es gar nicht richtig erklären können, zumindest auch dann, wenn das Kind gar nicht informiert ist, was eigentlich das Problem ist und das auch eine schreckliche Vorstellung für sie ist, dass das Kind für etwas leiden muss, wofür es gar nichts kann.


    Die große Chance, dass Eltern und oft allein erziehende Mütter zu ihr kommen, sieht Ute Senftleben darin, dass nicht "Aids-Hilfe" an ihrer Klingel steht, dass das noch immer tabuisierte und aufgeladene Thema in einen anderen Kontext eingebettet ist. Aber auch ihr Verein ist von Mittelkürzungen betroffen, muss immer größere Anteile der Arbeit über Spenden finanzieren. Und welches Resümee zieht die Politik aus der aktuellen Lage in Sachen Aids? Noch einmal Helga Kühn-Mengel von der SPD- und Verena Butalikakis von der CDU-Bundestagsfraktion

    Seit vielen Jahren wird der öffentliche Gesundheitsdienst immer weiter ausgedünnt, und diese Struktur brauchen wir dringend, nicht nur für die Aufklärung und Beratung in diesem Bereich, sondern ja überhaupt für Präventionsstrategien. Wir arbeiten ja auch an einem Präventionsgesetz, und da sind wir dringend angewiesen auf Strukturen vor Ort und insgesamt sind wir hier schon in Sorge, dass das, was gut aufgebaut wurde, weg bricht.

    Ich glaube, es ist nicht nur immer eine Frage der Ausstattung der Mittel, da müssen wir einfach wieder ein bisschen mehr in die Kampagnenfähigkeit reingehen, ja, ich würde nicht wieder gleich sagen, wir brauchen jetzt Unsummen, um mehr Personal oder so einzustellen, sondern ich glaube, mit einer Kampagnenfähigkeit, natürlich auch in Fremdsprachen, ist da sehr viel mehr zu erreichen.