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Aigner: Klonfleisch im Supermarktregal ist Zukunftsmusik

Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) plädiert in der Diskussion um sogenanntes Klonfleisch für eine gesetzliche Regelung, die nicht nur gesundheitliche Aspekte, sondern auch ethische Gesichtspunkte und den Tierschutz mit einbezieht. Gesundheitliche Risiken würden nach jetzigem Erkenntnisstand jedoch nicht von Klonfleisch ausgehen.

Ilse Aigner im Gespräch mit Günter Hetzke | 28.06.2009
    Günter Hetzke: Frau Bundesministerin, allein, wenn ich auf die vergangenen Wochen zurückblicke - Klonfleisch, Gentechnik, Milchpreise, Menschen, die um ihr Erspartes bangen, Verbraucherschulden, Datenschutz im Internet: Das sind alles Themen, die heftig diskutiert wurden und die oft unerfreulich sind und die alle Ihr Ministerium, Ihre Arbeit betreffen.

    Gab es da eigentlich ein Themenfeld, das Ihnen persönlich sehr nahe gegangen ist, das Ihnen auf den Magen schlug oder Sie gar wütend machte?

    Ilse Aigner: Ja, das sind eigentlich alles Themen, die einem sehr nahe gehen, aber gerade die Milch ist schon auch ein Thema, das uns sehr nachhaltig beschäftigt hat, seit Amtsantritt wirklich im Wesentlichen. Wenn man dann eben in die Gesichter der Menschen sieht, die seit Jahrhunderten - hätte ich jetzt beinahe gesagt - auf einem Hof sind und um ihre Existenz bangen, dann geht einem das schon sehr nahe.

    Hetzke: In der zurückliegenden Woche hat ja ein Thema weite Teile der Öffentlichkeit aufgeschreckt, nämlich das Klonfleisch. Viele haben sicherlich gedacht, das ist noch Zukunftsmusik, und mussten jetzt feststellen, dass da inzwischen schon auf europäischer Ebene sogar über den Handel und den Umgang mit Klonfleisch geredet wird. Um vorweg mal eine Sorge auszuräumen: Ist Klonfleisch gesundheitsgefährdend?

    Aigner: Also, eigentlich nach jetzigem Kenntnisstand nicht. Es ist ja eigentlich von eineiigen Zwillingen - würde ich jetzt mal so sagen. Aber es ist nicht die Frage des Gesundheitsschutzes, der mich hier umtreibt, sondern eigentlich die Frage des Tierschutzes. Aber auch auf ethische Komponente, die hier…

    Hetzke: Genau, Sie waren ja auf europäischer Ebene dagegen.

    Aigner: Genau.

    Hetzke: Mit welcher Begründung?

    Aigner: Genau, also wir haben eigentlich die Vorstellung, dass man so eine Frage nicht allein in einer Novel-Food-Verordnung - um die geht es hier im Wesentlichen - um die Frage der gesundheitlichen Gefährdung lösen kann, sondern man bräuchte eigentlich eine getrennte Regelung, die auch eben die Tierschutzaspekte als auch die ethischen Aspekte mit einbezieht. Dafür gibt es aber momentan keine Anzeichen, dass eine Regelung eingebracht wird. Und deshalb jetzt diese - sozusagen - Schließung der Lücke über diese Novel-Food-Verordnung.

    Ich würde aber einfach auch noch einmal drauf hinweisen: Es ist insofern schon Zukunftsmusik. Es wird hier nichts angeboten. Es ist auch nichts in den Supermärkten. Und die Frage des Klonfleisches - von geklonten Tieren sozusagen - ist auch ausgeschlossen.

    Das Problem erstreckt sich eigentlich auf die Nachfolgegeneration, also die Nachfahren sozusagen eines geklonten Tieres, das bisher überhaupt nicht geregelt ist, und damit theoretisch bei uns auf den Markt kommen könnte. Es wird allerdings noch nicht angeboten, aber wir wollten also damit eine Regelungslücke schließen, also eine Verschärfung.

    Hetzke: Ist das überhaupt möglich, Klonfleisch auch langfristig gänzlich abzulehnen und den Markt eben abzuschotten? Wir haben ja einen freien Wettbewerb und auch einen freien Welthandel, und wir selber pochen ja auch immer auf die Einhaltung.

    Aigner: Ja, die Schwierigkeit ist sehr wohl, dass es andere Länder gibt, die sagen: Wir entscheiden allein und ausschließlich an wissenschaftlichen Kriterien, an gesundheitlichen Kriterien. Es ist ja auch keine Einzelfall. Wir haben auch die Problematik mit der Oberflächenbehandlung bei Geflügel. Wir haben die Problematik bei Hormonfleisch. Und dieses ist eine erneute Problematik.

    Ich meine, dass auch ethische Gesichtspunkte eine Rolle spielen, auch Tierschutzgesichtspunkte. Und deshalb meinen wir, dass es eine gesonderte Regelung hier bräuchte. Aber, das gebe ich zu: Das ist WTO-rechtlich nicht ganz einfach.

    Hetzke: Es gibt ja auch noch einen weiteren Gesichtspunkt: Klontiere und Klonfleisch sind patentierbar. Also das ist ja dann Eigentum von Unternehmen. Das kann doch eigentlich gar kein Landwirt - weder in Deutschland noch in Europa, aber eigentlich auch gar nicht in den USA - wollen.

    Aigner: Also, da ist von meiner Seite und von unserem Haus auch die Haltung klar: Die Frage "Patente auf Tiere", insofern es sich um landwirtschaftliche Nutztiere handelt, wollen wir ja auch nicht, weil sonst irgendwann neben dem Stammbaum auch noch ein Patentbaum mitgeführt werden muss.

    Das ist aber auch eine Diskussion, die wir auch auf europäischer Ebene mit der Biopatentrichtlinie weiterführen müssen und insofern würde dann, wenn dieses nicht funktioniert, sich das auch auf das Fleisch natürlich erstrecken.

    Hetzke: Sie haben nun von sich aus eine neue Baustelle angesprochen, nämlich die Biopatentrichtlinie. Wenn Sie kurz mal erklären könnten, was sich dahinter verbirgt? Das weiß nicht jeder, denke ich.

    Aigner: Ja, bei der Biopatentrichtlinie geht es eigentlich darum: Wenn neue Verfahren, also Erfindungen letztendlich im Bereich der Lebensmittelproduktion entwickelt würden, inwieweit sich das dann auch auf das Tier an sich erstreckt. Und dazu gibt es jetzt auch momentan Verfahren auf der europäischen Ebene.

    Das eine ist das Schweinepatent, aber es gibt eben auch das Brokkoliverfahren; und die sind jetzt momentan am laufen. Es ist noch nicht geklärt, wie dann dieses auch im Verfahren ausgeht. Aber grundsätzlich bleibt es bei der Aussage: Wir meinen nicht, dass Patente sozusagen auf das Lebewesen an sich übergehen sollten und schon gleich gar nicht auf die Nachfolgegeneration.

    Hetzke: Sie selber haben ja erklärt, dass Sie sich für eine Änderung der Europäischen Patentrichtlinie einsetzen wollen. Was wollen Sie denn da erreichen?

    Aigner: Also, genau diese Frage eben zu klären, dass klar ist, dass keine Kuh sozusagen mit einem Patentrecht auf Dauer belegt wird und auch nicht die Nachkommen.

    Hetzke: Frau Aigner, sollten wir eines Tages es doch mit Klonfleisch zu tun bekommen, steht ja eine Diskussion über die Kennzeichnung ins Haus. Und hier haben wir ja eh schon gerade eine Diskussion. Und ich finde, die Ernährungsindustrie ist da ja nicht gerade sehr auskunftsfreudig, wenn man so die aktuelle Diskussion verfolgt.

    Die Nährwerttabellen beziehen sich oft auf unterschiedliche und willkürliche Maße und Größen. Eine Ampelkennzeichnung für den Gehalt an Fett, Zucker und Salz wird abgelehnt. Was planen Sie eigentlich, wie wollen Sie vorgehen, um eine bessere Verbraucherinformation in diesem Bereich zu erreichen?

    Aigner: Also, wir haben auf freiwilliger Basis, weil wir auch momentan in Deutschland nichts anderes machen können, eine Vereinbarung mit der Industrie letztendlich erreicht, die sogenannte Vier-plus-eins-Kennzeichnung. Da geht es darum, dass Kaloriengehalt, Zucker, Fett, Salz und gesättigte Fettsäuren sozusagen nach dem täglichen durchschnittlichen Bedarf eines Menschen angegeben wird - in Prozentzahlen. Das ist die momentane freiwillige Leistung, die wird auch sehr intensiv gemacht.

    Ich verhehle nicht - ich hab den Auftrag gegeben zu überlegen: Wie kann ich denn das visuell noch besser darstellen? Auf dieses Ergebnis warte ich immer noch. Aber ansonsten finde ich, ist das eine aussagekräftige Angabe.

    Ich kann mir noch vorstellen, dass wir uns über die Packungsgrößen beziehungsweise über die Portionsgrößen - muss man genauer sagen - noch unterhalten sollten. Hier gibt es Portionsangaben, die für mich nicht ganz nachvollziehbar sind. Also, ein praktisches Beispiel ist die Tiefkühlpizza, die in einer Plastikfolie eingeschweißt ist und dann als Angabe eine Portion wie eine halbe Pizza enthält. Das, glaube ich, ist für den Verbraucher nicht auf den ersten Blick erkennbar. Also da sind schon noch Bereiche, über die wir noch diskutieren müssen. Also da gibt es noch viele Diskussionen.

    Der Grundsatz noch einmal: Warum können wir nichts Verpflichtendes regeln in Deutschland? Es liegt daran, dass im Moment auf der europäischen Ebene hier auch eine Richtlinie beraten wird, und solange diese Richtlinie beraten wird, gibt es hier keine nationalen Alleingänge. Diese Richtlinie auf der europäischen Ebene schreibt genau dieses, was wir haben jetzt auf freiwilliger Basis, auch verpflichtend vor. Und deshalb, glaube ich, sind wir gar nicht so schlecht gewesen mit unserem Vorschlag.

    Hetzke: Die Ernährungsindustrie, finde ich, ist ja eh eine ziemlich harte Nuss, die zwar Verbraucherinformationen auf ihre Fahnen schreibt, aber dann wird zum Beispiel Käse entdeckt, der nie mit Milch in Berührung gekommen ist, dieser sogenannte Analogkäse. Der Schinken auf der Pizza hat oft überhaupt nichts mit Schinken zu tun. Und selten bis gar nicht werden diese neuen Produkte gekennzeichnet. Sind die denn überhaupt ansprechbar für Sie?

    Aigner: Also ich glaube, diese Informationskampagne, die wir jetzt mit dem sogenannten Analogkäse - eigentlich ist der Begriff von uns ja schon mal falsch gewählt, weil: Es ist Käse im Begriff, und das darf eigentlich gar nicht sein, weil kein Käse drin ist, und wo Käse draufsteht, muss auch Käse drin sein - also wir haben, glaube ich, schon die Verbraucher darauf aufmerksam gemacht, dass es hier Unterschiedliches auch auf der Pizza oder wo auch immer geben könnte.

    Von der Kennzeichnungsregelung ist es eigentlich klar und es wird in der Regel auch richtig gekennzeichnet. Da steht dann halt "Pizzabelag" drauf oder "Palmölfett" oder was weiß ich. Aber die Frage ist, ob es der Verbraucher überhaupt registriert; rein visuell sieht er das natürlich.

    Die nächste Frage ist: Was ist, wenn es Mischprodukte sind, also zum Teil diese Schmelzauflage sozusagen und normaler Käse - ob man das dann anhand der Angaben auf der Packung auch erkennen kann. Deshalb haben wir gerade entscheidend verfasst - auch gemeinsam mit den Österreichern übrigens -, und ich habe es diese Woche im Agrarrat angesprochen, ob wir auch eine positive Beschreibung für diesen Begriff finden können, der aber dann nicht "Analogkäse" heißt.

    Hetzke: Sie haben vorhin gesagt, über eine optische Darstellung bei der Kennzeichnung überlegen Sie noch. Das heißt, die Ampelkennzeichnung…

    Aigner: Das ist eine Option.

    Hetzke: Ach, das ist durchaus noch eine Option.

    Aigner: Das ist eine Option, die eben ein Vorschlag ist. Aber es gibt da vielleicht auch andere Möglichkeiten.

    Hetzke: Eine Kennzeichnung, die jeder versteht, ist ja auch wichtig für eine Ihrer Herzensangelegenheiten, wie ich erfahren habe: nämlich der Kampf gegen das Übergewicht. Kampf klingt jetzt ein wenig kriegerisch, aber Sie wollen dieses Problem ja entschieden angehen. Warum setzten Sie so viel Energie in dieses Projekt?

    Aigner: Ich finde es wichtig, einen Bewusstseinswandel letztlich auch herbeizuführen. Hier geht es nicht, dass ich irgendjemand was verbieten will oder ihm befehlen will, er soll sich jeden Tag viel bewegen, sondern vielleicht durch positive Beispiele auch zeigen, dass gesunde und gute Ernährung auch wirklich Spaß macht, dass auf der anderen Seite auch Bewegung übrigens Spaß macht in der unterschiedlichen Form. Und natürlich steckt so ein bisschen im Hintergrund, dass durch die zu hohe Kalorienzufuhr und zu wenig Bewegung auch es zur Übergewichtigkeit kommt.

    Über 50 Prozent sind letztendlich bei uns nicht in dem Rahmen, wo man sagt, das ist das normale Gewicht. Und das verursacht auch Kosten, aber das ist nur ein Hintergedanke. Ich glaube, dass es auch eine Frage der Lebensqualität letztendlich ist, wie man sich fühlt. Und wir wollen das im positiven Sinne durch Motivation eigentlich dann auch bringen, also zu sagen: Schau mal, wie schön es eigentlich sein kann, und zwar…

    Hetzke: Ja, genau, da wollte ich mal fragen: Was kann denn ein Bundesministerium hier tun, um etwas zu bewegen?

    Aigner: Also, zum einen versuchen wir, die Menschen da abzuholen, wo sie auch letztendlich sind - in allen Altersstufen und mit allen Lebensphasen. Das beginnt bei den Qualitätsstandards für die Kindergärten, wie sie zum Beispiel auch die Brotbox bepacken, bei der Ernährung in den Schulküchen letztendlich, wo wir auch Hinweise geben wollen - bis hin zu "Job und fit", also dass es in den Betriebskantinen, weil viele Menschen nicht mehr zu Hause essen können, auch es ein Gericht geben könnte, wo man sich über die ganze Woche, wenn man sich mit dem ernährt, auch alle Bestandteile der vollwertigen Ernährung auch bekommt und auch dementsprechend kalorienangepasst ist ungefähr, dass das auch stimmt.

    Also, in all diesen Bereichen wollen wir durch positive Beispiele auch sagen, wie gut das ist. Und wie gesagt: Der eine Teil Ernährung ist unser Teil, die Frage der Bewegung macht das Gesundheitsministerium in guter Partnerschaft. Und wenn beides dann zusammen stimmt, dann steigt das Wohlbefinden und damit auch die Lebensqualität.

    Hetzke: Ein wenig finde ich das ja zwiespältig - ihre Funktion in dieser Aktion. Auf der einen Seite sind Sie ja Landwirtschaftsministerin, Sie sind also dafür da, dass viel produziert wird, kostengünstig produziert wird. Sie setzen sozusagen auf Menge, und auf der anderen Seite kämpfen Sie gegen das Übergewicht. Besteht da nicht so ein gewisses Glaubwürdigkeitsproblem?

    Aigner: Ja, weiß heißt, ich setze auf Menge? Ich setze immer generell auf Qualität. Das ist eigentlich das Entscheidende, und wir brauchen uns da in Deutschland nicht zu verstecken. Wir haben hervorragende qualitative Produkte, wir sind auch weltmarktfähig im Wesentlichen, wir haben große Exportzahlen.

    Und das zeigt eigentlich schon, dass außerhalb der Europäischen Union und in den europäischen Ländern die deutschen Produkte nachgefragt werden. Und die Qualität spielt hier eine wesentliche Rolle. Unabhängig davon ist es aber so, zu viel zu essen ist trotzdem schwierig, weil es dann auf der anderen Seite uns dann auch wieder entgegenschlägt.

    Hetzke: Glauben Sie, dass Sie mit diesen Aktionen auch die Menschen erreichen, die übergewichtig sind? Ich stelle mir immer Eltern vor, die schlicht zu bequem sind, zu kochen. Die drücken ihren Kindern Geld in die Hand und sagen: Geh mal zum Imbiss und hole was zum Essen. Können Sie die auch zum Umdenken bewegen?

    Aigner: Also deswegen setzen wir zum Beispiel auch bei den Kindern an. Also mit diesen Qualitätsstandards, da war ich auch schon in der Kindertagesstätte und habe mit denen gemeinsam Frühstück zubereitet. Das kann man nicht überall machen, das weiß ich auch, aber es ist ein Bewusstseinswandel, den man langsam auch einleiten muss, auch die Alternativen überhaupt aufzeigen, dass Gemüse hinstellen vielleicht auch nicht ganz schlecht ist und dass es sehr gesunde Produkte gibt, die auch sehr schmackhaft sind und auch zur Lebensfreude helfen.

    Also, ich glaube, da haben wir eine breite Palette, und ich glaube nicht, dass wir von heute auf morgen das Bewusstsein umstellen können, aber steter Tropfen höhlt den Stein.

    Hetzke: Ich muss noch mal nach den Finanzen fragen, denn wenn Sie mehr Qualität in den Kindertagesstätten oder auch in den Seniorenheimen bei der Außerhausverpflegung anbieten wollen, hat die ja auch meist ihren Preis. Wo soll das Geld dafür herkommen, dass sich das die Kindertagesstätte auch leisten kann?

    Aigner: Also, die Frage ist immer, ob die Rohprodukte eigentlich der entscheidende Kostenfaktor sind. An sich sind in der Regel dann die anderen Kriterien, also auch zum Beispiel Personalkosten, die viel Geld ausmachen und eine Frage des Bewusstseins, wie ich das zusammenstelle. Deswegen glaube ich, die Auswahl der Rohprodukte ist schon wohl das Entscheidende. Und die müssen nicht unbedingt teurer sein. Das versuchen wir jetzt gerade aufzubereiten.

    Hetzke: So ein Programm geht ja ein Problem an, das schon besteht. Besser wäre es ja aus meiner Sicht, von vorneherein das Problem gar nicht erst zu schaffen. Und damit wären wir ja eigentlich schon wieder bei der Ernährungsindustrie, nämlich bei der Anbieterseite. Inwieweit können Sie die Nahrungsmittelhersteller in die Pflicht nehmen, damit auch die Teil ihrer Lösung beitragen?

    Aigner: Also, ich möchte noch mal darauf verweisen, dass die Kennzeichnung, die wir jetzt haben, eine freiwillige Kennzeichnung ist, die aber schon sehr breit um sich gegriffen hat. Ich halte das auch für richtig und letztendlich reagiert der Markt dann auch beziehungsweise die Marktteilnehmer auf das, was der Verbraucher will. Und der will mehr Informationen, und deshalb wird sich das auch fortsetzen.

    Hetzke: Ja, aber ich denke, es ist ja nicht nur eine Frage der Information, sondern auch das, was in den Produkten drin ist. Wenn ich mir vorstelle, es gibt Untersuchungen, wonach der erhöhte Einsatz von Fruchtzucker zum Beispiel sehr wohl ein Grund für Übergewicht sein könnte. Fruchtzucker findet sich aber stattdessen in immer mehr Produkten.

    Das heißt eben, auch die Zusammensetzung der Nahrungsmittel müsste sich doch ändern, um gegen das Übergewicht was beizutragen. Und da sehe ich irgendwie, dass die Nahrungsmittelindustrie sich gar nicht bewegt.

    Aigner: Ja gut, aber die Frage der Kennzeichnung und des Bewusstseinswandels spielt hier eine Rolle. Und wenn ich irgendwann die%angabe habe, diese eine Portion deckt 20 Prozent meines täglichen Bedarfs, dann weiß ich, dass ich nicht allzu viel davon essen kann. Also, insofern wird sich das dann vielleicht in der Produktauswahl auch zeigen.

    Hetzke: Verstärkt in die Pflicht genommen werden sollen ja in Zukunft auch die Banken, die Bankberater. Der Gesetzentwurf für mehr Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten soll ja Anfang Juli, also in wenigen Tagen, beschlossen werden. Wo liegen Ihrer Ansicht nach die größten Schwächen dieses Entwurfs?

    Aigner: Der Entwurf regelt das, was wir jetzt noch in dieser Legislaturperiode regeln konnten. Das ist aber für uns nicht der Endpunkt, sondern das, was wir jetzt noch umsetzen wollten. Und da sind meines Erachtens zwei wesentliche Bestandteile drin; das Eine, dass ein Beratungsprotokoll erstellt werden muss und vor allem dem Verbraucher oder der Verbraucherin auch ausgehändigt werden muss und dass die Verjährungsfristen von drei auf zehn Jahre verlängert werden, also eigentlich angeglichen an die sonstigen Regelungen des BGH. Ich glaube, wir sind da einen wesentlichen Schritt weiter gekommen.

    Aber, wie gesagt, das ist nur ein Bestandteil. Das Zweite, was wir jetzt versuchen aufzugreifen, ist die Frage der Qualifizierung der Berater. Da gibt es Mindeststandards, die wir verlangen wollen und müssen. Da sind wir gerade in großen Fachgesprächen bis hin zur Frage, wie kann ein Verbraucher eigentlich gut entscheiden, seine Ziele sozusagen mit den Anlageprodukten auf einen Nenner zu bringen.

    Da wollen wir so eine Art Routenplaner auch erstellen bis hin zu einer Checkliste, die wir schon auf den Markt gebracht haben, wo man sagt, was will ich eigentlich, welches Produkt will ich eigentlich überhaupt erwerben, für welches Ziel will ich das erwerben und was empfiehlt mir dann der Berater oder die Beraterin - und ist das im Einklang mit dem Ziel? Dieses ist dann eben der Routenplaner. Der sollte möglichst immer gleich sein, die Ergebnisse sozusagen und nicht divergieren.

    Wir sind gerade bei der Entwicklung einer Art Übersicht über die wesentlichen Kennzahlen eines Finanzproduktes, die da wären zum Beispiel Rendite, die Kosten, die damit verbunden sind, was passiert, wenn ich das Produkt frühzeitig abgeben muss. Das sind so die wesentlichen Faktoren, und wie ist das abgesichert.

    Hetzke: Jetzt haben Sie aber sozusagen das Positive dargestellt, und ich hatte ja eigentlich gefragt, gibt es auch Schwächen, die Sie gerne anders dargestellt hätten bei diesen Papieren?

    Aigner: Ja, wie gesagt, die fehlen jetzt noch. Ich konnte natürlich jetzt diese ganzen Sachen, also die Frage der Qualitätsregelung oder der Qualifizierungsregelung, nicht alles da rein packen. Das ist eine Frage des Zeitablaufes, aber deshalb dezidiert, wir sind noch nicht am Ende dieses Prozesses.

    Hetzke: Sie haben die Beratungsprotokolle angesprochen. Wer erstellt eigentlich diese Einzeldokumentation, die über das Beratungsgespräch informieren? Gibt es da gesetzliche Vorgaben oder macht das wieder jede Bank für sich und muss dann der Kunde möglicherweise doch wieder, ähnlich wie beim Mietvertrag, auf das Kleingedruckte gucken oder sich eben anderweitig beraten lassen, ob diese Dokumentation dann auch gerichtsfest ist?

    Aigner: Sie müssen dann letztendlich nachvollziehen. Da muss drin stehen, über was gesprochen worden ist und was beraten oder was vorgeschlagen worden ist. Und das müssen Sie natürlich dann nachvollziehen, ob dieses mit dem Gespräch auch letztendlich im Einklang steht. Aber Sie haben wenigstens etwas in der Hand. Bisher hatten Sie gar nichts in der Hand.

    Hetzke: Wie in der Medizin gilt ja auch beim Anlegerschutz, vorbeugen ist besser, als hinterher den Schaden zu beheben. Sie müssen demnach künftig stärker den Anlegermarkt kontrollieren. Wie wollen Sie denn diese Kontrolle effektiver als bisher gestalten?

    Aigner: Also, der Anlegermarkt wird momentan formal kontrolliert, sozusagen über die BaFin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen. Und dieses Produktblatt, das ich jetzt erwähnt habe, wäre zum Beispiel eine Möglichkeit von der BaFin überwachen zu lassen. Das wäre ein Grundgedanke. Aber wir sind ja, wie gesagt, gerade in der Entwicklung, dass wir das hier machen.

    Wir werden meines Erachtens nicht klassifizieren können, das sind gute und schlechte Produkte, weil es ja immer auch sehr stark mit den jeweiligen Wünschen zusammenhängt. Wenn ein 20-Jähriger für seine Rente vorsorgen will, ist ein anderes Produkt gut, als wenn ich eine 80-Jährige berate, die nur - in Anführungsstrichen - 25.000 Euro sozusagen anlegen will als Puffer. Da sind die Klassifizierungen, glaube ich, etwas schwierig. Deshalb die Kennzahlen, die wesentlichen Punkte übersichtlich darstellen, um sie vergleichen zu können.

    Hetzke: Die BaFin, die Sie gerade angesprochen haben, ist ja eigentlich Teil des Bankensystems. Ist die Finanzmarktkontrolle da wirklich gut aufgehoben.

    Aigner: Wenn sie sozusagen die Aufgabe haben, nicht nur die formalen Kriterien zu überprüfen, sondern wenn ich sage, ich habe effektive Kosten, die ich zum Beispiel ausweisen will, die müssten dann auch überprüfen, ob dieses auch richtig sozusagen dargestellt ist.

    Hetzke: Die Verbraucherzentralen haben ja den Finger gehoben und haben gesagt, wir könnten das auch übernehmen. Was sagen Sie denn dazu?

    Aigner: Also, bei der Unmenge von Produkten, die wir hier haben, ist es, glaube ich, schwierig, alle zu überprüfen. Abgesehen davon gibt es auch die Stiftung Finanztest, die auch schon die Produkte überprüfen. Ich glaube, dass wir hier mit dieser komprimierten Übersicht, die dann auch verpflichtend sein sollte, einen guten Überblick geben können.

    Hetzke: Diese Übersicht, die Sie ansprechen, also ich meine, riskante Geldanlagen soll es ja auch durchaus weiterhin geben, jeder kann ja mit seinem Geld machen, was er will. Aber damit jeder Kunde auch erkennt, dass er eine sichere Anlageform gewählt hat, gibt es ja in der Tat wie bei der Ernährungsindustrie auch eine Diskussion, ob man hier eine Ampel einführt, nämlich rot würde dafür stehen, das ist ein sehr hoch riskantes Produkt. Was halten Sie denn von einer Ampeleinführung hier bei der Geldanlage?

    Aigner: Die Frage habe ich eigentlich vorher schon beantwortet, weil ich glaube, dass man hier auch nicht mit einer Ampel so einfach die Lösung bringt, weil, noch mal, für 80-Jährige vielleicht ein Produkt grün ist, aber für einen 20-Jährigen, der auf Substanzerhalt ausgelegt ist, vielleicht eher rot ist. Deswegen ist diese Frage schwierig.

    Noch einmal, für mich ist wichtig, dass klar ist, nicht auf Seite 22 links unten zu erkennen, dass es zu einem Totalverlust kommen kann, sondern dass es auf dem Deckblatt auch ausgewiesen wird. Und dieses muss sofort erkennbar sein und nicht irgendwo versteckt. Das ist für mich eigentlich das Wichtigere.

    Hetzke: Sie haben ja gerade schon die Verbraucherseite, Finanztest, Verbraucherzentralen angesprochen. Die Verbraucherzentralen ächzen ja gerade unter der Last der vielen Nachfragen, die sie im Augenblick haben. Mir ist klar, dass die Finanzierung der Verbraucherzentralen Ländersache ist, aber gibt es auch von Ihrer Seite Mittel und Wege oder Überlegungen, die Verbraucherberatung zu stärken?

    Aigner: Sie haben es vollkommen zu Recht angesprochen. Erstens mal Respekt an die Verbraucherzentralen, weil die hier wertvolle Arbeit auch leisten. Die Finanzierung der Zentralen an sich ist wirklich Ländersache. Da kann ich nur sagen, da müssen auch die Länder ihrer eigenen Aufgabe auch gerecht werden.

    Wir von unserer Seite geben jedes Jahr auch gerade für den Bundesverband der Verbraucherzentralen Geld aus, was gut angelegtes Geld ist, nebenbei bemerkt. Und wir machen auch einzelne Informationen wie zum Beispiel jetzt gerade bei den Finanzdienstleistungen, die wir auch über Bundesseite auch finanzieren. Aber da ist es eine klare Aufgabentrennung. Aber wir versuchen, unseren Teil dazu beizutragen.

    Hetzke: Für die Umsetzung Ihrer Projekte und Ihrer Ideen brauchen Sie zurzeit die Unterstützung des Koalitionspartners SPD. Nun stehen im September Bundestagswahlen an, und es wird wohl nicht für eine alleinige CDU/CSU-Regierung reichen.

    Aigner: Schade.

    Hetzke: Sollten Sie aber stärkste Partei werden, dann brauchen Sie ja weiterhin einen Partner, wenn es denn nicht reicht, auch wenn Sie das schade finden. Wer wäre denn, bezogen auf Ihr Ressort, Ihr Wunschpartner?

    Aigner: Also, ich würde jetzt sagen, wir kämpfen jetzt erst mal um die bestmöglichen Ergebnisse, und dann unterhalten wir uns über die Partner. Jetzt müssen wir erst mal gewählt werden.

    Hetzke: Ich finde ja, bei vielen Themenfeldern, die Sie betreuen, wie die Gentechnik oder auch der Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten, da habe ich den Eindruck, dass Ihnen die Grünen durchaus näher sind als die FDP zum Beispiel. Könnten Sie sich denn eine Regierungskoalition mit Bündnis90/Die Grünen vorstellen?

    Aigner: Ja, diese Fragen kenne ich natürlich. Ich werde dabei bleiben: Wir schauen jetzt erst mal, dass wir stärkste Kraft werden, und zwar deutlich stärkste Kraft, und dann reden wir nach der Wahl weiter.

    Hetzke: Wenn der Wähler entsprechend Ihren Wünschen gesprochen haben sollte, würden Sie dann auch gerne weiterhin das Amt der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz bekleiden?

    Aigner: Also auch mein Ziel ist erst mal, wieder als Bundestagsabgeordnete für meinen schönen Wahlkreis wieder gewählt zu werden. Und dann werden wir uns der Verantwortung stellen, in welcher Konstellation auch immer.

    Hetzke: Im Wahlkampf stellt ja jedes Ministerium gerne so ein Thema in den Mittelpunkt, um noch mal Wirkung zu zeigen. Haben Sie da noch was in petto?

    Aigner: Also, ich meine, dass wir gezeigt haben, dass wir uns sehr wohl über die Fragen der Verbraucher sehr stark kümmern. Wir haben auch in anderen Bereichen, zum Beispiel im Internet, ein neues Thema aufgegriffen: Wie sicher sind die Daten im Internet, gerade bei der Zielgruppe, die das Internet sehr stark nutzen, bei den Jugendlichen, dass man auch sorgsam mit seinen eigenen Daten umgehen kann. Wir haben die Verbraucherfinanzen gehabt. Wir haben die ganze Palette aus der Ernährung rauf und runter, die wir auch immer in den Vordergrund stellen. Also ich glaube, wir haben viele Themen, die die Menschen direkt betreffen, und um die man sich auch dringend kümmern muss.

    Hetzke: Frau Aigner, sind Sie eigentlich beleidigt oder pikiert, wenn Sie vereinzelt in der Öffentlichkeit als Ziehkind oder Schützling von Horst Seehofer bezeichnet werden?

    Aigner: Also, ich bin ein Gewächs der CSU, und zwar seit über 25 Jahren. Ich verstehe mich mit Horst Seehofer gut. Ich habe schon mehrere Vorgänger sozusagen miterlebt, und ich bin gut verankert, sowohl im Wahlkreis als auch in der Landesgruppe. Und deshalb ist es ein sehr gutes Miteinander.

    Hetzke: Der bayerische Ministerpräsident Seehofer ist ja durch sein Privatleben in die Schlagzeilen gekommen. Und so mancher ist der Ansicht, dass der Vorsitzende der CSU, der Christlich-Sozialen Union, der hätte doch auch eine Vorbildfunktion nach außen hin und - runzelt angesichts dieser Schlagzeilen die Stirn. Wie stehen Sie eigentlich dazu?

    Aigner: Ich halte mich an dem, was auch mein Vorsitzender macht, dass Privatsache eigentlich dieses ist und auch bleibt.

    Hetzke: Frau Aigner, Sie fahren nach Stuttgart zum Bauerntag in der kommenden Woche. Fahren Sie da eigentlich mit gemischten Gefühlen oder stolz erhobenen Hauptes, weil Sie sicher sind, dass Sie etwas für die Bauern tun? Der Deutsche Bauernverband hat ja durchaus kritisch die Agrarpolitik begleitet mit einer Kampagne: "Danke, jetzt reicht's". Wie fahren Sie dort hin?

    Aigner: Also, für meinen Teil und meine Partei oder für unsere Unionsparteien kann ich sagen, dass wir in dieser Legislaturperiode sehr, sehr viel umgesetzt haben, was auch im Sinne der Landwirtschaft ist.

    Ich nehme jetzt einen Bereich, der vielleicht gar nicht mehr so sehr im Fokus ist. Die Frage der Erbschaftssteuer war ein ganz wesentlicher Punkt, der die Landwirtschaft direkt betroffen hätte, und zwar massiv betroffen hätte bis hin, dass die Menschen Grund und Boden hätten verkaufen müssen, um überhaupt den Betrieb weiter zu führen.

    Das halte ich für falsch, das haben wir verhindert, bis hin, dass ich jetzt viele Bereich umgesetzt habe, in der letzten Zeit jetzt gerade eine Frage des Liquiditätsprogramms, um diese schwierige Lage in der Landwirtschaft auch abzufedern. Ich glaube, ich kann einiges vorweisen, und das wissen die Bauern auch.

    Hetzke: Frau Aigner, vielen Dank für dieses Gespräch.

    Aigner: Danke schön.