Archiv


Airframe

Michael Crichton hat es geschafft - wieder mal. Wieder mal hat er seinen Riecher für Zeitgeistthemen unter Beweis gestellt, wieder mal hat er aufwendig recherchiert, wieder mal ist am Ende aus all dem angelesen Wissen, dem aufgeschnappten Insiderjargon ein Buch geworden. "Airframe" heißt es, und der Titel deutet das Thema schon an: um Luftffahrt geht´s im neuen Crichton, genauer: um die amerikanische Luftfahrtindustrie.

Eva Gritzmann |
    Crichton in die Riege der Trivialautoren alter Schule einzuorden - ein Mißverständnis. Michael Crichton schreibt nicht "fiction", Michael Crichton schreibt "faction": Mit seiner Mischung zwischen Sachbuch und Unterhaltungsliteratur steht er Autoren vom Schlag eines James Michener also näher als Daniele Steele. Nicht auf das Wie dessen, was da thematisiert wird, kommt es an, sondern auf das Was. Wie Modedesigner Ideen zu neuen Entwürfen nicht aus dem luftleeren Raum beziehen, sondern aus gesellschaftlichen Trends, so schöpft der Bestsellermacher Crichton die Themen seiner Bücher aus der sozialen und politischen Agenda des Alltags. So klobig die sprachliche Verpackung seiner Schmöker auch sein mag, bisher hat ihn sein Gespür für aktuelle Themen nie verlassen. Ob Gentechnik wie in "Jurrasic Park", der amerikanisch-asiatische Wirtschaftskrieg wie in "Rising Sun" oder sexuelle Belästigung wie in "Enthüllung": die Romane des Mister Crichtons lesen sich wie Menetekel oder zumindest prophetische Schriften, im Vergleich zu denen der bloße Tagesjournalismus ganz und gar nicht "a jour" wirkt, sondern oft nur noch "von gestern".

    "Delectare et prodesse", Vergnügen bereiten und Nutzen stiften, so lautete die Wirkungsabsicht von Romanautoren zu Zeiten der Aufklärung. Kurzweilige Aufklärung, das will auch Michael Crichton. "Airframe" - der englische Titel heißt soviel wie "Flugzeugrumpf" - extrapoliert ein Thema, das im wortwörtlichsten Sinn in der Luft liegt. Nach einem Jahr der Flugzeugkatastrophen handelt dieser Roman von einem Beinahe-Absturz. Eine Maschine des Flugzeugherstellers Norton ist unterwegs von Hongkong nach Denver. Kurz vor der amerikanischen Küste kommt es zu einem Zwischenfall. Aus 10.000 Metern Höhe geht die Maschine in einen abrupten Sturzflug über. Die Passagiere werden aus ihren Sitzen gerissen, die Handgepäckablagen springen auf, es gibt Tote und Verletzte.

    Der knapp vermiedene Crash steht am Anfang des Romans. Was folgt, ist die minutiös geschilderte Untersuchung aller Begleitumstände des Flugunfalls. Sie wird von einer Frau vorangetrieben, die ihren Mann steht. Casey Singleton ist Vizepräsidentin bei Norton, des Herstellers der Unglücksmaschine, der um den guten Ruf seiner Produkte fürchtet. Die Frauenfiguren in den bisherigen Romanen Crichtons lohnten eine psychoanalytische Deutung. Sei es das meckernde Mädchen aus "Jurassic Park", die männermordende Managerin aus "Enthüllung" oder deren Widersacherin, die mütterliche Chefin: sie waren eklige Biester oder keusche Heilige, Täter oder Opfer, nur eines waren sie nicht: Menschen.

    Man mag einwenden, daß auch die männlichen Charaktere Crichtons bestenfalls zweidimensionale Pappkameraden sind, doch Casey Singleton aus "Airframe" ist insofern eine Ausnahme im Reigen der Crichtonschen Figuren, als ihr vom Autor größere Indivualität gewährt wird als sonst bei Frauen in seinen Romanen üblich. Und das hat seine Gründe: bei näherem Betrachten ist Casey als Frau so glaubwürdig wie Charleys Tante. Casey denkt, redet und handelt wie ein Mann, Casey empfindet beim Sex wie ein Mann, und deshalb heißt sie wohl auch wie ein Mann. Kurz gesagt: wohl um Vorwürfe der politisch Korrekten in den USA abzuwehren, hat Crichton das größte Geschlechtertausch-Spektakel inszeniert seit der "Widerspenstigen Zähmung" - oder, um mit dem für Crichton relevanten Medium Film zu argumentieren, seit "Tootsie" und "Viktor, Viktoria".

    Bleibt die Oberflächen-Handlung von "Airframe": bei der Aufklärung des Flugunfalls muß sich Casey nicht nur gegen die um Arbeitsplätze bangenden Gewerkschaften und einen kriminellen Firmenboß zur Wehr setzen, sondern gegen die Medien. Damit kommt der Roman nach gut 200 Seiten zu seinem eigentlichen Thema.

    Nicht Information, so Crichtons These, steht im Mittelpunkt des Journalisteninteresses, sondern Sensation. Reißerische Schlagzeilen, schnelle Schnitte und emotionsträchtige Bilder garantieren Quote, sie sind der Stoff, aus dem Werbeeinnahmen und Publicity und damit Journalistenkarrieren gemacht werden. Diese Art des neuen Infotainment verkörpert in Airframe eine junge, rücksichtslose Fernsehreporterin, genau besehen auch sie eine "Drag Queen", ein Mann in Frauenkleidern.

    Ehe es zum Showdown der beiden Damen in den Lüften kommt, wird noch ein Loblied auf die amerikanische Wertarbeit angestimmt und - auch das typisch für Crichton - die Gelbe Gefahr beschworen. Unfreiwillig ironisch dabei nur, daß der Roman vor Fachchinesisch aus der Aeroindustrie nur so strotzt. Das liest sich dann so: "Casey ist jetzt QA-Vertreterin bei IRT. Da sie den RTO in DFW so souverän gehandhabt hat, ist sie ab jetzt unsere offizielle Pressesprecherin. Noch Fragen?"

    Keine Fragen. Michael Crichtons neuer Roman hat mit Literatur so viel zu tun hat wie Casey Singleton mit einer Frau.