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Akademie des guten Geschmacks

Aus einer Protestaktion gegen Fast-Food-Ketten, der so genannten Slow-Food-Initiative des Italieners Carlo Petrini, wurde mittlerweile eine Organisation mit 80.000 Mitgliedern. Und einer eigenen Universität: Die weltweit erste und einzige Hochschule für gastronomische Wissenschaften steht in Piemont und bildet zu diplomierten Gastronomen aus. Kirstin Hausen berichtet.

    Die Aula Magna, der größte Hörsaal der neuen Universität. Erste Stunde: Gastronomie und Ökonomie. Richard Ebner aus Ingolstadt sitzt in der dritten Reihe, zwischen Kommilitonen aus den USA und Japan. Vor ihm steht ein Laptop mit modernster Software, sein Stuhl, sein Schreibpult, alles höhenverstellbar und nagelneu. Studienbedingungen, von denen woanders nur geträumt wird.

    "Es war ein Grund mit, dass ich bisher an einer deutschen Uni studiert hatte und dann beschlossen habe, ich will nicht mehr drei Stunden anstehen, damit ich den Seminarplatz dann doch nicht kriege."
    Vier Semester studierte Richard Philosophie und Geschichte, das war ihm aber zu theoretisch. Jetzt hat er umgesattelt auf Esskultur. Die studiert er nicht nur im Hörsaal, sondern auch in Käsereien in Frankreich und auf Maisfeldern in Mexiko. Denn Studienreisen gehören zum Stundenplan. Zweieinhalb Monate im Jahr sind die Studenten mit ihren Professoren unterwegs in Sachen guten Geschmacks.
    "Das Konzept, das hinter der Universität steht, geht von einer Gastronomie aus, die auf dem Acker entsteht, dort, wo die Tiere brüllen und die Bauern die Felder bewirtschaften. Es ist unmöglich, die Gastronomie von der Umwelt, in der die Lebensmittel gedeihen, zu trennen. Oder die Qualität der Produkte von der Qualität der Erde, in der sie wachsen."

    Alberto Capatti, Rektor der Universität für gastronomische Wissenschaften, betont den interdisziplinären Charakter des Studiums. Naturwissenschaftliche Fächer wie Chemie, Bodenkunde, Biologie und Botanik werden kombiniert mit geisteswissenschaftlichen Fächern, wie zum Beispiel "Kulturgeschichte der Gastronomie". Das Fach steht heute aber nicht auf dem Stundenplan. Stattdessen geht es rüber in den Computerraum.

    Informatik - nicht unbedingt das Lieblingsfach von Ulrike Picher, einer ausgebildeten Köchin aus Berlin. 25 Jahre alt, braune Locken, ein scharf geschnittener Mund.

    "Ich hab ziemlich früh angefangen zu kochen und das Bewusstsein fürs Kochen früh entdeckt. Dann war ich in Brasilien acht Monate und hab dort ein Bistro mit aufgebaut. Bin dann zurückgekommen und hab mir gedacht: watt jetzt? Zurück in die Küche, bis zum eigenen Restaurant oder was gibt’s als Alternativprogramm? Ich war nie so ein Studiosus, aber dann hab ich mir gedacht, das musst du dir jetzt aber auch mal antun"

    Ein Zuckerschlecken ist das Studium nicht. Am Ende des Semesters: mündliche und schriftliche Prüfungen. Trotzdem lernt man an der Universität für Gastronomische Wissenschaften anders als gewöhnlich.

    Spumante, Sekt wird nicht nur in seine chemischen Einzelteile zerlegt, sondern auch degustiert. Und das Mensaessen hat Drei-Sterne-Qualität.

    Diskussion von Ulrike und Kommilitonen: ist das Kaninchenfleisch? Gepökelt? Ja. Nein....
    Die Mittagspause dauert länger als eine Stunde. Gegessen wird mit Genuss und langsam, ganz nach der Slow-Food-Philosopie.

    Danach treffen sich die Studenten in Grüppchen zum Kaffeetrinken. Oder besuchen die gut bestückte Bibliothek der Universität.

    "Dass man mal gemütlich ein Käffchen trinken geht oder einen Aperitivo am Wochenende nimmt, da muss man sich fast schon zu zwingen. Weil es soviel zu lernen gibt. Die Bibliothek steht voller Reichtümer. Man hat die Zeit nicht. 24 Stunden reichen nicht aus."

    Nach drei Jahren Grundstudium spezialisieren sich die Studenten auf "Kommunikation" oder "Betriebswirtschaft". Richard Ebner tendiert zur Kommunikation. Passt besser zu seinem Berufswunsch.

    "Ich möchte auf jeden Fall in Richtung Publizistik. Aber ob das Public Relations ist oder im öffentlichen Dienst oder in der Presse, da lass ich mich mal überraschen."

    Noch muss sich der 23-Jährige nicht beruflich festlegen. Noch heißt es: die Schulbank drücken. Und nächste Woche geht es für die Erstsemester an der Hochschule für guten Geschmack zum ersten Mal vors Uni-Tor. Dann studieren sie drei Tage lang in der Metzgerei. "Gepökeltes Fleisch und Wurstwaren" heißt das Fach.