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Akademisch übt sich, wer ein großer Autor werden will

Nirgends werden literarische Ambitionen so strategisch gefördert wie in den USA. Die Grundtechniken des kreativen Schreibens - wie baue ich einen Text auf, was tun gegen Schreibblockade - werden schon an der Highschool vermittelt. Und für alle, die da nicht aufgepasst haben, gibt es später immer noch genügend Nachhilfe, etwa auf Dichterworkshops, die je nach Dauer und Dienstleistung zwischen 50 und 700 Dollar kosten. Offenbar sind Amerikaner der nüchternen Ansicht, dass sich das Schreiben wie jedes andere Handwerk erlernen lässt. Die professionellen US-Literaten sind keine Ausnahme.

Von Beatrice Uerlings |
    Wenn es in der zeitgenössischen US-Literatur ein Wunderkind gibt, dann ist das Christopher Paolini. Sein Abenteuerroman "Eragon" wurde monatelang von den Kritikern gelobt und verkaufte sich besser als die letzten vier Harry-Potter-Bücher. Paolini war erst 15 Jahre alt, als er sein Werk schrieb, und ist nie zur Schule gegangen: Lesen und Schreiben brachten ihm die Eltern bei, die atemberaubenden Landschaften von Montana taten den Rest.

    Die Berge vor meinem Schlafzimmerfenster, die Sonnenuntergänge, wenn der Schnee Gold auf den Gletschern glitzert - damit bin ich aufgewachsen, das hat mich inspiriert. Ich habe ein Jahr lang an der ersten Fassung meines Buches gearbeitet. Dann habe ich noch einmal ein ganzes Jahr an der Sprache gefeilt, Charaktere, Dialoge und Beschreibungen herausgearbeitet. Erst als ich mit allem zufrieden war, habe ich es meinen Eltern gezeigt.

    Paolini ist eine Ausnahme. Die meisten US-Bestsellerautoren haben ihr Fach gelernt und ein Diplomstudium in "Creative Writing" absolviert. Der Lehrgang dauert mindestens zwei Jahre und wird an nahezu 100 US-Universitäten angeboten. Der Trend ist relativ neu: Er hat sich erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts von der University of Iowa aus verbreitet. Ohne die akademische Ausbildung wäre uns so manches gute Buch entgangen, meint Christian Hawkey, Professor für kreatives Schreiben am New Yorker Pratt Institute.

    Flannery O'Connor ist ein gutes Beispiel. Er wäre nie ein großer Romancier geworden, wenn man ihm nicht geholfen hätte, seine Dislexie zu überwinden. Aber natürlich war er begabt, sonst hätte er keinen Studienplatz bekommen. Jeder, der hier kreatives Schreiben studieren will, muss das Professorenkollegium von seinem Talent überzeugen: Angenommen wird nur, wer eine viel versprechende Leseprobe einreicht. Die Studienplätze sind auch sehr begrenzt: Die meisten Fakultäten bilden maximal zehn angehende Schriftsteller pro Jahr aus.

    Am Anfang des Studiums steht das Handwerk. Hawkins legt großen Wert darauf, dass seine Studenten sämtliche Erzählformen und Stilrichtungen der Weltliteratur lernen. Erst wenn sie die verschiedenen Techniken so sehr verinnerlicht haben, dass sie beim eigenen Schreiben unbewusst darauf zurückgreifen können, kanalisiert der Professor ihre Kreativität.

    Ich beauftrage meine Studenten zum Beispiel damit, einen wissenschaftlichen Artikel über das Migrationsverhalten der Blauwale zu zerlegen und aus den Wörtern, die darin vorkommen, eine neue, eigene Geschichte mit literarischem Anspruch zu basteln. Ziel der Übung ist es, sich von der Idee des autoritären Autors zu befreien und seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Im fortgeschrittenen Studium spielen solche Ansätze allerdings nur noch eine untergeordnete Rolle: Die Studenten schreiben dann fast ausschließlich an einem literarischen Werk, das sie als Diplomarbeit einreichen werden; und sie kommen allenfalls noch zu den Seminaren, um sich mit ihren Kommilitonen und Professoren literarisch auszutauschen oder Kapitel gegenlesen zu lassen. Von diesem Zeitpunkt an hat die Universität eine ähnliche Funktion, wie damals die Literatenzirkel in Prag oder Paris.

    An dem Vergleich ist etwa dran, denn die meisten Professoren sind in erster Linie selber Schriftsteller. Und viel wichtiger als ihre Lehre ist mitunter, was sie außerhalb des Hörsaales für ihre Studenten bewirken. Erfolgsautor David Foster Wallace, der an der Princeton University unterrichtet, vermittelt regelmäßig Studenten an seinen eigenen Agenten. Seine Professoren- und Schriftstellerkollegin Joyce Carol Oats darf sich sogar rühmen, eine Schlüsselrolle bei der Entdeckung von Jonathan Safran Foer gespielt zu haben, dessen Diplom-Roman "Alles ist erleuchtet" inzwischen auch in Deutschland erschienen ist.

    Sie war meine Lehrerin und irgendwann ist sie auf mich zugekommen und hat gesagt, dass sie eine große Bewunderin von mir ist. Ich wusste, dass ich das ernst nehmen konnte und auf ihre Unterstützung zählen durfte, denn Oats hat mich auch oft kritisiert.

    Doch selbst das größte Talent, das beste Studium und die besten Lehrer sind keine Erfolgsgarantie. Gerade mal fünf Prozent derjenigen, die ein Hochschulstudium in "Creative Writing" abgeschlossen haben, schaffen es, ein eigenes Buch zu veröffentlichen. Die meisten anderen landen im Verlagswesen oder werden ... Journalisten.