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Akademischer Ableger auf chinesischem Boden

In der südchinesischen Stadt Shenzhen findet seit knapp zwei Jahren ein ungewöhnliches Hochschulprojekt statt: In der School of Transnational Law absolvieren chinesische Studierende ein rein amerikanisches Jura-Studium. Öffnet die Volksrepublik ihre Universitäten für westliche, freiheitliche Ideen?

Von Markus Rimmele |
    Der Hörsaal füllt sich. In den Bankreihen stellen die Studierenden Namensschilder auf. Das ist wichtig. Denn die aus den USA kommende Dozentin ruft ständig jemanden auf und braucht noch etwas Unterstützung bei den chinesischen Klängen. Aktive Mitarbeit gehört hier zur Lehrmethode. Alle im Raum diskutieren und analysieren gemeinsam Präzendenzfälle im US-Rechtssystem. Für den 26-jährigen Zhang Zhenduo war diese Lockerheit anfangs ein Kulturschock, allerdings ein angenehmer.

    "Der Dozent ist eher wie ein Freund und verlangt nicht Respekt. Und wir müssen im Unterricht keine förmlichen Präsentationen abliefern. Die Atmosphäre ist freundlicher."

    Die School of Transnational Law, kurz STL, ist anders als normale chinesische Hochschulen. Das beginnt schon bei der bescheidenen Größe: Pro Jahrgang lernen hier nur etwa 200 in einem strengen Verfahren ausgewählte Studenten. Das nagelneue weiße Hochschulgebäude steht in einem üppigen subtropischen Park auf dem Gelände der Shenzhener Universitätsstadt. Ungewöhnlich sind aber vor allem auch die Lehrinhalte. Die STL ist zwar eine Gründung der Pekinger Universität. Doch sie bildet nach US-amerikanischem Modell Juristen aus. Nur, dass hier eben alle Studierende aus China kommen, sagt der Dozent Paul DePascuale.

    "Das Ziel ist, zwischen chinesischen Juristen und denen aus anderen Ländern eine Brücke zu schlagen. Die Denkweisen sind doch sehr unterschiedlich. Die Studenten sollen eines Tages mal das chinesische Rechtssystem weiterentwickeln. Andere werden für internationale Anwaltskanzleien arbeiten. Manche aber wollen einfach Analysefähigkeiten erlernen, die sie anderswo nicht bekommen."

    Analysefähigkeiten, aber auch neue Ideen von Rechtsstaatlichkeit. Es ist nur natürlich, dass die Studierenden das System aus den USA laufend mit dem heimischen vergleichen. Die 23-jährige Li Jiangfeng würde gern ein paar Dinge für China übernehmen.

    "In China werden zum Beispiel Richterentscheidungen nicht veröffentlicht. In den USA sind sie für jeden zugänglich. Hätten wir so eine Regelung in China, müssten die Richter vernünftiger entscheiden, um öffentliche Kritik zu vermeiden."

    So gelangen über die STL auch kritische Gedanken ins Land. Chinas Staatsführung, die etwa im Internet nichts unzensiert lässt, erlaubt an den Hochschulen diesen Einfluss von außen, fördert ihn gar. Chinas Hochschulen arbeiten in Tausenden von Gemeinschaftsprojekten mit Einrichtungen im Ausland zusammen. Allein mit Deutschland gibt es rund 500 akademische Kooperationen und gerade läuft ein gemeinsames Wissenschaftsjahr . Doch es wäre ein Fehler zu glauben, dass dadurch Chinas politisches System grundlegend verändert würde, sagt Björn Ahl. Er hat vier Jahre lang Jura in einem deutsch-chinesischen Gemeinschaftsprojekt an der Universität Nanjing gelehrt.

    "Die Studenten durchlaufen während des Magisterstudiums politische Schulungen. Also, diese Balance, dass man die Studenten einerseits frei lässt, auf der anderen Seite dass man sie doch indoktrinieren möchte und kontrolliert, das wird aufrecht erhalten. Und diese freiheitlichen Elemente, wenn man eine Veranstaltung macht zu Grundrechten und zu Menschenrechten, das wird da einfach mit integriert, das wird nicht als Widerspruch gesehen. "

    Autor: Oder anders ausgedrückt: Ein Student darf und soll ruhig wissen, wie etwa Meinungsfreiheit funktioniert, um andere, vorwiegend die westlichen Länder, zu verstehen. Aber deshalb muss er noch lange nicht denken, dass diese Freiheit auch wünschenswert für China ist. Dieser Balanceakt scheint zu funktionieren. Die chinesische Studentenschaft ist mehrheitlich linientreu. Auch Li Jiangfeng steht hinter ihrer Regierung und will einmal für sie arbeiten. Deshalb studiert sie an der STL.

    "China ist zum Beispiel in viele internationale Rechtsstreitigkeiten verwickelt. Aber es gibt in China nur wenige Anwälte, die solche Fälle behandeln können. In WTO-Verfahren zum Beispiel muss die Regierung internationale Kanzleien anheuern. China braucht also einheimische Anwälte, die sich mit dem internationalen Recht sehr gut auskennen. Darauf will ich hinarbeiten."

    So führen Hochschulkooperationen sicherlich zu mehr gegenseitigem Verständnis, doch nicht unbedingt zu politischem Wandel im Sinne des Westens. Beispiel chinesisches Rechtssystem. Nach einer langen positiven Entwicklung hin zu einer unabhängigeren Justiz, sagt der Jurist Björn Ahl, mache China seit einiger Zeit wieder Rückschritte. Ahl lehrt heute Jura in Hongkong.

    "Es gibt zum Beispiel einen Slogan der drei Prioritäten, bei der das Volk an erster Stelle steht, dann die Partei und an dritter Stelle erst das Recht. Das Recht wird stäker als ein politisches Instrument gesehen. Und das ist in gewisser Weise auch eine Deprofessionalisierung des Rechts und des Rechtsanwendungsbetriebes. Momentan ist es eine andere Stimmung als noch vor drei oder vier Jahren."