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Akademischer Orthographie-Wirrwarr

Ab heute ist sie rechtskräftig: die neue Rechtschreibung. Bis auf in Bayern und Nordrhein-Westfalen werden nun in allen Bundesländern die Schüler nach den neuen Regeln benotet. Die Studenten auch? Das ist je nach Fach und Universität ganz unterschiedlich.

Von Jens Rossbach |
    Für den Germanistik-Studenten Ben Ewald ist die Sache klar: Ab sofort gilt die neue Rechtschreibung auch an jeder Hochschule: "Also ich denke mal, wenn das rechtskräftig ist, das wird dann schon Standard sein. Und das gibt dann halt mächtigst Abzüge wenn halt da die Rechtschreibung nicht stimmt oder halt der Satzbau oder Kommata-Fehler und so weiter. Also das wird wohl eminent wichtig werden".

    Die Philosophie- und Ärchäologie-Studentin Annelie-Catherine Hoffmeister dagegen glaubt, dass sich nichts ändern wird: "Unser Dozent hat darauf hingewiesen, dass es ganz wichtig für ihn ist, dass die griechischen und römischen Fachbegriffe richtig geschrieben werden. Das ist ganz wichtig. Das andere ist auch wichtig, aber da wird er mal nicht so hingucken, hat er gemeint".

    Und ihrem Kommilitonen Holger Schmidt ist alles egal: "Ich schreib so gut wie ich kann und wie mein Rechtschreibprogramm mir das sagt. Ich hoffe, Microsoft kann die gut und dann den Rest, na ja, ist gut Glück".

    Große Verwirrung: Gilt nun die alte oder die neue Rechtschreibung an der Uni? Die Antwort: Nach geltendem Recht müssen die Hochschulen die neue Rechtschreibung nicht anwenden. Aber sie können sie anwenden. Beispiel Humboldt-Universität: Die Verwaltung der Humboldt-Uni schreibt nach den neuen Orthografie-Regeln - vom Immatrikulationsbüro bis zum Präsidialamt. Der Akademische Senat habe dies so beschlossen, berichtet Pressesprecherin Angela Bittner.

    "Ja, wir wollten mit der Universität gerne mit der Zeit gehen."

    Anders sieht das in den einzelnen Fakultäten der Uni aus. Die Philosophen und Historiker etwa haben bereits vor Jahren entschieden, studentische Arbeiten generell nach Duden-Norm zu kontrollieren. Und die Norm hat sich geändert - also gelten die neuen Regeln. Allerdings: Es ist nur eine Empfehlung für die Dozenten, Punkteabzug gibt`s bei Verstößen nicht. Wiederum anders: die Lage bei den Germanisten. Deutsch-Professor Michael Kaemper van Den Boogaart hält nichts von einer einheitlichen Fakultäts-Regelung.

    ""Ich hielte das zumindest für absolut bedenklich, weil das innerhalb der Fakultät fast einen Religionskrieg auslösen würde, wie ich mir vorstelle. Und viele meiner Kollegen und Kolleginnen haben sich auch eher als Gegner der Rechtschreibreform profiliert, und ich nehme nicht an, dass die ihren Habitus, ihren Orthografie-Habitus noch verändern werden"."

    Das heißt: Solange die Deutsch-Profis streiten, bleibt für die Studierenden alles beim Alten:
    "Hier ist es gegenwärtig noch so - ich korrigiere gerade Klausuren - dass die Studierenden sich entscheiden können, ob sie der neuen oder alten Rechtschreibung folgen. Gegenwärtig ist es sicher so, dass es weiterläuft wie in den letzten Jahren".

    Kompliziert wird es nun für diejenigen, die auf Lehramt studieren. An der Uni können sie noch schreiben wie sie wollen, doch bei der Prüfung kommen sie damit nicht durch. Denn bei einem Staatsexamen hat nicht die Hochschule das Sagen, sondern das jeweilige Ministerium. Jens Stiller von der Berliner Senatverwaltung für Bildung, Jugend und Sport erklärt die Rechtslage:

    ""Ab ersten August ist die Regelung, die an allen Berliner Schulen gilt, auch für die Lehramtskandidaten für die Prüfung unseres Hauses verbindlich. Das heißt, es wird nach neuer Rechtschreibung geprüft. Konsequent. Wir müssen ja auch davon ausgehen, dass die Lehramtskandidaten auch sehr bald und sehr schnell dann eben auch diese neue Rechtschreibung in den Schulen dann selber unterrichten müssen und da liegt dann eben auch eine Logik da drin"."

    Bizarr: Die Universität, die die Studierenden auf ihren künftigen Beruf vorbereiten soll, lehrt und verlangt die neue Orthografie nicht. Doch in der Schule müssen die Absolventen plötzlich fit sein. Ein echtes Dilemma - gesteht Deutsch-Professor Michael Kaemper van den Boogaart:

    ""Wir sehen das auch etwa im Praktikum, wo es unseren Studierenden häufig Schwierigkeiten bereitet, spontan im Tafelanschrieb den Regeln der neuen Rechtschreibung zu folgen. Das hat aber auch den Vorteil, dass die Schülerinnen und Schüler dann mit aller Aufmerksamkeit korrigierend eingreifen und insofern sich ein sehr interaktives Verhältnis darstellt"."