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Aktion Sühnezeichen Friedensdienst
Damit die Erinnerung am Leben bleibt

Sprache lernen und Überlebende des Holocaust sowie ehemalige NS-Zwangsarbeiter treffen - das ermöglicht die Aktion Sühnezeichen Friedensdienst. Benjamin Brow hat daran teilgenommen. In Berlin berichtete er über seine Erfahrungen bei seinem Dienst in Tschechien.

Von Eva Raisig | 19.03.2015
    Da sitzen sie. Benjamin und Frau Skacelová. Ein junger Mann und eine alte Dame. Als Benjamin Brow vor 20 Jahren geboren wurde, war Zuzana Skacelová schon 61 Jahre auf der Welt. Sechs Jahrzehnte und zwei sehr unterschiedliche Lebensgeschichten liegen zwischen ihnen, ohne sie zu trennen. In einer angenehmen Mischung aus Vertrautheit und Höflichkeit sitzen die beiden auf der Bühne der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft, um über ihren Alltag zu sprechen. Einen Alltag, den sie seit einem halben Jahr miteinander teilen.
    "Wir gehen auf einen Spaziergang, in die Bibliothek, einmal hat sich Benjamin auch ein deutsches Buch geborgt. Wenn wir Zuhause sind, wenn das Wetter nicht sehr schön ist, hören wir klassische Musik, die ich sehr liebe, ich habe viele CDs Zuhause, und ich hoffe, dass das Benjamin auch gefällt."
    Benjamin Brow wollte nach dem Abi ins Ausland - und ist nun einer von 150 meist jungen Freiwilligen aus Deutschland, die im Rahmen der "Aktion Sühnezeichen Friedensdienste" ein Jahr lang mit Menschen und Organisationen vor allem in jenen Ländern arbeiten, die besonders unter dem Terror des Nationalsozialismus gelitten haben. In Ostrava, im äußersten Osten der Tschechischen Republik, betreut Benjamin seit September an drei Tagen in der Woche sozial benachteiligte Kinder, vor allem aus der Roma-Minderheit, zwei Tage verbringt er mit Überlebenden der Shoa und ehemaligen NS-Zwangsarbeitern.
    "Es hat schon eine Bedeutung, dass gerade ich als junger Deutscher ehemalige Häftlinge oder NS-Gefangene besuche und ich finde es immer wieder bemerkenswert wie offen diese Leute sind und einen jungen Deutschen aufnehmen. Natürlich sind wir nicht schuld, wir sind eine ganz andere Generation, aber ich denke schon, dass immer noch eine gewisse Verantwortung damit verbunden ist."
    Erfahrung weitergeben
    Zuzana Skacelová ist eine von vier Überlebenden, die Benjamin regelmäßig besucht. Als Kind war die heute Anfang 80-Jährige vier Jahre lang mit ihrer Familie in einem Zwangsarbeiterlager in der Slowakei eingesperrt bis ihr mit elf Jahren die Flucht gelang.
    "Ich wollte es den jungen Leuten übergeben, meine Erfahrung, aber ich hatte keine Gelegenheit. Meinen eigenen Kindern habe ich auch nichts erzählt. Die ersten 20 Jahre war es nicht möglich, davon zu sprechen."
    Erst jetzt, Jahrzehnte später, gibt die ehemalige Lehrerin ihre Erinnerungen weiter und erzählt auch in Schulen ihre Lebensgeschichte - oder Freiwilligen wie Benjamin.
    "Ich kann mit ihr auch super über Politik oder aktuelle Geschehnisse in der Welt sprechen, über alles mögliche. Klar, manchmal kommt das Thema Vergangenheit wieder ins Spiel und das ist natürlich der Grund der Arbeit, die ich mache, aber es ist nicht immer ein Thema."
    Uta Gerlant, Vorstandsreferentin der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft, die die Auslandsaufenthalte von Aktion Sühnezeichen mitfinanziert, war vor über 20 Jahren selbst als Freiwillige in Russland. Mit Eltern, die den Krieg selbst noch miterlebt hätten, sei Zwangsarbeit in ihrer Familie durchaus ein Thema gewesen.
    "Wenn ich heute junge Menschen frage, wisst ihr, ob es in eurer Familie irgendwie Verbindungen zu Zwangsarbeit gab, die ja in Deutschland wirklich sehr flächendeckend stattgefunden hat, fast jeder hatte Berührung mit Zwangsarbeitern oder hat sie zumindest gesehen, dann wissen die oft gar nichts darüber. Da merkt man, es gibt keine mündliche Tradition, über diese belastenden Geschichten zu erzählen, zu reflektieren und auch weiterzugeben."
    Austausch über Generationen
    Der Freiwilligendienst - ein Austausch über Generationen hinweg, der oft auch noch nach der Rückkehr nach Deutschland fortgeführt wird - ermöglicht Erfahrungen, die weder Schule noch Gedenkstättenpädagogik in dieser Art leisten können. Zuzana Skacelová hat allein schon sechs Freiwilligenjahrgänge bei sich in Ostrava begrüßt. Wird es ihr schwer fallen, Benjamin in einem halben Jahr wieder gehen zu lassen?
    "Nein, ich bin nicht sentimental. Ich weiß, er wird wiederkommen, um uns zu besuchen."
    Auf dem Podium zeigt sich neben aller Nachdenklichkeit eines alten und eines jungen Menschen und ihrer gegenseitigen Zugewandtheit vor allem auch: eine große Unbeschwertheit über Generationengrenzen hinweg.
    "Ich glaube, das ist Pia, Benjamins Vorgängerin, da hinten im Saal." - "Zeig dich! Wir haben zusammen gekocht und ich habe Pia beigebracht, wie man süße tschechische Knödel macht. Die haben ihr geschmeckt. Haben sie doch, oder?"