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Aktion vor Hamburger Twitter-Zentrale
Hassbotschaften auf Asphalt

Gewaltandrohungen, Homophobie, Holocaustleugnung - in sechs Monaten hat der israelisch-deutsche Künstler Shahak Shapira nach eigenen Angaben 450 Hasskommentare bei Twitter gemeldet und nur neun Antworten erhalten. Als Aktion dagegen sprühte Shapira die Botschaften auf die Straße, direkt vor die Hamburger Twitter-Zentrale.

Von Swantje Unterberg | 08.08.2017
    Shahak Shapira wurde Opfer eines antisemitischen Übergriffs. Instrumentalisieren lassen wollte er sich nicht.
    Shahak Shapira hat für seine Aktion #heytwitter Hass-Tweets vor die Twitterzentrale in Hamburg gesprüht. (Deutschlandradio - Philipp Eins)
    "Ich hab hier etliche Tweets gesehen, am Vormittag, da war ich noch nicht ganz wach. Und am Anfang dachte ich hups, was ist das das denn hier alles, hab mir die Tweets genau angeguckt, und da gesehen, dass das doch ziemlich rechte Sprüche waren: 'Juden vergasen' und 'Nigga' und so was. Konnte das aber nicht einsortieren."
    Mittlerweile zeugen nur noch blau-weiß-schimmernde Farbschattierungen auf dem Asphalt von der Aktion vor der Twitter-Zentrale in Hamburg-Altona. Diese Anwohnerin hatte es selbst gesehen: Der Gehweg und Straße waren mit Tweets in blauer und weißer Farbe besprüht. Rassistisch, homophob, ja menschenverachtend waren die Sprüche, die klar als Kurzbotschaften auf Twitter zu erkennen waren.
    Die Anwohnerin zeigt Fotos und liest vor: "Lass mal wieder zusammen Juden vergasen, die Zeiten damals waren schön."
    Aussagen wie diese gelten als Volksverhetzung und sind in Deutschland klar verboten. Die Aufregung war zunächst groß: Haben Nazis vor der Twitter-Zentrale ihre Hassbotschaften versprüht?
    Aktion gegen Hetzkampagnen bei Twitter
    "Dann habe ich nachrecherchiert und herausgefunden, dass es eine Aktion gegen Twitter gewesen ist, und es darauf aufmerksam gemacht werden sollte, dass Twitter doch bitte mehr Hetzkampagnen löscht, von daher fand ich die Aktion super. "
    Mittlerweile ist klar: Hinter den aufgesprühten Hassbotschaften steckt der israelisch-deutsche Künstler Shahak Shapira. In einem Video, hinterlegt mit Musik, erklärt er die Aktion.
    "Ich hab in den letzten sechs Monaten circa 450 Hasskommentare gemeldet, auf Facebook und auf Twitter. Die Aussagen, die ich gemeldet habe, waren keine Beleidigungen oder satirische Aussagen, sondern absolut ernst gemeinte Gewaltandrohungen, Homophobie, Ausländerfeindlichkeit, Holocaustleugnung."
    Keine Antwort von Twitter
    Facebook habe die meisten Kommentare daraufhin gelöscht. Doch bei Twitter ärgerte ihn die fehlende Reaktion auf die rund 300 dort beanstandeten Tweets.
    "Darauf habe ich innerhalb von sechs Monaten genau neun Antworten bekommen. Und all diese Antworten besagen, dass kein Verstoße gegen die Twitter-Regeln vorliegt. Das war's, auf die restlichen gab es keine Reaktionen."
    Einige wenige Tweets seien zwar gelöscht worden, doch er sei nicht benachrichtigt worden.
    "Und dann dachte ich: Okay, wenn Twitter mich zwingt, diese Dinge zu sehen, dann müssen sie es auch zu sehen. Von all den Hasstweets, die Twitter nicht gelöscht hat, habe ich mir 30 ausgesucht."
    Diese prangten dann schließlich vor der Twitter-Zentrale.
    Nicht nur Zustimmung für Shapira
    Über den Kurzbotschaftendienst erhielt Shapira für seine Aktion viel Zustimmung von anderen Nutzern. Auch Bundesjustizminister Heiko Maas setzte einen Tweet mit Bezug auf Shapira ab. Twitter lösche nur ein Prozent der von seinen Nutzern gemeldeten Hasskriminalität, schrieb Maas darin. Das reiche nicht.
    Maas hatte im Sommer ein Gesetz voran gebracht, dass Internet-Plattformen verpflichtet, Hasskommentare schneller zu löschen. In klaren Fällen soll das binnen 24 Stunden passieren, bei weniger eindeutigen Sachverhalten innerhalb einer Woche. Trotz des ernsten Hintergrunds, nicht überall kam die Aktion gut an.
    "Man hat natürlich das Gefühl gehabt, das waren Nazis, ganz klar. Das ist genau falsch angekommen, wie es hätte ankommen sollen. Ich fand es armselig", sagte eine Passantin. Auch die University of Applied Sciences Europe, die im selben Gebäude wie Twitter sitzt, war von der Aktion entsetzt. Die Uni habe viele internationale Studierende, die durch die rassistischen Tweets verunsichert gewesen seien. Die Campus-Leitung habe deswegen umgehend eine Reinigungsfirma bestellt, die die Tweets vor dem Gebäude entfernte, sagte die Pressesprecherin Jessica Barthel.
    Vage Reaktion von Twitter
    Und Twitter selbst? Ich stehe vor der Gegensprechanlage der Hamburger Konzernzentrale.
    "Ich wollte fragen, ob sie kurz Stellung nehmen würden zu der Aktion von Shahak Shapira, die hier vor Ihrem Haus passiert ist?" "Sehr nett, aber vielen Dank, wenden Sie sich da bitte an unsere offizielle Pressestelle."
    Die sitzt in Irland. Der schnellste Weg sei eine Anfrage per Mail, heißt es auf der Webseite des Unternehmens. Die Antwort kommt prompt, ist aber vage: Zu einzelnen Nutzeraccounts sage man aus Datenschutz- und Sicherheitsgründen nichts, heißt es. Statt dessen listete das Unternehmen auf, wie viel schneller es beim Lesen von Beschwerden mittlerweile geworden sei. Zudem verweist der Sprecher auf die Möglichkeiten, die Nutzer selbst hätten: Sie könnten andere Accounts, die Hassbotschaften verschickten, in ihrem eigenen Account selbst stumm schalten oder blockieren.