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"Aktions-Fotografie"

Nino Rota komponierte die Musik zu dem vielleicht berühmtesten italienischen Film des letzten Jahrhunderts: La Dolce Vita von Federico Fellini. Ein Film, der von V.I.Ps und jenen Fotografen handelt, die Stars und Sternchen abzulichten versuchen - auch gegen deren Willen. Fellini errichtete dem Paparazzo ein cineastisches Monument und Rotas Musik wurde weltberühmt. Paparazzi, das war in den 60er und 70er Jahren noch kein Schimpfwort, sondern lediglich die Bezeichnung für einen Beruf, der etwas ganz Neues darstellte, zum Phänomen wurde, ohne das heute keine Klatschzeitschrift mehr existieren kann. Im Rom des Dolce-Vita-Films waren die schnellen Fotografen, die sich oft genug auch mit der High Society anlegten, um einen brisanten Snapshot zu erhaschen, Stars. Männer, denn weibliche Paparazzi gab es damals wie heute keine, die selbst zu Ikonen wurden, zu Idolen, deren Bilder heute zu hohen Preisen gehandelt werden. Die römische Ausstellung "A Flash of Art" will nachweisen, dass die Fotografien der Paparazzi jener Jahre Kunst sind. Dazu Ausstellungsmacher und Kunstkritiker Achille Bonito Oliva:

Von Thomas Migge |
    Es handelt sich um ein Phänomen, die Paparazzi, das in den 50er Jahren entstand. Diese Fotografen entwickelten ihren Arbeitsstil genau in jener Zeit, als in Italien und woanders Maler und Bildhauer das Actionpainting erfanden, die Aktionsmalerei, eine Kunstform, einen Trend. Die Paparazzi sind Aktionsfotografen, die ihren Körper einsetzen und nicht nur, wie in der traditionellen Fotografie, ihren Blick.

    Die römische Ausstellung zeigt 400 bisher unveröffentlichte Aufnahmen aus Privatarchiven. Schwarz-Weiß-Bilder, die allesamt Prominente zeigen: Ingrid Bergmann und König Faruk, Soraya und Sofia Loren, Brigitte Bardot und Alain Delon und andere. Erhaschte Bilder, die keine langen Einstellungszeiten erfordern, die schnell geschossen werden müssen, zumeist vom Moped aus, damit man nach dem Bild gleich davon sausen kann, um dem Zorn der Abgelichteten zu entgehen. Achille Bonito Oliva:

    Diese Fotografen setzten auf Schnelligkeit und suchten einen direkten Kontakt mit den Personen, die sie darstellen wollten. Auf diese Weise schufen sie einen künstlichen Set, einen Bildhintergrund, der die Stadt Rom zum ungewollten Protagonisten erhob. Diesen Bildern ist es zu verdanken, dass der Rommythos entstand, der noch heute Millionen von Besuchern anzieht. Die Paparazzi waren die ersten Künstler, die, ungewollt, das Konzept des Images und seiner Bedeutung entwickelten.

    Das Image einer Stadt und das Image einer Person. Wie zum Beispiel auf dem Bild, das Brigitte Bardot beim Verlassen des Café Doney an der Via Veneto zeigt. Zu sehen ist eine distanziert-cool blickende Frau mit einer Zigarette im Mund. Ihre Augen sind von einer großen Sonnenbrille verdeckt. Die anderen Gästen starren sie neugierig an. Fotograf Tazio Secchiaroli gelang es mit diesem Schnappschuss, der noch heute in italienischen Zeitungen benutzt wird, wenn von der Bardot die Rede ist, das Image der Französin in Italien festzulegen: Fortan galt sie als unnahbar und arrogant. Das Café Doney profitierte vom Ruhm der abgelichteten Brigitte Bardot: Es wurde zum römischen In-Lokal.

    Auf einer anderen Fotografie ist Anita Ekberg zu sehen. Der schwedische Busenstar spielte die Hauptrolle in Fellinis "La dolce Vita". Das Bild des Fotografen Alessandro Canestrelli zeigt eine Antita Ekberg, die sich einen Finger in die Nase steckt. Sie fühlte sich unbeobachtet. Canestrelli drückte genau in jenem Moment auf den Auslöser, als Signora Ekberg sich des Beobachters bewusst wurde. Die Fotografie wurde berühmt. Kunstkritiker Bonito Oliva ist davon überzeugt, dass Bilder wie dieses der bis dato vorherrschenden Idee, wonach die Fotografie nur eine ästhetische Kunst zu sein hat, den Garaus machten - in dem sie die Realität und die aktuelle Situation so wiedergeben, wie die Fotografen sie sahen:

    Das sind Leute, die etwas Originelles schufen. Deshalb wollte ich die Paparazzi von der Seite Vermischtes, um in der Zeitungssprache zu reden, auf die Kulturseite holt. Sie haben eine neue Bildsprache entwickelt, die die Fotokunst nachhaltig beeinflusste. Unsere Bilder stammen aus dem Zeitraum 1953 bis 1973 und der Besucher sieht deutlich, wie sich diese Bildsprache perfektionierte. Aus einer handwerklichen Neuheit entstand ein künstlerisches Bewusstsein.