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Aktive Bürger, keine braven Patrioten

Russlands Regierung hat 2009 zum "Jahr der Jugend" erklärt und will Projekte für Jugendliche und junge Erwachsene fördern. Zugleich kündigte Präsident Dmitri Medwedew an, ein Gesetz zu entschärfen, mit dem sein Vorgänger Putin den Druck auf Nichtregierungsorganisationen (NGO) erhöht hatte. Eigentlich nur frohe Botschaften für NGOs, die sich auch noch um Jugendliche kümmern. In Perm, der kleinsten russischen Millionenstadt, bleibt man aber skeptisch.

Von Judith Kösters | 16.04.2009
    Eine Hotellobby im russischen Perm. Abschlussseminar des Projektmanagement-Kurses der kleinen NGO "Institut Graschdanskoj Aktivnosti" - "Institut für bürgerliche Aktivität". Lena, 21 Jahre alt, in Stiefeln, Jeans und schwarzem Rollkragenpulli, berichtet stolz von ihrem Projekt, das sie über die letzten paar Monate hinweg in Berezniki realisiert hat, einer kleinen Stadt im Norden der Region Perm.

    "Die Leute sagen immer: In Berezniki ist gar nichts los für junge Leute. Wir haben deshalb einen kleinen Film gedreht und einen Pferdesportklub vorgestellt, einen Kampfsportverein und eine Theatergruppe. Der Film lief im Lokalfernsehen, außerdem haben wir ihn mit schickem Design und allem auf DVD gebrannt und verteilt. Und am Ende des Films gibt es einen Hinweis auf unsere Internetseite."

    Die Projekte der anderen Jugendlichen: Ein Theaterworkshop, eine Uni-Zeitung, ein Projekt für behinderte Kinder. Soja Lukjánowa, 28 Jahre alt, mit schwarzer Lockenmähne und einer langen dicken Perlenkette über der weißen Bluse, ist die Chefin der NGO, die das Ganze organisiert hat. Sie hastet von einer Gruppe zur nächsten und erklärt zwischendurch, wie ihre Projektmanagement-Kurse aus den jungen Leuten aktive Bürger machen sollen:

    "Dieses 'Demokratie leben' heißt, auf eine demokratische Weise miteinander umzugehen, das heißt, mit Minderheiten umgehen können, das heißt demokratische Entscheidungen treffen, dass nicht ich im Vordergrund stehe, sondern dass auch die anderen Leute mitdenken und mitgestalten können."

    Was sie auf die Beine stellen wollen, entscheiden die Teilnehmer selbst, sagt Soja Lukjánowa, es muss nicht explizit politisch sein. Hauptsache, die Jugendlichen lernen, ihre Standpunkte zu entwickeln, mit Behörden zu diskutieren und gemeinsam Lösungen zu finden. Sie sollen merken: Ich kann etwas verändern. Das Konzept hat die NGO vom deutschen Theodor-Heuss-Kolleg übernommen, mit dem sie regelmäßig zusammenarbeitet. Deshalb spricht Soja Lukjánowa auch so gut deutsch, genau wie ihre Kollegin, Oxana Iwanowa. Die ist genauso begeistert von den Projektkursen - auch wenn sie nicht unbedingt zur offiziellen Moskauer Linie passen:

    "Unser Präsident spricht ja auch an jeder Ecke über die Demokratie, und Russland ist ein demokratischer Staat, die Frage ist bloß: Was passiert tatsächlich? Also es passieren sehr viele unterschiedliche Sachen, es gibt demokratische Ansätze aus meiner Sicht, aber es gibt natürlich auch andere Strukturen, die andere Regime fördern und sehr stark fördern und an der Macht sind und an den Ressourcen sind."

    Damit meint sie Putins Partei "Edinaya Rossiya" - "Einiges Russland", die in Perm, wie überall in Russland, an den Hebeln der Macht sitzt und die Regionalregierung stellt. Das nationale Budget für Jugendarbeit wurde gerade gekürzt, sagt Oxana Iwanowa. Wenn überhaupt fördere Moskau gezielt Projekte mit sogenannter patriotischer Ausrichtung, und in das Raster passe ihre NGO sicher nicht. Doch Perm gilt als liberale Region: Gerade haben sie und ihre Kollegin erreicht, dass die Regionalregierung ihre Projektmanagement-Kurse weiterhin fördern wird.

    Zum Abschluss der Seminarveranstaltung hat die NGO eine Podiumsdiskussion organisiert. Thema: Was bringt uns das für 2009 in Russland ausgerufene Jahr der Jugend? Die Moderatorin, Anfang 20, blond und sorgfältig geschminkt, zitiert aus Internetforen:

    "Was wir vom Jahr der Jugend erwarten? Jede Menge dumme Sprüche, jede Menge Propaganda, ein paar Konzerte, offizielle Erklärungen und Aktionen. Dann hat man uns einen Jugendfernsehkanal versprochen, auf dem man uns alle im patriotischen Geist unseres Staates erziehen wird. Dieses Jugendjahr wird eine staubige Beamtenveranstaltung werden."

    Die Vertreter der Regionalverwaltung auf dem Podium widersprechen nicht wirklich. Und Soja Lukjánowa bleibt trotz der spöttischen Bemerkungen im Internet optimistisch. Manchmal müsse man einfach kreativ sein, sagt sie und lächelt ihr breites offenes Lächeln. Vor kurzem hat Präsident Medwedew die mangelnde Rechtssicherheit in Russland beklagt. Diese Äußerungen will die NGO aufgreifen: Sie wird eine Seminarreihe zum Thema Menschenrechte anbieten - und sich dabei explizit auf Medwedews Worte berufen.