Netzaktivisten sind nicht nur Menschen, die sich kompetent im Netz bewegen, meint der Politikwissenschaftler Christoph Bieber aus Gießen. Der Kommunikationsforscher ist sicher: Netzaktivisten begreifen das Internet als ihren Lebensraum - und deswegen engagieren sie sich dafür:
"Viele der Menschen, die sich als Netzaktivist verstehen, haben schon über Jahre darauf aufmerksam gemacht, was das für das Zusammenleben ganz allgemein von Menschen für Konsequenzen haben kann, wenn eben so ein Kommunikationsraum wie das Internet in Zukunft immer wichtiger wird. Und begreifen, dass sie sich hier in ihrer Bürgerrolle betätigen können, um zu zeigen, dass das ein Raum ist, für den es sich zu kämpfen lohnt."
Joachim Selzer ist einer dieser Kämpfer. Der 40-Jährige arbeitet als Computerfachmann bei der Post in Hannover. Er sagt, lange habe er sich nur dafür interessiert, dass seine Computer laufen.
"Für mich hat dann irgendwann so ein Moment stattgefunden, spätestens bei der Online-Durchsuchung, wo ich mir gedacht hab, Moment, mein Computer ist ein Teil meiner selbst, meiner Person. Und jetzt will da irgendeiner in meinen Gedanken lesen, das hört sich jetzt so, so aufgeblasen an, aber war zumindest so ein Bauchgefühl, und ich möchte nicht, dass jemand so tief in mein Innenleben eingreift, das geht die Leute erst mal nichts an."
Joachim Selzer beschloss, sich im "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung" zu engagieren. Einer Gruppe von Datenschützern, die Fragen stellte wie: Darf der Staat aufzeichnen lassen, wer mit wem telefoniert, sich Emails schreibt oder wer welche Internetseiten besucht? Dieser Arbeitskreis befand: Der Staat darf nicht.
"Die speichern alle meine Daten bis zum Sankt Nimmerleinstag. Ich spüre die Wut, die sich in mir aufstaut. Wir machen nicht mit!"
Mit Songs, Demonstrationen und Web-Aktionen hat es diese Initiative von Netzaktivisten geschafft, 35 000 Menschen für die größte Verfassungsbeschwerde der deutschen Geschichte zu mobilisieren. Im März dieses Jahres entschied das Bundesverfassungsgericht: Das geplante Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung muss überarbeitet werden.
Markus Beckedahl macht sich seit Jahren Gedanken über die Freiheitsrechte im Internet. Der 34-Jährige ist einer der bekanntesten Blogger der deutschen Netz-Community. Sein Weblog heißt netzpolitik.org.
"Das lesen in guten Tagen 40.000 Menschen. Also: Ich beschreibe die Entwicklungen der digitalen Gesellschaft und welche Fragestellungen auf uns zukommen. Und gleichzeitig weise ich darauf hin, welche Lösungsvorschläge ich präferieren würde."
Markus Beckedahl ist von der Enquête-Kommission Internet des Deutschen Bundestages als Sachverständiger für netzpolitische Fragen geladen worden. Nach eigenem Bekunden macht er mit, um das Schlimmste zu verhindern. Noch sei nämlich offen, in welche Richtung die Politik eine digitale Gesellschaft entwickeln möchte:
"Da kann man eher eine freiheitliche, demokratische Richtung einschlagen oder eine, die eher in Richtung Sicherheit und Kontrolle geht. Und ich bevorzuge ganz klar die eher demokratische Richtung, die Offenheit verspricht, die Freiheit in den Vordergrund stellt und die Innovation ermöglicht."
Da kann Constanze Kurz nur zustimmen. Die 35-jährige Informatikerin arbeitet als Dozentin an der Berliner Humboldt-Universität. In ihrer Freizeit ist sie Sprecherin des Chaos Computer Clubs und passionierte Hackerin. Constanze Kurz hofft, dass die Politiker Fehler wie Gesetze zur Online-Durchsuchung und Vorratsdatenspeicherung nicht wiederholen. Noch aber fehle vielen das Verständnis für das Internet als politischer Raum - aber eben auch als Lebensraum. Kopfschüttelnd erinnert sie sich auch an den Versuch, Kinderpornografie im Internet durch das Sperren der Webseiten bekämpfen zu wollen.
"Dass sie sich auch über den Rat von nicht nur der Netz-Community, sondern eben auch von der Wissenschaft und von Praktikern hinwegsetzen, dass ist einfach dumm."
Das Gesetz ermächtigte das Bundeskriminalamt, geheime Listen mit kinderpornografischen Internetseiten anzulegen. Die sollte der jeweilige Provider dann sperren. Wer auf diesen Seiten gelandet wäre, hätte nur ein Stoppschild gesehen. Diese Sperren wären aber sogar für interessierte Laien schnell zu umgehen gewesen. Netzaktivisten waren sich einig: Das Gesetz ist reine Symbolpolitik. Und Franziska Heine, eine 30-Jährige Mediengestalterin aus Berlin wurde aktiv. Im April 2009 veröffentlichte sie eine Online-Petition gegen die geplanten Internet-Sperren auf der Homepage des Bundestages. Innerhalb kurzer Zeit stieg die Zahl der Unterzeichner ihrer Petition auf 135.000. Und inzwischen ist klar: Das Gesetz wird in dieser Form nicht angewendet.
"Wenn wir es jetzt noch schaffen, dass sie nicht nur mit uns reden, sondern dass sie uns auch in Entscheidungsfindungsprozesse mit einbeziehen, weil da sind wir wirklich noch ein ganzes Stückchen von entfernt, dann kann Politik wieder eine ganz andere Bedeutung haben, glaub ich."
Wahlspot Piratenpartei: "Ich bin ein Pirat."
Spätestes der Erfolg der Piratenpartei hat den etablierten Parteien klargemacht: Das Thema Internet ist an ihnen vorbeigegangen, vielleicht sogar das Lebensgefühl einer ganzen Generation, findet Netzpolitik-Blogger Markus Beckedahl:
"Steht natürlich zu befürchten, dass die Enquête-Kommission eine große Spielwiese für alle Fraktionen wird, die sich alle im Feld Netzpolitik profilieren wollen; andererseits: Alles, was dazu beiträgt, dass das Wissen über Netzpolitik und das Internet in der Politik gesteigert wird, ist gut."
Die Netzaktivisten ahnen, dass die Erfolge, die sie bislang erringen konnten, nur Etappensiege sind: Über Internetsperren wird jetzt auf europäischer Ebene neu diskutiert. Methoden der Vorratsdatenspeicherung zeigen sich beim geplanten sogenannten ELENA-Verfahren, mit dem Einkommensnachweise elektronisch gespeichert werden sollen; und vielleicht kommt sogar der Nacktscanner. Die Enquête-Kommission Internet hat viel zu tun.
"Viele der Menschen, die sich als Netzaktivist verstehen, haben schon über Jahre darauf aufmerksam gemacht, was das für das Zusammenleben ganz allgemein von Menschen für Konsequenzen haben kann, wenn eben so ein Kommunikationsraum wie das Internet in Zukunft immer wichtiger wird. Und begreifen, dass sie sich hier in ihrer Bürgerrolle betätigen können, um zu zeigen, dass das ein Raum ist, für den es sich zu kämpfen lohnt."
Joachim Selzer ist einer dieser Kämpfer. Der 40-Jährige arbeitet als Computerfachmann bei der Post in Hannover. Er sagt, lange habe er sich nur dafür interessiert, dass seine Computer laufen.
"Für mich hat dann irgendwann so ein Moment stattgefunden, spätestens bei der Online-Durchsuchung, wo ich mir gedacht hab, Moment, mein Computer ist ein Teil meiner selbst, meiner Person. Und jetzt will da irgendeiner in meinen Gedanken lesen, das hört sich jetzt so, so aufgeblasen an, aber war zumindest so ein Bauchgefühl, und ich möchte nicht, dass jemand so tief in mein Innenleben eingreift, das geht die Leute erst mal nichts an."
Joachim Selzer beschloss, sich im "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung" zu engagieren. Einer Gruppe von Datenschützern, die Fragen stellte wie: Darf der Staat aufzeichnen lassen, wer mit wem telefoniert, sich Emails schreibt oder wer welche Internetseiten besucht? Dieser Arbeitskreis befand: Der Staat darf nicht.
"Die speichern alle meine Daten bis zum Sankt Nimmerleinstag. Ich spüre die Wut, die sich in mir aufstaut. Wir machen nicht mit!"
Mit Songs, Demonstrationen und Web-Aktionen hat es diese Initiative von Netzaktivisten geschafft, 35 000 Menschen für die größte Verfassungsbeschwerde der deutschen Geschichte zu mobilisieren. Im März dieses Jahres entschied das Bundesverfassungsgericht: Das geplante Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung muss überarbeitet werden.
Markus Beckedahl macht sich seit Jahren Gedanken über die Freiheitsrechte im Internet. Der 34-Jährige ist einer der bekanntesten Blogger der deutschen Netz-Community. Sein Weblog heißt netzpolitik.org.
"Das lesen in guten Tagen 40.000 Menschen. Also: Ich beschreibe die Entwicklungen der digitalen Gesellschaft und welche Fragestellungen auf uns zukommen. Und gleichzeitig weise ich darauf hin, welche Lösungsvorschläge ich präferieren würde."
Markus Beckedahl ist von der Enquête-Kommission Internet des Deutschen Bundestages als Sachverständiger für netzpolitische Fragen geladen worden. Nach eigenem Bekunden macht er mit, um das Schlimmste zu verhindern. Noch sei nämlich offen, in welche Richtung die Politik eine digitale Gesellschaft entwickeln möchte:
"Da kann man eher eine freiheitliche, demokratische Richtung einschlagen oder eine, die eher in Richtung Sicherheit und Kontrolle geht. Und ich bevorzuge ganz klar die eher demokratische Richtung, die Offenheit verspricht, die Freiheit in den Vordergrund stellt und die Innovation ermöglicht."
Da kann Constanze Kurz nur zustimmen. Die 35-jährige Informatikerin arbeitet als Dozentin an der Berliner Humboldt-Universität. In ihrer Freizeit ist sie Sprecherin des Chaos Computer Clubs und passionierte Hackerin. Constanze Kurz hofft, dass die Politiker Fehler wie Gesetze zur Online-Durchsuchung und Vorratsdatenspeicherung nicht wiederholen. Noch aber fehle vielen das Verständnis für das Internet als politischer Raum - aber eben auch als Lebensraum. Kopfschüttelnd erinnert sie sich auch an den Versuch, Kinderpornografie im Internet durch das Sperren der Webseiten bekämpfen zu wollen.
"Dass sie sich auch über den Rat von nicht nur der Netz-Community, sondern eben auch von der Wissenschaft und von Praktikern hinwegsetzen, dass ist einfach dumm."
Das Gesetz ermächtigte das Bundeskriminalamt, geheime Listen mit kinderpornografischen Internetseiten anzulegen. Die sollte der jeweilige Provider dann sperren. Wer auf diesen Seiten gelandet wäre, hätte nur ein Stoppschild gesehen. Diese Sperren wären aber sogar für interessierte Laien schnell zu umgehen gewesen. Netzaktivisten waren sich einig: Das Gesetz ist reine Symbolpolitik. Und Franziska Heine, eine 30-Jährige Mediengestalterin aus Berlin wurde aktiv. Im April 2009 veröffentlichte sie eine Online-Petition gegen die geplanten Internet-Sperren auf der Homepage des Bundestages. Innerhalb kurzer Zeit stieg die Zahl der Unterzeichner ihrer Petition auf 135.000. Und inzwischen ist klar: Das Gesetz wird in dieser Form nicht angewendet.
"Wenn wir es jetzt noch schaffen, dass sie nicht nur mit uns reden, sondern dass sie uns auch in Entscheidungsfindungsprozesse mit einbeziehen, weil da sind wir wirklich noch ein ganzes Stückchen von entfernt, dann kann Politik wieder eine ganz andere Bedeutung haben, glaub ich."
Wahlspot Piratenpartei: "Ich bin ein Pirat."
Spätestes der Erfolg der Piratenpartei hat den etablierten Parteien klargemacht: Das Thema Internet ist an ihnen vorbeigegangen, vielleicht sogar das Lebensgefühl einer ganzen Generation, findet Netzpolitik-Blogger Markus Beckedahl:
"Steht natürlich zu befürchten, dass die Enquête-Kommission eine große Spielwiese für alle Fraktionen wird, die sich alle im Feld Netzpolitik profilieren wollen; andererseits: Alles, was dazu beiträgt, dass das Wissen über Netzpolitik und das Internet in der Politik gesteigert wird, ist gut."
Die Netzaktivisten ahnen, dass die Erfolge, die sie bislang erringen konnten, nur Etappensiege sind: Über Internetsperren wird jetzt auf europäischer Ebene neu diskutiert. Methoden der Vorratsdatenspeicherung zeigen sich beim geplanten sogenannten ELENA-Verfahren, mit dem Einkommensnachweise elektronisch gespeichert werden sollen; und vielleicht kommt sogar der Nacktscanner. Die Enquête-Kommission Internet hat viel zu tun.