Sich gut zu erinnern, heißt nicht, sich fehlerfrei zu erinnern. Und auch eine hypothetisch fehlerfreie Erinnerung würde noch nichts über die Schlüsse verraten, die man aus ihr zieht. Wenn wieder einmal ein großer Erinnerungsdiskurs über Deutschland hinweggeht, weiß man immer schon, was das zu bedeuten hat und woran man sich erinnern soll. Aber ob daraus gleich Erlösung folgt, wie Richard von Weizsäcker als Bundespräsident einst so vollmundig in Anlehnung an ein jüdisches Sprichwort verhieß? Wer einmal die Betroffenheitsrituale etwa auf Gedenkstätten ehemaliger Konzentrationslager beobachtet hat, weiß, dass damit etwas nicht stimmen kann, dass es eine Ritualisierung des Gedenkens gibt, die das Erinnern geradezu blockiert.
Man könnte Dresden als eine stadtförmige Verkörperung einer solchen Blockade betrachten. Neben aller Frauenkirchen- und sonstigen Wiederaufbauseligkeit herrscht in Bezug auf die Nazizeit eine Art bürgerlicher Übereinkunft, dass man durch den DDR-Antifaschismus eigentlich schon genügend gereinigt sei und überhaupt als kulturelles Elbflorenz von Hitlers Schergen gleichsam eine Vergewaltigung erlebte, der man sich einfach nicht erwehren konnte.
Gern rühmt man sich heute noch etwa der Lehrtätigkeit von Otto Dix an der Kunsthochschule "bis 1933". Danach muss er wohl in einen langen Urlaub gegangen sein, in Dresden jedenfalls, wo die Hochschule schnell und widerstandslos zur Entarteten-Kunst-Propaganda Hitlers überlief und Dix sofort als Wehrkraftzersetzer entließ, ward er seltsamerweise nach 1933 nicht mehr gesehen. Und Christiane Mennicke, Leiterin des Kunsthauses Dresden, hat mehr sich als einmal bei ihren Recherchen für diese Ausstellung sagen lassen müssen, es habe doch schon mal irgendwann eine Ausstellung über die Nazizeit gegeben, sie solle doch lieber den Antifaschismus der DDR-Maler zeigen.
Nun war es gar nicht Mennickes Absicht, wieder einmal "Erinnerungskunst" zu präsentieren, und auch antifaschistische Malerei interessiert sie bei dieser Schau allenfalls am Rand. Ihre in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Ausstellung im Kunsthaus Dresden verzichtet nicht nur auf einen Großteil der üblichen Verdächtigen unter den Gedenkkünstlern und auf große Gesten, mit denen man sich identifizieren können soll; sie nimmt die Künstlerinnen und Künstler nicht dafür in Haftung, uns zu mahnen und zu läutern. Sie hat, obwohl es durchaus um Erinnerung geht, keine Ausstellung über die Vergangenheit gemacht, sondern über die Gegenwart. Der demonstrativ durchgestrichene Ausstellungstitel "Von der Abwesenheit des Lagers" deutet an, dass es hier nicht um gesicherte Erkenntnisse geht, um Übereinkunft und Konsens, sondern um Rekonstruktionen von etwas Brüchigem, um Fragen, wie und wodurch überhaupt Vergangenheit aktuell wird.
Die Berliner Künstlerin Ulrike Kuschel, die derzeit auch im Ullstein-Bildarchiv arbeitet, führt die Bedeutung der Frage mit einer einfachen Demonstration vor Augen: Auf kleinen Bildtafeln stellt sie historische Fotografien aus der Kriegs- oder unmittelbaren Nachkriegszeit jeweils einer Bildbeschreibung gegenüber, die überhaupt nicht dazu passt. Statt "Soldaten der Roten Armee auf der Prenzlauer Allee" in Berlin sieht man zum Beispiel einen Teil des Roten Platzes in Moskau, statt "Führenden Vertretern des Nationalsozialismus während der Nürnberger Prozesse" anonyme deutsche Kriegsgefangene. Jedes Mal fällt man über den Widerspruch von Bild und Text, und solange man das Prinzip noch nicht durchschaut, strengt man sich unwillkürlich an, in den Bildern vielleicht doch noch etwas von der Bildbeschreibung im Bild wiederfinden zu können. Vergeblich: Der Betrachter wird schließlich gezwungen, das Auseinanderklaffen dieser beiden historischen Vermittlungsmedien zu akzeptieren. Damit erinnert Kuschels Installation zugleich an die prominenten Konflikte um die Auswertung der historischen Materialien zur Geschichte des NS-Staates: von den Diskussionen über en Erhalt der Konzentrationslager als Gedenkstätten über die Debatten um das Berliner Holocaustmahnmal bis hin zur so genannten Wehrmachtsausstellung.
Zu den herausragenden Werken dieser Ausstellung zählt aber ohne Frage das Video "Fangen spielen" des polnischen Künstlers Artur Zmijewski, der mit verschiedenen nackten Darstellerinnen und Darstellern ein Fangspiel inszenierte, das inmitten einer ehemaligen Gaskammer stattfindet. Die zunächst absurd anmutende Situation ist in Wirklichkeit ein Bruch mit allen ritualisierten Formen des Opfergedenkens, das den Körper der Opfer weihevoll und schamhaft ausblendet, und nimmt so die Form eines kaum länger erträglichen Totentanzszenarios an.
Eher ironisch dagegen kommentiert Annette Weisser bereits seit einigen Jahren die Umerziehung der Deutschen zur Demokratie und Moralität. Ihr "Deutscher Seelenkessel" hat die Form die Rhomboeders aus Dürers Melencholia-Stich und verweist so spottend auf das vor allem seit er Wiedervereinigung ach so dringliche deutsche Bedürfnis, sich der Welt wieder als Kulturnation zu präsentieren, während es im deutschen Seelenkessel doch eigentlich noch mächtig brodelt. Ganz nebenbei wird in en Ausdünstungen des Gefühlsstaus auch noch eine Ausgabe von Mitscherlichs "Unfähigkeit zu Trauern" gesotten.
So ergibt der Rundgang durch die insgesamt 25 Positionen ein völlig anderes Bild als das der Erlösung durch Erinnerung. Die heutige Künstlergeneration hat das Dritte Reich nicht erlebt. Sie registriert seine Echos in der Gegenwart. Nur wenige Ausstellungen haben bislang den Mut, das gesamtdeutsche Bemühen um "memorial correctness" in dieser Konsequenz zu hinterfragen und ohne wohlfeile Anklagen und Rechtfertigungen zu benennen.
Man könnte Dresden als eine stadtförmige Verkörperung einer solchen Blockade betrachten. Neben aller Frauenkirchen- und sonstigen Wiederaufbauseligkeit herrscht in Bezug auf die Nazizeit eine Art bürgerlicher Übereinkunft, dass man durch den DDR-Antifaschismus eigentlich schon genügend gereinigt sei und überhaupt als kulturelles Elbflorenz von Hitlers Schergen gleichsam eine Vergewaltigung erlebte, der man sich einfach nicht erwehren konnte.
Gern rühmt man sich heute noch etwa der Lehrtätigkeit von Otto Dix an der Kunsthochschule "bis 1933". Danach muss er wohl in einen langen Urlaub gegangen sein, in Dresden jedenfalls, wo die Hochschule schnell und widerstandslos zur Entarteten-Kunst-Propaganda Hitlers überlief und Dix sofort als Wehrkraftzersetzer entließ, ward er seltsamerweise nach 1933 nicht mehr gesehen. Und Christiane Mennicke, Leiterin des Kunsthauses Dresden, hat mehr sich als einmal bei ihren Recherchen für diese Ausstellung sagen lassen müssen, es habe doch schon mal irgendwann eine Ausstellung über die Nazizeit gegeben, sie solle doch lieber den Antifaschismus der DDR-Maler zeigen.
Nun war es gar nicht Mennickes Absicht, wieder einmal "Erinnerungskunst" zu präsentieren, und auch antifaschistische Malerei interessiert sie bei dieser Schau allenfalls am Rand. Ihre in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Ausstellung im Kunsthaus Dresden verzichtet nicht nur auf einen Großteil der üblichen Verdächtigen unter den Gedenkkünstlern und auf große Gesten, mit denen man sich identifizieren können soll; sie nimmt die Künstlerinnen und Künstler nicht dafür in Haftung, uns zu mahnen und zu läutern. Sie hat, obwohl es durchaus um Erinnerung geht, keine Ausstellung über die Vergangenheit gemacht, sondern über die Gegenwart. Der demonstrativ durchgestrichene Ausstellungstitel "Von der Abwesenheit des Lagers" deutet an, dass es hier nicht um gesicherte Erkenntnisse geht, um Übereinkunft und Konsens, sondern um Rekonstruktionen von etwas Brüchigem, um Fragen, wie und wodurch überhaupt Vergangenheit aktuell wird.
Die Berliner Künstlerin Ulrike Kuschel, die derzeit auch im Ullstein-Bildarchiv arbeitet, führt die Bedeutung der Frage mit einer einfachen Demonstration vor Augen: Auf kleinen Bildtafeln stellt sie historische Fotografien aus der Kriegs- oder unmittelbaren Nachkriegszeit jeweils einer Bildbeschreibung gegenüber, die überhaupt nicht dazu passt. Statt "Soldaten der Roten Armee auf der Prenzlauer Allee" in Berlin sieht man zum Beispiel einen Teil des Roten Platzes in Moskau, statt "Führenden Vertretern des Nationalsozialismus während der Nürnberger Prozesse" anonyme deutsche Kriegsgefangene. Jedes Mal fällt man über den Widerspruch von Bild und Text, und solange man das Prinzip noch nicht durchschaut, strengt man sich unwillkürlich an, in den Bildern vielleicht doch noch etwas von der Bildbeschreibung im Bild wiederfinden zu können. Vergeblich: Der Betrachter wird schließlich gezwungen, das Auseinanderklaffen dieser beiden historischen Vermittlungsmedien zu akzeptieren. Damit erinnert Kuschels Installation zugleich an die prominenten Konflikte um die Auswertung der historischen Materialien zur Geschichte des NS-Staates: von den Diskussionen über en Erhalt der Konzentrationslager als Gedenkstätten über die Debatten um das Berliner Holocaustmahnmal bis hin zur so genannten Wehrmachtsausstellung.
Zu den herausragenden Werken dieser Ausstellung zählt aber ohne Frage das Video "Fangen spielen" des polnischen Künstlers Artur Zmijewski, der mit verschiedenen nackten Darstellerinnen und Darstellern ein Fangspiel inszenierte, das inmitten einer ehemaligen Gaskammer stattfindet. Die zunächst absurd anmutende Situation ist in Wirklichkeit ein Bruch mit allen ritualisierten Formen des Opfergedenkens, das den Körper der Opfer weihevoll und schamhaft ausblendet, und nimmt so die Form eines kaum länger erträglichen Totentanzszenarios an.
Eher ironisch dagegen kommentiert Annette Weisser bereits seit einigen Jahren die Umerziehung der Deutschen zur Demokratie und Moralität. Ihr "Deutscher Seelenkessel" hat die Form die Rhomboeders aus Dürers Melencholia-Stich und verweist so spottend auf das vor allem seit er Wiedervereinigung ach so dringliche deutsche Bedürfnis, sich der Welt wieder als Kulturnation zu präsentieren, während es im deutschen Seelenkessel doch eigentlich noch mächtig brodelt. Ganz nebenbei wird in en Ausdünstungen des Gefühlsstaus auch noch eine Ausgabe von Mitscherlichs "Unfähigkeit zu Trauern" gesotten.
So ergibt der Rundgang durch die insgesamt 25 Positionen ein völlig anderes Bild als das der Erlösung durch Erinnerung. Die heutige Künstlergeneration hat das Dritte Reich nicht erlebt. Sie registriert seine Echos in der Gegenwart. Nur wenige Ausstellungen haben bislang den Mut, das gesamtdeutsche Bemühen um "memorial correctness" in dieser Konsequenz zu hinterfragen und ohne wohlfeile Anklagen und Rechtfertigungen zu benennen.