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AKW-Stilllegungbeschluss
"Risiko für Millionenforderungen geschaffen"

Juristisch sei die Begründung für die Stilllegung der Atomkraftwerke 2011 nicht ausreichend gewesen, sagte Wolfgang Renneberg, bis 2009 selbst Leiter der Abteilung für Reaktorsicherheit im Umweltministerium, im DLF. Er ist überzeugt, dass dies den Verantwortlichen bewusst war.

Wolfgang Renneberg im Gespräch mit Jule Reimer |
    Wolfgang Renneberg vom Büro für Atomsicherheit und ehemaliger Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, aufgenommen am Sonntag (13.03.2011) in Berlin im Willy-Brandt-Haus.
    Kennt die Arbeit in den Ministerien: Wolfgang Renneberg war bis 2009 Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium. (picture alliance / dpa / Tobias Kleinschmidt)
    Jule Reimer: Neue Recherchen des ARD-Politmagazins "Monitor" erhärten den Verdacht, dass die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung 2011 nach Fukushima den Atomkonzernen gezielt und in voller Kenntnis der möglichen Folgen den Weg zu den Klagen gegen das Atommoratorium von damals bereitet hat.
    An dieser Stelle hätten wir gerne den früheren Bundesumweltminister und Juristen Norbert Röttgen befragt. Der fand für ein solches Interview heute keine Zeit.
    Am Telefon dafür ist in Wien Wolfgang Renneberg - den hörten Sie eben schon mal im Beitrag -, bis 2009 Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium. Er wurde 2009 als politischer Beamter mit dem Amtsantritt von Norbert Röttgen in den vorläufigen Ruhestand versetzt. Es folgte auf ihn der im Beitrag erwähnte Atomexperte und Atombefürworter Gerald Hennenhöfer, der diese Position in den 90er-Jahren schon einmal innegehabt hatte, damals unter Jürgen Trittin wiederum in den vorläufigen Ruhestand versetzt wurde und viele Jahre für die Atomindustrie arbeitete.
    Wolfgang Renneberg, Sie sind heute Professor am Institut für Sicherheits- und Risikoforschung in Wien. Guten Tag!
    Wolfgang Renneberg: Ja! Guten Tag, Frau Reimer.
    Reimer: Wie bewerten Sie es denn inhaltlich, dass die Stilllegung der Atomkraftwerke 2011 nur mit einem Gefahrenverdacht begründet wurde?
    Renneberg: Es ist, wie ich ja bereits sagte, unüblich nicht, für die einzelne Anlage deutlich zu machen, worin denn jetzt bei der einzelnen Anlage das Risiko und der Gefahrenverdacht bestehen. Es wurde ja nur allgemein auf den Fukushima-Unfall hingewiesen und gesagt, jetzt müsse eine Überprüfung erfolgen, und deswegen sollten diese Kernkraftwerke vom Netz genommen werden. Das ist für einen Juristen zu wenig als Begründung für solch eine schwerwiegende Maßnahme.
    Reimer: Muss man das Atomgesetz, Paragraf 19, genau kennen, um das erkennen zu können? Sie sagten, für einen Juristen ist es zu wenig.
    Renneberg: Ja. Alle die, die sich damit beschäftigen und beschäftigt haben, die kennen natürlich die Rechtsprechung und die kennen die Anforderungen, die ja jetzt auch durch den hessischen Verwaltungsgerichtshof noch mal deutlich gemacht worden sind.
    Reimer: ... in Sachen Biblis.
    Renneberg: In Sachen Biblis. Und wenn man das zugrunde legt, dann kann man eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass man hätte wissen müssen, dass solch eine Anordnung den rechtlichen Anforderungen nicht genügt.
    Reimer: Das heißt, der alte beziehungsweise damals wieder neue Abteilungsleiter Gerald Hennenhöfer, dem muss bewusst gewesen sein, was er da rausschickt?
    Renneberg: Ja. Ich bin davon überzeugt, dass diejenigen, die dafür verantwortlich waren, diesen Text zu machen, dass sie wussten, dass das diesen Anforderungen nicht genügt.
    "Ein unübliches Verfahren"
    Reimer: Sagen Sie noch was zum Ablauf des Verfahrens. Da sind ja bestimmte Fachabteilungen offenbar nicht beteiligt worden. Geht so was überhaupt?
    Renneberg: Ein Abteilungsleiter kann natürlich Entscheidungen so treffen, wie er das für richtig hält. Aber es ist ein unübliches Verfahren und etwas verwunderlich, wenn es gerade hier um Sicherheitsprobleme geht und diejenigen, die juristisch und technisch im Ministerium für diese Fragen zuständig sind, dann mit diesen Sachen gar nicht befasst werden.
    Reimer: Hat denn jetzt damit die Schadensersatzklage der Atomkonzerne automatisch Aussicht auf Erfolg?
    Renneberg: Nein. Automatismen gibt es hier natürlich nicht. Es geht nur darum, dass mit dem Erlass von rechtswidrigen Bescheiden die Tür geöffnet wird für solche Schadensersatzanforderungen. Ein Anspruch endgültig dadurch begründet wird nicht. Es wird ein Risiko geschaffen, dass hier Millionenforderungen durch die Betreiber durchgesetzt werden. Wie die Gerichte entscheiden, das kann ich jetzt nicht sagen. Ich glaube, dass die Begründung von RWE nicht reichen wird, um diese Schadensersatzforderung durchzubringen. Aber es gibt natürlich ein Risiko.
    Reimer: Sagen Sie uns noch mal genau, wie RWE es begründet.
    Renneberg: RWE begründet es mit der Rechtswidrigkeit dieser Stilllegungsverfügung. Diese Rechtswidrigkeit ist ja auch festgestellt worden vom Verwaltungsgerichtshof. Und RWE müsste jetzt noch darlegen, unter anderem, dass es alles getan hat, um den Schaden zu vermeiden. Ich glaube aber, dass es daran fehlt.
    Reimer: Das heißt, sie hätten einfach den Meiler, Biblis zum Beispiel, wieder anlaufen lassen sollen?
    Renneberg: Sie hätten, nachdem sie Klage erhoben haben, die aufschiebende Wirkung dieser Klage ausnutzen können. Das heißt, durch die aufschiebende Wirkung hätten sie das Recht gehabt, die Anlage wieder anzufahren. Das haben sie aber nicht getan. Sie haben es deswegen nicht getan, weil sie gesagt haben, na ja, dann hätte ja die Behörde sofort eine sofortige Vollziehung angeordnet und dann hätten wir trotzdem wieder die Anlage stilllegen müssen und so weiter. RWE hat im Endergebnis das alles nicht versucht. Wahrscheinlich hätte es das mit Erfolg versuchen können, hat es aber nicht getan, und meines Erachtens ist das ein Punkt, der für diese Klage aus RWE-Sicht kritisch ist.
    Reimer: Vielen Dank! – Zum Atommoratorium von 2011 war das Wolfgang Renneberg, der von 1998 bis 2009 die Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium geleitet hat.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.