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Al Dschasira als außenpolitisches Sprachrohr Khatars

Vor 16 Jahren startete "Al Dschasira", der pan-arabische Nachrichtenkanal aus Doha im Emirat Khatar. Damals galt der Sender als geredezu revolutionär. Fast zwei Jahre nach der sogenannten "Arabellion" muss sich der Sender allerdings Fragen nach seiner Unabhängigkeit gefallen lassen.

Von Michael Meyer | 03.11.2012
    "Wenn die Krankheit der Unprofessionalität einen Sender erwischt, dann betrifft das nicht die Berichterstattung über ein Land, sondern die Gesamtberichterstattung. Im Großen und Ganzen ist es eine gewisse Unprofessionalität, die sich nicht mehr vertreten lässt. Mein Gehalt kam mir irgendwann mal wie Schweigegeld vor. Und das ist bei einem Journalisten natürlich innerlich tödlich, wenn man nur noch für das Geld arbeitet. Und ab dem Punkt, wo klar wurde, dass es sich nicht um Fehler handelt, sondern um eine Linie, war klar, dass ich aufhören werde."

    Akhtam Suliman, syrischer Journalist, der seit 2002 das Deutschlandbüro Al Dschasiras in Berlin leitete, ist noch immer entsetzt über die Vorgänge in der Zentrale in Doha. Schon immer gab es bei Themen eine bestimmte redaktionelle Position. Was in den letzten Monaten geschehe, sei jedoch zuviel gewesen. Suliman kritisiert, dass mittlerweile Sitten eingerissen seien, die zu einem unabhängigen Nachrichtensender nicht passen würden.

    "Das zeigt sich an Beiträgen, die nicht professionell gemacht wurden, weil die Aktivisten in dem jeweiligen Land das machen. Das heißt, in Syrien macht ein Aktivist einen Beitrag, schickt das zu Al Dschasira. Und ist dann sogar zu sehen als Korrespondent. Früher waren Al Dschasira-Korrespondenten was ganz besonderes, was Ausbildung, was Erfahrung, was Ausgewogenheit angeht. Momentan kann jeder dahergelaufene Aktivist ein paar Bilder machen und das schicken. Und dann ist er halt dabei, Hauptsache, die Linie, die er vertritt in dem jeweiligen Land, entspricht der Außenpolitik des Staates Katar. "

    Suliman ist nicht der einzige Journalist, der von Bord ging, bereits im März dieses Jahres gingen mehrere Korrespondenten, darunter der Studioleiter in Beirut Ali Hashem. In einem Artikel für den britischen "Guardian" beschrieb Hashem, wie er einen Beitrag über bewaffnete syrische Oppositionelle nicht habe zeigen können, weil man in Katar das Bild eines sauberen, unblutigen Aufstands aufrecht erhalten wollte. Was der Emir von Katar sehen wolle, werde gemacht.

    Der Schwenk weg einer eher "Pro-Assad"-Haltung hin zu einer bedingungslosen, unkritischen Unterstützung der syrischen Opposition hat Gründe, erklärt Guido Steinberg, Nahostexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin:

    "Das kann man an einer Person festmachen: Das ist Yusuf Al-Qharadawi, das ist der berühmteste Gelehrte aus dem Umfeld der Muslimbrüder, der seit Anfang der 60er-Jahre in Katar lebt. Und auch auf Al Dschasira mit einer eigenen Sendung immer wieder auftritt. Gegen dessen Anwürfe gegen das syrische Regime haben sich die Syrer gewehrt, mit sehr persönlichen Anwürfen gegen den Emir und auch dessen Frau. Daraufhin hat dann Al Dschasira offensichtlich die Anweisung bekommen, anti-syrisch zu argumentieren. Und dann kann man eben auch beobachten, dass die gesamte katarische Politik Richtung Regimewechsel gegangen ist."

    Steinberg erklärt, dass die Regierung in Katar die islamistischen Kräfte in der Region fördert, wie etwa die Muslimbrüder, weil man der Meinung ist, das seien die einflussreichen Gruppen der Zukunft. Darüber hinaus habe Katar ein vitales Interesse daran, Bashar Al Assad, den Verbündeten Irans, wegzuputschen. Und das zeige sich eben im Programm.

    Akhtam Suliman meint, dass man nicht bei allen Themen eine bestimmte Linie merkt. Aber: Gerade bei den Aufständen in Syrien, aber auch in Bahrein, sei die Berichterstattung von Al Dschasira alles andere als objektiv. Während die Journalisten früher weitgehend freie Hand gehabt hätten, müssten sie heute die konkrete politische Linie aus Katar im Programm umsetzen. Daher sei es für ihn undenkbar, wieder zu Al Dschasira zurückzukehren:

    "Es hat gedauert, bis man gemerkt hat, der Fehler ist die Linie. Und der Fehler ist gar kein Fehler. Der Fehler ist gewollt so, wie er ist. Und wenn man sich das einmal erlaubt hat, dann verliert man das Wichtigste im Journalismus, die Glaubwürdigkeit. Man kann nicht wieder ankommen und sagen: Jetzt bin ich wieder glaubwürdig. Hier ist kein Weg außer Aufhören."