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Alarmmeldung vom Meeresgrund

Der Bestand des Kabeljau, im Ostseeraum auch Dorsch genannt, ist fast überall in Gefahr. Durch die Überfischung brach die Population in den 90-er Jahren vor der Küste Kanadas vollständig zusammen. Dasselbe droht nun auch in der Ostsee. Seit Montag tagen die Experten des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) in Kanada; bei dieser Jahreskonferenz geht es auch um die Empfehlungen für die Fangquoten in der Ostsee. Die Fischer in Schweden fürchten schon die Alarmmeldungen vom Meeresgrund.

Von Agnes Bührig |
    Björn Stührenberg steht fröstelnd am Kai von Simrishamn. Der blonde Hüne schaut zu, wie ein Fischer Kisten voller Dorsch aus dem Kühlraum seines Kutters hievt. Stührenberg ist Chef der Fischereiinspektion in dem beschaulichen Fischerort. Gemeinsam mit zwei Mitarbeitern beäugt er das kleine Boot mit seinen zwei Mann Besatzung. Die Beamten kontrollieren Logbuch und Fangnetz, wiegen bei Verdacht die Kisten mit den Fischleibern nach.

    "Am Anfang entladen sie meist die kleinen Dorsche, EU-Größe 5.
    Kaum länger als das Mindestmaß von 38 Zentimetern. Wer kleinere verkauft, bekommt Ärger."

    Denn sonst tötet man die Jungfische, bevor sie gelaicht haben. Wenn allerdings zu wenig Klasse 5-Fische an Bord sind, wird auch Stührenberg misstrauisch. Denn dann liegt der Verdacht nahe, dass der Fischer einen Teil seines Fangs ins Meer geworfen hat, um die ihm zugewiesene Quote mit möglichst großen Fischen zu füllen. Stührenberg informiert bei so einem Verdacht die Küstenwache, die dem Kapitän dann bei seiner nächsten Ausfahrt vom Flugzeug aus auf die Finger schaut.

    In Simrishamn wird seit Generationen vor allem Dorsch gefangen.
    80 Berufsfischer können davon leben - noch, klagt Ole Viberg. Er ist Vorsitzender des örtlichen Fischereiverbandes.

    "Die Jungen haben keine Lust mehr. Ein raues Geschäft, ungeregelte Arbeitszeiten: da machen moderne Frauen nicht mit. Und immerzu gibt es Streit wegen der Quoten. Wenn Fangstopp ist, haben wir über Monate überhaupt keine Einkünfte. "

    In der Kajüte von Vibergs Trawler hängt ein Pin-Up-Kalender, daneben bullert eine Kaffeemaschine. Der 57-Jährige füllt die Tassen. Und erzählt seine eigene Geschichte vom Dorsch. 1966 hat der Schwede zum ersten Mal auf einem Fischkutter angeheuert.

    "Damals war ich 15 - und fast jeden Tag seekrank. Schon mein Vater und mein Großvater haben mit dem Schleppnetz gefischt. Und auch ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen. Reich sind wir nicht geworden, aber wir haben in all den Jahren unser Auskommen gehabt. "

    3.000 Tonnen Dorsch darf Viberg in der Fangsaison aus der Ostsee ziehen. Er erinnert sich an die fetten 80-er Jahre, als er mit reichen Fängen viel Geld verdiente. Und an die mageren 90-er, als die Fische ausblieben. Damals wären Viberg und seine Kollegen beinahe in Konkurs gegangen. Es gibt mal mehr und mal weniger Fisch, meint Viberg lakonisch. Die Warnrufe der Umweltverbände, die bereits das Aussterben des Ostsee-Dorschs prophezeien, hält er für übertrieben:

    "Die Wissenschaftler sind vorsichtig, das ist eben ihr Job. Und hier in Schweden halten wir uns an die Empfehlungen. Aber wir Fischer wissen, dass genug Dorsch da ist. Wir sehen ihn doch da draußen."

    In Schweden wird die Debatte um die Zukunft der Ostseefischerei besonders heftig geführt. Die Fischereipolitik der EU ist ein Desaster, meinen etwa Umweltverbände wie der WWF. Meeresbiologen bemängeln, dass die Politiker der neun Anrainerstaaten Jahr für Jahr viel zu hohe Fangquoten beschließen und sich die extrem geschrumpften Bestände nicht erholen können. In vielen Ländern rund um die Ostsee mangelt es zudem am Willen, sich entschieden für die Einhaltung der Quoten einzusetzen und ernsthaft gegen die Schwarzfischerei vorzugehen.
    All das hat den schwedischen Verbrauchern den Hunger auf den Ostseedorsch bereits gründlich verdorben. Gourmet-Köche rufen zum Boykott von Ostsee-Dorsch auf, Supermärkte haben die Fische aus ihrem Sortiment verbannt. Früher habe er seine Arbeit geliebt, die Freiheit auf See. Doch davon könne heute keine Rede mehr sein, sagt Fischer Ole Viberg bitter.

    "Den Stolz haben sie uns genommen. Wenn ich am Morgen an Bord gehe, muss ich Bescheid geben, dass ich jetzt herausfahre. Und zwei Stunden bevor wir einlaufen, geben wir durch, wie viele Fische wir gefangen haben. Die großen Boote werden ständig von Satelliten überwacht. Wir Alten haben ja nichts anderes gelernt, aber mein Sohn, der konnte es nicht länger ertragen. An dem Tag als er hinwarf, habe ich geweint. Aber heute bin ich froh für ihn."