Hören Sie eine Leseprobe aus O'Rourkes Albanien-Reportage, die 1997 entstand - kurz nachdem dort der Zusammenbruch windiger Finanzanlage-Pyramidengesellschaften zu einem mittleren Volksaufstand geführt hatte.
Ich reiste im Juli 1997 nach Albanien, und ich weiß, dass es einem Land dreckig gehen muss, wenn ich schon aus 6000 Metern Höhe erkennen kann, dass mit seiner Geschichte und seiner gesellschaftlichen Organisation etwas nicht stimmt. Als ich auf dem Flug von Rom nach Tirana die albanischen Alpen überquerte, fiel mir auf, dass die Dörfer dort sich nicht in fruchtbare, geschützte Täler schmiegen, wie es die Dörfer in Österreich, in der Schweiz und selbst in Bosnien tun. Die Dörfer Albaniens liegen auf baumlosen, unpraktischen Bergkuppen ohne Ackerkrume. Vor der Erfindung des Skilifts gab es nur einen Grund, an solchen Orten Wohnstätten zu errichten. Bergkuppen lassen sich leicht verteidigen.
Der Flughafen von Tirana hatte eine einzige Start- und Landebahn, und der Terminal war ein schäbiger, kleiner Betonbau, weiß gestrichen und mit ein paar Blumenrabatten vor dem Eingang. Visa- und Einreiseformalitäten gab es nicht. Leute, die illegal nach Albanien einreisen wollen, um Sozialhilfe zu schnorren, sind wahrscheinlich eher selten. Meine Reisetasche hingegen durchleuchteten die Zöllner sehr gründlich. Aber wenn man bedenkt, wie viel Artillerie schon im Land ist, fragt man sich doch, wonach sie suchen. Vielleicht nach Büchern, die für eine schärfere Waffenkontrolle plädieren.
( ... )
Albaner haben etwas von Piraten. Den meisten Leuten, die man auf der Straße sieht, könnte man ohne weiteres eine Augenklappe und ein Kopftuch verpassen und sie in Captain Blood auftreten lassen. Ich will hier keine ethnische Gruppe herabsetzen oder so was, aber wie die meisten Amerikaner hatte ich in meinem bisherigen Leben nur zwei Albaner gekannt, Mutter Teresa und John Belushi. Ein ganzes Land voller Mutter Teresas wäre natürlich auch ziemlich seltsam - alle auf der Suche nach Leprakranken, die man waschen kann. Aber stellen Sie sich ein Volk von John Belushis vor - bloß, dass sie nicht dick sind und auch nicht komisch.
"Die rauben einen aus", sagte der Agenturreporter, als wir - selbst ziemlich faul und träge - in der Balkonbar unseres Hotels noch eine Runde bestellten. "Lass die Brieftasche lieber zu Hause, wenn du ausgehst." Da tauchte ein junger TV-Reporternovice auf und berichtete, er habe ein bisschen Lokalkolorit filmen wollen, aber noch bevor er am Stadtrand war, sei er seinen Wagen, die Fernsehkamera und 5000 Dollar in bar los gewesen.
( ... )
Kurz vor Beginn der Ausgangssperre an meinem letzten Abend in Albanien saß ich mit dem Agenturreporter und ein paar anderen Schreiberkollegen aus den Staaten in einem Café und verkündete gerade: "Albaner sind genau wie alle anderen Menschen."
"Sie sind verrückt", sagte der Agenturreporter.
"Überhaupt nicht", erwiderte ich. "Sie haben bloß eine andere Geschichte, andere Traditionen, sie leben in anderen politischen Verhältnissen. Sie verhalten sich genau so, wie wir uns verhalten würden, wenn wir ... "
Am Nachbartisch saß eine albanische Familie: ein gutaussehender junger Mann, eine hübsche Frau, ein Baby in einem Sportwagen, ein niedliches vierjähriges Mädchen, das auf Papas Knien hopste. Plötzlich griff das Mädchen nach der Zigarette ihres Vaters, zog sie ihm aus dem Mund und versuchte, selbst einen Zug zu nehmen. Mama und Papa lachten. Papa nahm seinem Töchterchen die Zigarette wieder ab. Dann zog er eine Packung Marlboro aus der Hemdtasche, bot der Kleinen eine frische Zigarette an und - gab ihr Feuer.
Eine Leseprobe aus P.J. O'Rourkes Reportageband "Reisen in die Hölle und andere Urlaubsschnäppchen". Übersetzt von Reinhard Kaiser und erschienen in der bibliophilen Reihe "Die andere Bibliothek" des Eichborn Verlages Frankfurt am Main. 312 Seiten in gewohnt gediegener Ausstattung zum Preis von 28 Euro und 50 Cent.
Ich reiste im Juli 1997 nach Albanien, und ich weiß, dass es einem Land dreckig gehen muss, wenn ich schon aus 6000 Metern Höhe erkennen kann, dass mit seiner Geschichte und seiner gesellschaftlichen Organisation etwas nicht stimmt. Als ich auf dem Flug von Rom nach Tirana die albanischen Alpen überquerte, fiel mir auf, dass die Dörfer dort sich nicht in fruchtbare, geschützte Täler schmiegen, wie es die Dörfer in Österreich, in der Schweiz und selbst in Bosnien tun. Die Dörfer Albaniens liegen auf baumlosen, unpraktischen Bergkuppen ohne Ackerkrume. Vor der Erfindung des Skilifts gab es nur einen Grund, an solchen Orten Wohnstätten zu errichten. Bergkuppen lassen sich leicht verteidigen.
Der Flughafen von Tirana hatte eine einzige Start- und Landebahn, und der Terminal war ein schäbiger, kleiner Betonbau, weiß gestrichen und mit ein paar Blumenrabatten vor dem Eingang. Visa- und Einreiseformalitäten gab es nicht. Leute, die illegal nach Albanien einreisen wollen, um Sozialhilfe zu schnorren, sind wahrscheinlich eher selten. Meine Reisetasche hingegen durchleuchteten die Zöllner sehr gründlich. Aber wenn man bedenkt, wie viel Artillerie schon im Land ist, fragt man sich doch, wonach sie suchen. Vielleicht nach Büchern, die für eine schärfere Waffenkontrolle plädieren.
( ... )
Albaner haben etwas von Piraten. Den meisten Leuten, die man auf der Straße sieht, könnte man ohne weiteres eine Augenklappe und ein Kopftuch verpassen und sie in Captain Blood auftreten lassen. Ich will hier keine ethnische Gruppe herabsetzen oder so was, aber wie die meisten Amerikaner hatte ich in meinem bisherigen Leben nur zwei Albaner gekannt, Mutter Teresa und John Belushi. Ein ganzes Land voller Mutter Teresas wäre natürlich auch ziemlich seltsam - alle auf der Suche nach Leprakranken, die man waschen kann. Aber stellen Sie sich ein Volk von John Belushis vor - bloß, dass sie nicht dick sind und auch nicht komisch.
"Die rauben einen aus", sagte der Agenturreporter, als wir - selbst ziemlich faul und träge - in der Balkonbar unseres Hotels noch eine Runde bestellten. "Lass die Brieftasche lieber zu Hause, wenn du ausgehst." Da tauchte ein junger TV-Reporternovice auf und berichtete, er habe ein bisschen Lokalkolorit filmen wollen, aber noch bevor er am Stadtrand war, sei er seinen Wagen, die Fernsehkamera und 5000 Dollar in bar los gewesen.
( ... )
Kurz vor Beginn der Ausgangssperre an meinem letzten Abend in Albanien saß ich mit dem Agenturreporter und ein paar anderen Schreiberkollegen aus den Staaten in einem Café und verkündete gerade: "Albaner sind genau wie alle anderen Menschen."
"Sie sind verrückt", sagte der Agenturreporter.
"Überhaupt nicht", erwiderte ich. "Sie haben bloß eine andere Geschichte, andere Traditionen, sie leben in anderen politischen Verhältnissen. Sie verhalten sich genau so, wie wir uns verhalten würden, wenn wir ... "
Am Nachbartisch saß eine albanische Familie: ein gutaussehender junger Mann, eine hübsche Frau, ein Baby in einem Sportwagen, ein niedliches vierjähriges Mädchen, das auf Papas Knien hopste. Plötzlich griff das Mädchen nach der Zigarette ihres Vaters, zog sie ihm aus dem Mund und versuchte, selbst einen Zug zu nehmen. Mama und Papa lachten. Papa nahm seinem Töchterchen die Zigarette wieder ab. Dann zog er eine Packung Marlboro aus der Hemdtasche, bot der Kleinen eine frische Zigarette an und - gab ihr Feuer.
Eine Leseprobe aus P.J. O'Rourkes Reportageband "Reisen in die Hölle und andere Urlaubsschnäppchen". Übersetzt von Reinhard Kaiser und erschienen in der bibliophilen Reihe "Die andere Bibliothek" des Eichborn Verlages Frankfurt am Main. 312 Seiten in gewohnt gediegener Ausstattung zum Preis von 28 Euro und 50 Cent.