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Albrecht Altdorfer im Frankfurter Städel
Das Expressive in der Kunst um 1500

Das Frankfurter Städel widmet dem aus Regensburg stammenden Maler Albrecht Altdorfer eine Ausstellung und macht dabei deutlich, dass der Begriff "Donauschule", der für sein Werk immer wieder verwendet wurde, in zweierlei Hinsicht problematisch ist.

Von Christian Gampert | 08.11.2014
    195 Bullaugen aus bruchsicherem Spezialglas wölben sich hinter des "alten" Städel über der Halle des neuen Erweiterungsbaus am Dienstag (14.02.2012). Durch die Bullaugen fällt Licht in die unterirdischen Ausstellungsräume, die in der kommenden Woche eröffnet werden. Jährlich ziehen die Kunstwerke des Städel mehrere hunderttausend Besucher an. Der unterirdische Erweiterungsbau soll auch architektonisch neue Akzente setzen.
    195 Bullaugen aus bruchsicherem Spezialglas wölben sich hinter dem "alten" Städel über der Halle des neuen Erweiterungsbaus. (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    Der Begriff "Donauschule", im späten 19. Jahrhundert in Wien geprägt für die Landschaftsgestaltung Albrecht Altdorfers, ist problematisch. Zum einen wurde er von den Nazis heimattümelnd-propagandistisch eingesetzt, zum anderen ist der expressive Stil – als Reaktion auf die italienische Renaissance – nicht nur im Donauraum, sondern im gesamten nördlichen Europa anzutreffen, von Antwerpen bis Prag. Das belegt jetzt das Frankfurter Städelmuseum, indem es in allen Gattungen, vor allem in Malerei, Graphik und Skulptur, jene grotesken Körperposen und bedrohlich belebten Landschaften vorführt, die in den Gärungsprozessen vor der Reformation um 1500 entstanden. Kurator Jochen Sander:
    "Es kam uns bei dieser Ausstellung sehr darauf an, zu zeigen, dass natürlich in dieser Region der Donau dieser Stil ganz besonders beheimatet ist. Aber dass es eben darauf bezogene, davon abhängige, davon ausgelöste Filiationen gibt, im nördlichen Europa, oder autochthone, selbstständige Entwicklungen ganz analoger Gestaltung, die weit jenseits des Donauraums sich abspielen."
    Zu Beginn sieht man, zum Vergleich und zur Orientierung, einen Kupferstich Albrecht Dürers mit den mathematisch präzis proportionierten Körpern Adams und Evas – und daneben dann eine modellartige Gliederpuppe des Meisters IP, dessen monumentales Johannesretabel aus Prag ein Prunkstück der Ausstellung ist. Wie verrenkte, gelängte, überdehnte, exaltierte, manierierte Gliederpuppen, jedenfalls nicht sehr realistisch, werden in vielen Darstellungen der Ausstellung später die Apostel sich winden, die Heiligen und Äbte schreckensbleich im offenbar höllischen Gegenwind stehen und die verdrehten Christus-Figuren am Kreuz hängen.
    Der aus Regensburg stammende Altdorfer malte zwar auch die figurenwimmelnde Alexanderschlacht – aber er ist vor allem der Meister der leeren, jedoch expressiv-beseelten Landschaft, dessen einsame Fichten sich geheimnisvoll spreizen – die nach hinten offene Natur ist auch als Weg durch das gefährliche irdische Jammertal dem Christen eine Warnung. Andererseits wird die Heilsgeschichte, die eingeführte Ikonographie neu gedeutet: die Geburt Christi findet bei Altdorfer in Ruinen statt, unterm Mond schweben surreal anmutende Putten, und das Jesuskind leuchtet wie eine Glühbirne.
    Das beeindruckendste Exponat ist die Apostelgruppe des "Meisters des Zwettler Hochaltarretabels"
    Auch in der Skulptur bekommen die Leiden und Ängste der Menschheit eine neue Intensität – durch die Evokation des Hässlichen, Morosen, Makabren. Diese Hinwendung zur oft grausamen gesellschaftlichen Realität der frühen Neuzeit ist aber auch als künstlerische Gegenbewegung zur italienischen Renaissance zu verstehen, sagt der Skulpturen-Spezialist Stefan Roller.
    "Wenn man sich davon absetzen will, muss man nach Strategien suchen, die dem widersprechen und die diese Konventionen verändern, und da gehört die Verhässlichung einfach dazu – das aus einem schönen Mariengesicht plötzlich eine tumbe Dorfmagd wird oder aus einem Heiligen ein etwas debil dreinschauender Mann."
    Das beeindruckendste (skulpturale) Exponat ist sicherlich die Apostelgruppe des "Meisters des Zwettler Hochaltarretabels": eine Zusammenballung vom Wahn ergriffener, fratzenhafter, ihre Spinnenhände reckender Gestalten mit schlangenartigen Haaren. Den ineinander verflochtenen Leibern scheint die Himmelfahrt Mariae eher ein Alptraum als ein Wunder. Bei anderen Heiligenfiguren wie dem Heiligen Thomas des aus Lübeck stammenden Claus Berg sind die Gewänder auf eine fast konstruktivistische Art gebauscht, ein nicht nur gemarterter, sondern auch behinderter heiliger Sebastian eines süddeutschen Meisters hat ein verkrüppeltes und anatomisch verlängertes Bein, und auf einem Beweinungs-Relief aus der Normandie liegt ein Christus mit grotesk abgeknicktem Oberkörper.
    Die Dynamisierung der Darstellung und der Gefühle findet sich aber auch in der Malerei – in der "Auferstehung Christi" eines oberrheinischen Meisters, die eine reine Lichtorgie ist, oder in der Gefangennahme Jesu eines niederländischen Meisters, der die Figuren wie unter einem Zerrspiegel zusammenschweißt. Neben der kühl-theatralischen von Grootischen "Anbetung" aus Antwerpen bleibt uns aus dieser großartigen Ausstellung vor allem ein gänzlich surreales Bild des Landshuter Malers Georg Lemberger in Erinnerung, der Sündenfall wie auch Verkündigung und Kreuzigung in einem Wald ornamental wuchernder Bäume unterbringt – wobei die spätere Gottesmutter auf einer Wolke sitzt und vom Wind der Geschichte fast weggeblasen wird.