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Albträume
Versagensängste aufarbeiten

Wir wollen uns in der Nacht vom Stress erholen, doch manchmal passiert das Gegenteil. Albträume quälen uns: Unvorbereitet in die Konferenz, Auftrag vergessen, unangenehme Prüfungssituationen aus Schulzeit oder Studium tauchen auf. Doch es gibt Wege, diese Ängste zu besiegen.

Von Astrid Wulf | 05.07.2017
    Ein Schulkind liegt niedergeschlagen auf seiner Schulbank.
    Versagensängste aus der Schule können sich selbst im Erwachsenenalter noch als Albträume bemerkbar machen. (imago/Thomas Eisenhuth)
    "Ich habe lange Zeit in der Uni gearbeitet, in der Forschung. Und ganz wichtig ist da die Verteidigung der Doktorarbeit, da kann man wunderbare Albträume haben. Von: 'Ich stehe da nur in der Unterwäsche' über 'ich habe nur ein Auge geschminkt', oder 'ich habe alle meine Unterlagen vergessen'. Ganz besonders schön ist auch immer der Albtraum, 'der Computer kommuniziert nicht mit dem Computer im Vortragsraum'."
    "Bei mir ist es so, dass ich als Architekt tätig bin und es handelte sich um ein Gebäude mit Innenhof, dieser Innenhof hatte natürlich keinen Ausgang nach außen, und so habe ich geträumt, weil die Fallrohre noch nicht angeschlossen waren, dass der Innenhof vollläuft und dass die Fische schon zu sehen sind, wenn sie im Innenhof schwimmen."
    "Ich bin Juristin und ich kenne Albträume, ich sitze im 2. Staatsexamen, und habe vergessen, das allgemeine BGB zu lernen. Das ist mein Albtraum, der mich über Jahre verfolgt hat."
    Egal, ob man überfordert und überarbeitet ist oder ob die Work-Life-Balance völlig in Ordnung ist – stressige Träume rund um die Arbeit kennen viele. Albträume rund um den Job können sich auch über Jahre wiederholen.
    Verarbeitung von drei Tagen Berufsleben
    Klaus Junghanns leitet das schlafmedizinische Labor am Zentrum für Integrative Psychiatrie in Lübeck, kennt sich also bestens damit aus, was im Schlaf im Gehirn abläuft. Und dass viele Träume grundsätzlich erst mal mit Arbeit zu tun haben, ist für ihn überhaupt nicht überraschend.
    "Wenn man Leute weckt, in den Phasen, wo man Träume hat, dann drehen sich diese Träume eigentlich immer um das, was man in den letzten drei Tagen erlebt hat. Und diese Aspekte sind typischerweise die, die auch im Berufsleben gewesen sind, weil das einen zentralen Teil des Lebens ausmacht."
    Ok – wer viel arbeitet, träumt also auch viel von der Arbeit – soweit, so einleuchtend. Auffällig ist allerdings, dass viele dieser Albträume mit heftigen Gefühlen zu tun haben. Man schämt sich, gerät in Panik, befürchtet, zu versagen und nicht in der Lage zu sein, eine Aufgabe zu erfüllen, dass man Prüfungen vergeigt oder sich völlig blamiert.
    Ängstliche träumen eher vom Versagen
    Das muss gar nichts damit zu tun haben, wie man im Berufsleben tatsächlich zurechtkommt, sagt Schlafforscher Junghanns. Es sei eher eine Typfrage, wer häufiger von solchen Träumen heimgesucht wird: Menschen nämlich, die sich grundsätzlich schneller schämen und Angst haben, sich zu blamieren, träumen auch eher davon, bei der nächsten Präsentation im Büro kein Wort rauszubringen. Denn gerade Versagensängste und Schamgefühle – egal ob im Job, oder auch privat, in Beziehungen zum Beispiel, lassen sich im Traum hervorragend in Arbeits- und Prüfungssituationen verpacken, sagt der Traumexperte.
    "Wir wissen, dass Albträume vor allem emotionale Verarbeitungsträume sind, es geht also um Dinge, die man erlebt hat und die man stressvoll verarbeitet, und im Berufsleben gibt‘s dafür natürlich jede Menge Gelegenheit. Zentrale Themen des Versagens, des Kontrollverlustes, gehen da rein, ohne, dass es da einen Tag vorher ein Problem gegeben haben muss. Das sind glaube ich, Urängste, die da hochkommen."
    Eine Runde Selbstreflexion ist nötig
    Wer oft von stressigen Job-Albträumen geplagt wird, oder sich nachts immer wieder völlig unvorbereitet in der Abi-Prüfung wiederfindet, sollte also mal schauen: Neige ich grundsätzlich dazu, mich schnell abgelehnt zu fühlen? Habe ich große Angst davor, zu versagen oder die Kontrolle zu verlieren? Vielleicht liegt es auch an Stress: Ein hohes Arbeitspensum kann auch zu Albträumen führen. Neben einer Runde Selbstreflexion gibt es auch noch etwas anderes, was bei Albträumen aller Art hilft: Man programmiert den Traum im Wachzustand um. Eine sehr effektive Methode, sagt Schlafforscher Junghanns:
    "Wie kann man einen Traum verändern? Und zwar so verändern, dass er nicht mehr diese angstbesetzte Atmosphäre erzeugt, sondern lustig endet. Da wird also die Kreativität des Träumers gefordert und anschließend wird das dann in Fantasieübungen eingeübt. Und dadurch, dass man das am Tag immer wieder imaginiert, vor der Nacht, ist es dann so, dass es in der Nacht gar nicht mehr zu dem Albtraum kommt, dass der wie abgearbeitet erscheint."
    Träume "Um-Fantasieren" bringt Kontrolle
    Der Architekt springt also zum Beispiel in voller Montur in den mit Wasser vollgelaufenen Innenhof, die Juristin singt beim Staatsexamen einfach Halleluja von Leonard Cohen, und warum sollte man – im Traum wohlgemerkt – während der Prüfung nicht einfach eine Tüte Chips aufmachen? Wer seine Träume um-fantasiert, nimmt dem Albtraum den Schrecken und bekommt vielleicht wieder ein bisschen Kontrolle darüber, was man nachts erlebt.
    Die meisten kommen mit den gelegentlichen nächtlichen Horrortrips allerdings ganz gut zurecht.
    Und was irgendwie auch ganz beruhigend ist: Solche Träume kennen sogar Traumforscher.
    "Ich erinnere bei mir selber den Traum, dass ich mein Abi noch mal schreiben muss, und völlig inadäquat gekleidet zur Prüfung komme, und mich nicht vorbereitet habe. Ich habe mein Abi gut gemacht und trotzdem sind sie immer mal wieder gekommen, wo ich längst approbierter Arzt war. Sie haben nichts mehr mit der Realität zu tun, aber sie drücken eben diese Angst vor Kontrollverlust aus."