Donnerstag, 28. März 2024

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Album "On All Fours" von Goat Girl
Ausgefeilte Songs, bissige Texte

Mit Songs zwischen windschiefem Indie und aggressivem Garagenrock hat sich die Band Goat Girl eine stetig wachsende Fangemeinde erspielt. Auf ihrem zweiten Album “On All Fours” erweitert das Frauen-Quartett seinen rotzigen Sound mit Synthies und Drum-Computer-Loops.

Von Anke Behlert | 07.02.2021
Vier buntgekleidete Frauen befinden sich in einer aus farbigen Tüchern dekorierte Umgegbung. Ein Frau mit gelber Sonnenbrille liegt quer vor den anderen Frauen.
vlnr: Lottie Cream, Holly Hole, (liegend) Rosie Bones, L.E.D. (Holly Whitacker)
Musik: "Sad Cowboy"

Songwriting nach dem Prinzip "Trial and Error"

Schon der erste vorab veröffentlichte Song des neuen Goat Girl-Albums "On all fours" ließ aufhorchen: "Sad Cowboy" hat mit dem schrammeligen Garagepunk-Sound ihres Debütalbums nämlich nicht mehr viel gemein. Der hatte ihnen Vergleiche mit den Pixies, Breeders oder PJ Harvey eingebracht. Stattdessen steht in dem verblüffend tanzbaren Track ein melancholisches Synthie-Riff im Zentrum. Um sich zu inspirieren, haben Sängerin Lottie Cream, Schlagzeugerin Rosy Bones, Bassistin Holly Hole und Gitarristin L.E.D. die Instrumente getauscht und losgejammt.
Lottie: "Wenn man als Band nicht gerade einen Song aufnimmt, sondern jammt, finde ich es ganz normal, dieses oder jenes Instrument zu nehmen und damit herumzuprobieren. Manchmal langweilt mich die Gitarre oder ich höre eine Melodie in einem anderen Instrument, so arbeiten wir einfach."
Holly: "Ich habe beim Songschreiben viel Schlagzeug gespielt, auch wenn ich das nicht unbedingt bei einem Konzert machen würde. Man verlässt sich dann eher auf den Instinkt und sucht nach etwas, das gut klingt. Man denkt nicht so viel darüber nach."
Musik: "Pest From The West"
Geblieben sind die bissigen Texte. Sängerin Lottie Cream trägt sie mit ihrer typischen Mischung aus Blasiertheit und Erschöpfung vor. Schon auf dem selbstbetitelten Debüt nahm sie kein Blatt vor den Mund: ob goldkettentragende Männer, die in der U-Bahn junge Mädchen filmen oder die verhasste Konservative Partei – alle bekommen ihr Fett weg. Das hippe, junge, wenn auch leicht abgefuckte London, das bei Bands wie den Libertines glorifiziert wurde, ist bei Goat Girl höchstens noch eine Anekdote, die sich die Ü-40er erzählen. Die Musik der vier Londonerinnen lockt niemanden in die britische Hauptstadt, wo Geldgier und Gentrifizierung kreative Freiräume plattgemacht haben. Nicht zu vergessen: der Brexit. Am Tag nach der Abstimmung hat die Band ihren Plattenvertrag unterzeichnet, eine bittersüße Erfahrung.
Musik: "Burn The Stake"

Goats of Brixton

Die Mitglieder von Goat Girl stammen aus dem ausgesprochen unhippen Stadtteil Brixton. Sängerin Lottie stand regelmäßig bei Open Mic-Nights auf der Bühne und auch die anderen hatten verschiedene musikalische Projekte, als sie sich kennenlernen. Sie beschließen eine Band zu gründen, denn zusammen macht es einfach mehr Spaß. Ihre ersten Auftritte haben sie im Club The Windmill, sagt Bassistin Holly.
Holly: "Dort herrscht eine sehr nette und ein bisschen eigentümliche Atmosphäre. Alle sind sehr freundlich und offen. Der Eintritt ist günstig und viele junge Bands bekommen eine Chance, zu spielen. Die Betreiber geben Leuten die Möglichkeit, sich auszuprobieren. Man trifft Gleichgesinnte, aber gleichzeitig ist es nicht so exklusiv und cliquenartig. Es ist wirklich ein cooler, einzigartiger Ort."
Musik: "PTS Tea"
Bei einem ihrer Konzerte trafen Goat Girl Dan Carey, der daraufhin ihre beiden Alben produzierte. Das erste wollten sie unbedingt analog aufnehmen und Careys Studio bot dafür die ideale Umgebung, sagt Sängerin Lottie.
Lottie: "Das hat gut zu unserem Stil gepasst. Es klingt roh, man hört die Unregelmäßigkeiten und Fehler, das wollten wir auch so. Beim zweiten Album haben wir es anders gemacht, weil in den Songs viel mehr passiert, es gibt viele Schichten. Dafür war digitales Aufnehmen einfach besser geeignet."
Musik: "The Crack"

An einem Tag vom gehypten Newcomer auf die nächste Stufe

Die Band Goat Girl hat das Kunststück geschafft, alle Stücke des neuen Albums an einem einzigen Tag aufzunehmen, sie geradezu ineinander fließen zu lassen. Auf "On all fours" treffen schmächtige Gitarrenmelodien auf arpeggierte Synthie-Akkorde. Der Bass schafft es, unter strammen Disko-Beats hypnotisch zu grooven. Auch wenn die Songs ausgefeilter und detailverliebter ausgefallen sind - inhaltlich hagelt es heftige Kritik: sei es an organisierter Religion oder kapitalistischer Ausbeutung. Aber auch persönlichere Themen wie Depression werden angesprochen.
Lottie: "Inhalt und Atmosphäre der Songs gehen immer Hand in Hand. Wenn es zum Beispiel um eine frustrierende Erfahrung geht, dann hört man das und spürt es auch in der Musik. "Badibaba" handelt von den Auswirkungen der Ölförderung, die damit einhergehende Umweltzerstörung. Deswegen steigert sich das Stück zum Ende und klingt wie ein Sturm.
Musik: "Badibab"
Mit "On all fours" hat Goat Girl erfolgreich den Schitt vom gehypten Newcomer auf die nächste Stufe geschafft. Mit enormer Lässigkeit erweitert das Frauen-Quartett seinen Sound und bleibt trotzdem wiedererkennbar. Ihre verspielte Herangehensweise ist ansteckend, wer braucht schon Perfektion, wenn man mit drei guten Freundinnen Musik machen kann.