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Album "Remember Us To Life" von Regina Spektor
Variantenreich und doch aus einem Guss

Die 36-jährige Regina Spektor füllt in den USA große Hallen und gibt auch Konzerte für Präsident Obama und seine Familie. Außerdem ist sie gefragte Komponistin für Filmmusik. Nun erscheint ihr neues Album "Remember Us To Life", das von einer einschneidenden Lebenserfahrung geprägt wurde - sie wurde Mutter.

Von Christian Lehner | 24.09.2016
    Eine Frau mit lockigen langen braunen Haaren schaut mit großen Augen durch eine Kunstinstallation auf den Betrachter.
    Die amerikanische Sängerin und Komponistin Regina Spektor (Shervin Lainez / Warner Music)
    Aus dem einstigen Undergroundstar mit Soldatenmütze und Bier in der Hand ist eine Frau geworden, die noch immer leicht Exzentrisches trägt: roter Lippenstift, lange Locken, gepunktetes Top, dazu silberfarbene Pumps. Regina Spektors aktueller Modestil ist der einer Retro-Diva. So präsentiert sie sich auf dem Cover ihres neuen Albums "Remember Us To Life", so sitzt sie auf einer Couch in einem Hotel in Berlin. Zu einer echten Diva fehlt Spektor allerdings die Attitüde. Das macht sie grundsymphatisch.
    "Ich fühle mich frei, zu machen, was ich will. Nicht alle Musiker haben dieses Privileg. Und das ist schade. Die Musikindustrie verlangt häufig, sich auf einen bestimmten Stil festzulegen, um gut vermarktbar zu sein. Ich aber liebe es, einen Hip-Hop-Song zu schreiben, wann immer ich mich so fühle, oder einen Punk-Song, oder ein Country-Stück. So sollte es eigentlich für alle sein."
    Kaum eine andere zeitgenössische Singer-Songschreiberin verfügt über Regina Spektors stilistische und emotionale Bandbreite. Folk, Jazz, Rock'n'Roll: Die Spektor hat alles drauf, mal nerdig, mal herzlich, mal dramatisch. Und immer diese ausdrucksstarke Stimme, die sich über ihr geliebtes Klavier erhebt.
    Gefragte Filmkomponistin
    Spektors Talent, Stimmungen und Bilder einzufangen, macht sie neben ihrer Solokarriere zur gefragten Filmkomponistin. Ihr letzter großer Hit war der Titelsong für die Erfolgsserie "Orange Is The New Black". In der TV-Serie geht es um Frauenschicksale im Gefängnissystem der USA.
    "Für mich sind diese Aufträge wie Hausaufgaben. Ich muss mich in das Thema einfühlen, in die Charaktere und ihre Geschichten. Die Regisseurin erklärte mir, um was es geht. Und schon hatte ich diese Gefängnisgeräusche im Kopf. Die zufallenden Zellentüren, das rasseln der Ketten. Das wurde zum Rhythmus des Songs. Erst nachdem ich das Stück geschrieben hatte, bekam ich den Vorspann der Serie zu sehen. Er zeigt Fotos von echten Gefängnisinsassinnen. Das war ein sehr emotionaler Moment. Menschen sollte man nicht einpferchen wie Tiere."
    Bisher waren Alben von Regina Spektor lose Songhaufen, von denen ihre Urheberin hoffte, dass sie irgendwie zusammenpassen würden. Auf dem siebten Album ihrer Karriere ist das anders. Obwohl gewohnt variantenreich wirkt "Remember Us To Life" wie aus einem Guss. Das liegt zum einen am durchgehenden Einsatz eines Orchesters. Spektor führt aber auch private Gründe an: Vor zwei Jahren wurde sie erstmals Mutter.
    "Ich habe einige Songs während der Schwangerschaft geschrieben und einige nach der Geburt. Seltsamerweise fiel mir das Arbeiten nach der Geburt leichter, obwohl ich ständig müde war und ausgelaugt. Aber ich war auch so wahnsinnig glücklich und inspiriert. Dass ich überhaupt zum Schreiben gekommen bin, verdanke ich meiner Familie, die mir sehr geholfen hat. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das Alleinerziehende schaffen. Wir als Gesellschaft müssen ihnen viel mehr helfen."
    Geblieben ist die Liebe für Poesie
    Obwohl es Regina Spektor noch immer schafft, sämtliche Emotionen in einem Song abzurufen, fallen die musikalischen Brüche und Sprünge nicht mehr so heftig aus wie früher. Sie schreit, schmatzt und brabbelt auch nicht mehr so viel. Geblieben ist die Liebe für Poesie, Tagträume und surreale Bilder, so wie im Song "Small Bill$".
    Geblieben ist auch Spektors Interesse für Außenseiter. Sie stolpern und stürzen durch ihre Songs. Fast immer spricht ihnen die New Yorkerin Mut zu. Sie selbst weiß, wie das ist, wenn man sich fremd fühlt. Als Kind kam Spektor als russischer Flüchtling in die USA.
    "Was vielen nicht bewusst ist: Wenn jemand alles zurücklässt, seine Sprache, sein Hab und Gut, Freunde und Verwandte, dann setzt er viel Hoffnung in die neue Heimat. Auch wenn Populisten das Gegenteil behaupten: Die meisten Flüchtlinge kommen mit den besten Absichten. Wir haben viel mehr gemeinsam, als uns trennt."