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"Alcina"

Auf der Suche nach ihrem verschollenen Geliebten Ruggiero verschlägt es die Jungfrau Bradamante, als Mann verkleidet, auf Alcinas Zauber-Insel. Nach vielen Verzauberungen und Verwicklungen erweisen sich Alcinas schwarze Künste als wirkungslos, ihre verwunschene, falsche Welt versinkt, alle Verzauberten erhalten ihre Menschengestalt zurück. Aus solch luftigem Stoff ist Händels Oper "Alcina", die am Sonntag abend an der Komischen Oper Berlin Premiere hatte. Ob "Alcina" den fatalen Besucherschwund der Komischen Oper aufhalten könnte?

    Ausgerechnet Bananen werden hier ständig hin und her gereicht, gekarrt, geschält, gemampft – als ob man an diesem Hause mit diesem Lebensmittel sich nicht schon genug Ärger eingehandelt hätte beim P-P-Publikum.

    Das war vor anderthalb Jahren, als der Chefregisseur und mittlerweile kom-missarische Intendant der Komischen Oper, Andreas Homoki, mit seiner Einstands-Inszenierung von Smetanas Verkaufter Braut die Gier nach dieser exotischen Frucht zitierte, um sich lustig zu machen über die unkritischen Nachwende-Ossis. Die räch-ten sich, indem sie das Haus an der Behrenstrasse mehr und mehr mieden.

    Für den amerikanischen Regisseur David Alden stehen die krummen gelben Dinger wohl für die "exotische Insel", auf der Georg Friedrich Händels Oper Alcina spielt. Die wirre Geschichte um die Zauberin Alcina, die Männer auf ihre ferne Insel lockt wie Pollen die Bienen auf die Blüten und die die Männer dann verwandelt in Tiere, um sie zu besitzen – was auch reichlich demonstriert wird hier -, diese wirre Geschichte verwirrt Alden noch mehr.

    Er verflacht sie zu einem Stück vergilbter Tapete, die nach und nach von der Wand bröselt. Bei ihm spielt das Stück in einer verwunschenen Kinowelt. Im Pro-gramm verrät Alden zwar, was er sich als Plot dachte dahinter: ein Mann flieht in eine Traumwelt. Die Traumfrau, der er dort begegnet und die eine Hexe sein könnte, nimmt in seiner Imagination immer reellere Züge an, worüber er seine eigentliche Geliebte immer mehr aus den Augen und seinen Gefühlen verliert.

    Es hätte ja vielleicht ein interessanter Abend werden können, wäre er nicht nur Pa-pier geblieben. Aber mehr als eine fade Erinnerung an Woody Allens Film The Purple Rose of Cairo ist es nicht. Alden macht – eitel, wie er ist – was er immer macht: Er häuft ein paar beziehungslose Gags aufeinander in der trügerischen Meinung, die Geschichte erzähle sich schon von selbst.

    Tut sie aber nicht. Mehr als den halben Abend rätselt man, wer warum jetzt was macht. Warum etwa ein alter Mann mit irgendwelchen Apparaten aus dem Vorkriegs-Physikunterricht da ständig hantiert; weswegen eine erst als alte Hexe scheinende Frau einen Kinderwagen mit einem Affenbaby über die Bühne schiebt; warum man plötzlich in einen Zoo versteinerter Tiere sich versetzt fühlt; weswegen eine Frau sich ständig die Kleider bis knapp vor der Unterwäsche vom Leib reißt – oder ist sie gar keine Frau?

    Vier Stunden dehnt sich das sehr zäh dahin. Alden gibt sich überzeugt, kein Sech-zehntel-Fähnchen einer Note von Händels Partituren dürfe verändert werden. Dabei hat der Meister selbst rigoros gestrichen und überklebt, wenn es die Umstände erfor-derten.

    Man wäre ja vielleicht dankbar für solche "Werktreue", würde es auf der Büh-ne vor Spannung nur so knistern und blitzen. Aber Alden produziert vor allem Gäh-nen, und so viele Bananen gibt’s nicht mal in der Requisite der Komischen Oper, um alle Münder damit zu stopfen.

    Immerhin musiziert wird recht ordentlich. Die Ouvertüre, so nervig akzentuiert Paul McCreesh sie angeht, lässt sogar Außerordentliches erwarten. Aber der Abend flacht auch musikalisch mehr und mehr ab. Dirigenten wissen: das Auge dessen, der am Pult steht und die Bühne im Blick haben muss, dirigiert mit. Und Klamauk ist eine schlechte Inspirationsquelle für diese fein ziselierte, aber oft eben auch für unser heutiges Zeitgefühl allzu langatmige Händelsche Musik.

    Die Bravi für die Musiker, die Buhs fürs Regieteam hielten sich bei einem insgesamt eher matten Applaus im Rahmen.

    Mit Tamerlano hatte Alden vor zwei Jahren schon ein ähnlich gespaltenes Echo evo-ziert. Der Führung des Hauses galt diese Produktion dennoch als Erfolg. Mittlerweile fragt man sich doch aber immer besorgter, wie viele derartige "Erfolge" die um ihre matten Besucherfrequenzen kämpfende Komische Oper noch anhäufen will? Teure Namen garantieren keine Erfolge, nur Qualität. Und die zu suchen an dem Hause, das den Namen immerhin Walter Felsensteins trägt, braucht man eine immer di-optrieen-stärkere Lupe.