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Aleksandar Tišma

Zu den eindrucksvollsten Leseerfahrungen, die man in den neunziger Jahren machen konnte, gehören die Erzählwerke des serbisch-jüdischen Schriftstellers Aleksandar Tišma. 1991 kehrte mit dem jugoslawischen Konflikt der Krieg in ein Europa zurück, das sich fast schon im ewigen Frieden gewähnt hatte. Im selben Jahr erschien auf Deutsch Der Gebrauch des Menschen , Tišmas großer Roman über die Verheerungen, die mit der deutsch-ungarischen Besatzung 1942 über Jugoslawien kamen. Das Buch konnte hiesigen Lesern wie ein hintergründiger Begleittext zu den aktuellen Kriegsnachrichten vom Balkan erscheinen.

Wolfgang Schneider | 28.09.2003
    Der antihumane Titel hätte als Motto auch über den nachfolgenden fünf Romanen und Erzählbänden stehen können. In ihrer düsteren Welt kann der Leser vor allem eines erfahren: Die Würde des Menschen ist antastbar. Novi Sad, die Stadt, in der Kroaten, Ungarn und Serben, Christen, Muslime und Juden eine gute Weile friedlich zusammenlebten, ist durch Tišmas Werke zum Symbol für die Traumata des 20. Jahrhunderts geworden.

    Da das Wüten der Geschichte in ihnen eine so große Rolle spielt, wurden sie in der Regel auch zeitgeschichtlich und politisch verstanden. Dass diese Lesart nur eingeschränkte Gültigkeit besitzt, zeigte insbesondere der zuletzt ins Deutsche übersetzte Erzählungsband Ohne einen Schrei . Gewalt erscheint in diesen Geschichten vom Bodensatz der Gesellschaft, wo die biologischen Grundlagen des Daseins weniger von zivilisatorischem Schmückwerk verdeckt sind, als anthropologische Konstante.

    Geradezu enthistorisiert präsentiert sich nun das Tagebuch, das Tišma – sehr sporadisch - von 1942 bis 2001 führte. 1200 Seiten umfasst es im Original; jetzt sind auf deutsch die ersten zweihundertfünfzig erschienen, in der bewährten Übersetzung von Barbara Antkowiak. Es handele sich beinahe um ein "lamentierendes Mädchentagebuch", mit dem er seiner Familie einiges zumute, meinte der im Februar verstorbene Autor noch vor einem Jahr in einem Interview. Man versteht jetzt, was er damit meinte. Zwar hat er einige Passagen gestrichen, die Frau oder Sohn kränken könnten. Aber was immer in 25 Jahren, wenn das Original im Novi Sader Archiv eingesehen werden darf, noch zutage kommt, eins ist jetzt schon gewiss: Tišma hat seinen Angehörigen tatsächlich eine ganze Menge zugemutet.

    Ich beginne dieses Tagebuch in guter Stimmung. Die Krisenzeit ist vorbei, ich habe mich stabilisiert. (...) mein pubertärer Nihilismus, dieses Chaos der Gedanken und Ideen, ist verschwunden.

    Wie optimistisch – und wie altklug auch - klingen diese ersten Sätze des Achtzehnjährigen aus dem Juli 1942. Das dreitägige Pogrom von Novi Sad liegt kaum ein halbes Jahr zurück. Tišma hat es später wiederholt beschrieben: Im Strandbad an der Donau bildeten die nackten Menschen bei minus 30 Grad eine Warteschlange, die wie eine bösartige Parodie auf den sommerlichen Andrang der Badegäste wirkte. Sie wurden erschossen oder erschlagen und durch blutverschmierte Eislöcher in den Fluss geworfen. Dieses Massaker mit vielen jüdischen und serbischen Opfern ist das schmerzende Zentrum der Werke Tišmas. Die Vergangenheit, die nicht vergeht, die mit den Jahren in den Gemütern von Opfern wie Tätern vielmehr wuchert wie ein psychisches Krebsgeschwür - das ist sein großes Thema. Der Tagebuchschreiber jedoch verliert über die Schrecken, die seine späteren Romane umkreisen, kein einziges Wort.

    Stattdessen wird schon auf der dritten Seite das große Ziel ins Auge gefasst: Schriftsteller werden. Andere Berufsambitionen werden so von vornherein entkräftet: alles nur vorläufig, Umweg zum eigentlichen Ziel. Entsprechend verstolpert wirken die nächsten neun Jahre.

    Leitmotive, die schon auf den ersten Seiten angeschlagen werden, sind die Jagd nach Frauen und die Geschlechtskrankheit. "Wieder Gonorrhöe – die lästige Begleiterin der Liebe", heißt es einmal. Nicht nur wieder, sondern wieder und wieder. Der junge Tišma kann kaum noch zu zählende Erfolge und Infektionen verbuchen.

    Ich giere nach Frauen. Heute auf der Straße sah ich einer in die Augen. Sie erwiderte im Vorübergehen meinen Blick. Ich stand wie angewurzelt. Lief ihr nicht nach, war aber ganz außer mir vor Erregung.

    Meist läuft er ihnen jedoch nach. "Heute habe ich zwei auf dieselbe Weise verführt" – so liest man nicht nur einmal.

    Die Frauen lieben mich – na und? Muss ich bei jeder nachgeben? Und dann wundern sie sich, dass ich grausam bin. Ich, der mit Straßenmädchen den größten Spaß hat. (...) Vorgestern war K. bei mir. Ich begehre sie; aber Liebe? Sie liebt mich, zumindest ist sie entwaffnet durch die Kälte, mit der ich sie behandle. Zum Teufel mit ihr. Morgen treffen wir uns wieder.

    Besonderns glücklich wird Tišma mit seinen Liebeleien und Affären allerdings nicht.

    Jetzt frage ich mich, wer mehr verloren hat: sie, die unter meiner Kälte gelitten hat, oder ich, der ich für ein Meer langweiliger Abende zwei Liebesnächte bekommen habe. (...) Das Radio bringt weinerliche ungarische Lieder, und mir ist auch zum Heulen. Alles, was mit mir geschieht, ist leer, vergänglich, minderwertig. Die notwendige Trauer nach dem Koitus? Aber was existiert denn außerdem? (...) Als ich bei Ceplic ankam, las er gerade meine Aufzeichnungen. Er sagte als Literaturkritiker interessierten ihn meine Intimitäten nicht, gab jedoch später zu, dass ihn meine krankhafte Sexualität schockiert habe, besonders die Stelle, wo ich beschreibe, wie ich von einer Hure mein Geld zurückverlange.

    Die wir lieben , Tišmas kleine Roman-Hommage an die billige Hinterhof-Prostitution von Novi Sad, verdankt sich also gründlicher Erfahrung. Denn bei aller Stilisierung – natürlich ist dieses Tagebuch auch ein literarisches Projekt -, am authentischen Gehalt der Aufzeichnungen ist kaum zu zweifeln. Der autobiographische Hintergrund einiger Romanfiguren ergibt sich nun in aller Deutlichkeit. Nicht der milde, sympathische Jude Blam aus dem Buch Blam , sondern Sredoje Lazukić, die triebgesteuerte Hauptfigur von "Der Gebrauch des Menschen" – das ist, kaum verstellt, Tišma als junger Mann. Lazukić schwelgt in Phantasien, in denen sich Erotik, Macht und Gewalt verquicken. Der Krieg und die Okkupation bieten ihm die Chance, sie umzusetzen. Manches Erlebnis dieses Frauenverschleißers ist dicht an dem, was der Autor in jenen Jahren trieb und notierte:

    Ich gebe mich bei den Straßenmädchen als Detektiv aus, weide mich an ihrer Angst und drücke dann ein Auge zu, damit sie mir zu Willen sind. Bin ich ein Sadist? Ein Mensch mit krankem Hirn?

    Auch der "Kapo", die monströs-mediokre Hauptfigur des gleichnamigen Romans, die ihre Zwischenstellung im Machtgefüge des Konzentrationslagers nutzt, um sich weibliche Häftlinge gefügig zu machen, rückt fast erschreckend nahe an Tišma heran. Das Buch liest sich nun wie ein moralisches Experiment: Hätte ich, Tišma, in dieser Lage womöglich so gehandelt? Er habe zwar nie einen Mord begangen, aber die Möglichkeit dazu habe immer in ihm existiert, meinte noch der Siebenundsiebzigjährige. "Heute könnte ich ohne Umschweife töten", heißt es an einer Stelle im Tagebuch.

    Die Reduktion auf Lust und Liebelei mag den heutigen Leser provozieren angesichts des Schwergewichts an historischem Ernst, das auf jenen Jahren lastet. Nicht einmal Stalingrad ist Tišma eine Erwähnung wert; jeder Kommentar zum Krieg und zur Judenverfolgung bleibt ausgespart. Aber das Ausblenden historischer Erfahrungen in dieser Konsequenz hat auch etwas Stimmiges: Die Menschen in Tišmas Romanen erscheinen ja ebenfalls oft reduziert aufs Kreatürlich-Animalische. Der Autor hat es ihnen vorgelebt. Historische Zusammenhänge sind etwas Nachträgliches.

    So wollen diese Aufzeichnungen, bei aller realen Gefährdung, nicht nach einer Respekt gebietenden Verfolgten-Vita klingen. Er sei vor den Verhaftungswellen nach Ungarn ausgewichen, meinte Tišma später. Dem Tagebuch zufolge scheint er eher aus Verlangen nach großstädtischer Abwechslung und zu Studienzwecken im August 1943 nach Budapest zu ziehen; gleich nach der Ankunft widmet er sich wieder seiner libidinösen Hauptbeschäftigung.

    Im Sommer 1944 wurde er für drei Monate in ein Arbeitslager nach Transsilvanien abkommandiert, Schützengräben gegen die näher rückende Rote Armee ausheben. Im Tagebuch beschwert er sich nicht über die Zwangsarbeit; vielmehr verzeichnet er bei Marsch und Kasernenleben "ein neues Gefühl kollektiver Freude", beschreibt die Landschaft, und auch mancher Kamerad gerät ihm zum menschlichen Stillleben:

    Hegedüs sitzt mir gegenüber und ißt. So schön, wie das nur Bauern vermögen, schneidet er Speck und Brot und steckt sich die Bissen in den Mund. Das kurze, blonde und weiche Haar liegt um seinen gutgeformten Schädel, fällt ihm in die Stirn über den kühnen grünen Augen und bildet zusammen mit der kurzen gebogenen Nase, dem runden Kinn, dem schönen Körper eine Erscheinung idealer Harmonie und Kraft.

    Im Oktober 1944 bricht die deutsche Jugoslawienfront zusammen, Titos Partisanen erobern Belgrad. Tišma ist wieder in Novi Sad, aber der allgemeine Jubel über den Sieg geht an ihm, der als Halbjude doch einigen Grund zur Erleichterung hätte, vorbei – der historische Moment wird buchstäblich verschlafen:

    Im ‚Wirbel der Ereignisse’ (die Befreiung steht bevor) hocke ich im Schutz der säuerlichen Monotonie meiner Einsamkeit, das heißt ich lese und schlafe.

    Am 24. Oktober ist die Okkupationszeit zu Ende – Tišma fühlt sich melancholisch und auf sich selbst zurückgeworfen zwischen all den Feiernden: "stupsnasigen, breitschultrigen Russen" und "hysterischem Weibervolk", wie er schreibt. Ende des Jahres meldet er sich noch zur Armee; es waren die Monate, in denen es ans innerjugoslawische Abrechnen und Vergelten ging, das mehr Tote kostete als der Partisanenkrieg gegen die deutschen und ungarischen Besatzer. Tišma wurde Musiker in einer Militärkapelle, allerdings ohne ein Instrument zu beherrschen, weshalb man ihn bald wieder entließ. Auch diese schöne Geschichte der Mimikry des Überlebens fehlt im Tagebuch. Politische Perspektiven sind Tišma zunächst fremd.

    Mein Egoismus: ich möchte, dass die Menschheit in ihren Hoffnungen auf die Nachkriegszeit enttäuscht und betrogen wird; so würde mein Skeptizismus gerechtfertigt...

    Irgendwann beginnt er im Sozialismus jedoch ein Heilmittel gegen seine persönlichen Probleme zu sehen. "Ich trete wohl jetzt in die Periode meiner marxistischen Entwicklung ein", notiert er im Mai 1945. Wenn nur das Wörtchen "wohl" nicht wäre. Bald gesteht er sich ein, dass seine Zustimmung zur neuen Ordnung ganz von dem Maß abhänge, in dem seine Sinne unter diesen Bedingungen befriedigt würden. Zu den Sinnen zählt er allerdings auch Eitelkeiten, Wünsche, Ambitionen. Andererseits nimmt er in zerknirschten Momenten Zuflucht zu schulmäßiger Selbstkritik:

    Wegen meiner Zugehörigkeit zur untergehenden bourgeoisen Klasse ist mein Lebensziel der Genuss in der Bestätigung meiner selbst, und als höchste Stufe dieses Genusses der Sex.

    Anfang 1947 gibt er sich ganz und gar geläutert:

    Die Wendung in meinem Leben hat sich vollzogen. Heute trete ich voll für die Positionen des Sozialismus ein. (...) Ich hatte eine sehr unglückliche Jugend. Die Rassenscham, die Familienstreitigkeiten, Lügen und Raffgier – all das entfremdete mich von der Welt. Bei der Armee bekam ich zum ersten Mal das Gefühl für echte Menschen, unter ihnen erwachte zum ersten Mal mein Wunsch, irgendwohin zu gehören. Die Bewegung bedeutete für mich Rettung vor der Einsamkeit, dem Chaos, der Scham, dem Unglück, der Vernichtung. Dass ich geschwankt habe, ist kein Wunder. Die bourgeoise Herkunft mit ihren Gewohnheiten, Skepsis und angeborene Faulheit, Selbstliebe und Willenlosigkeit behinderten mich auf meinem Weg.

    Aber im April 1948 ist wieder alles beim alten, die "bourgeoise Herkunft" hat wieder die Oberhand:
    -- Könnte ich wählen zwischen der Realisierung des Sozialismus und einem Harem, würde ich mich immer für das zweite entscheiden.

    So geht es hin und her. Nicht ohne Selbstironie beobachtet Tišma seine eigene Wankelmütigkeit, wenn er etwa kurz darauf, als er eine Auszeichnung zum 1. Mai erhält, schreibt:

    Ich bin voller Dankbarkeit und Bewunderung für die Gerechtigkeit der neuen Gesellschaft.

    Bald stellt sich jedoch eine bleibende Skepsis gegenüber der neuen Gesellschaft ein; aus der "Diktatur des Proletariats" drohe die "Tyrannei der Partei" zu werden. Tišma übt sich nicht in Protest, sondern in der stillen Renitenz, die charakteristisch für ihn ist:

    Jetzt wurde von uns Landbesitzerkindern verlangt, unsere Eltern zum Eintritt in die Genossenschaft zu agitieren. Ich hingegen berede die meinigen, das Land zu verkaufen, um der Genossenschaft zu entgehen.

    Ende 1945 beginnt er mit der Arbeit als Journalist, um fortan ausdauernd mit dem Brotberuf zu hadern. Was ihn nicht hindert, bei Gelegenheit die schmeichelhaften Vorzüge des Journalistenlebens zu loben:

    Als mich der Portier heute früh um 5 Uhr 30 weckte, dachte ich: Was für einen dummen Beruf ich habe. Er nützt niemandem, und mir ist er lästig. Bei nächster Gelegenheit werde ich ihn wechseln. Dann kam ich nach Kumanovo. Die Achtung, die ich als Journalist genoss, die Sonne, die gesunden Menschen, die lärmenden Kinder, die Zigeuner, das rohe, schonungslose, hungrige, großartige Leben verwandelten meine Unzufriedenheit in Schwärmerei. Wie herrlich ist dieses Land.

    1948 erwägt Tišma, noch Medizin zu studieren, versucht es dann aber lieber mit Kunstgeschichte. Die erste Prüfung besteht er mit Bestnote; er klopft sich selbst auf die Schulter für gute Arbeit und untadeliges Verhalten. Aber drei Tage später kommt die unvermeidliche Desillusion:

    Als ich den begeisterten Vortrag des großen blonden Historikers Djokić über die Klöster hörte, wurde mir all meine Gleichgültigkeit gegenüber dem Studienfach klar, und ich beschloss sofort, es aufzugeben.

    Tiefe Verzweiflung ist die Folge – und die Rückkehr zur Literatur.

    Fünf Jahre lang rede ich darüber, wie unglücklich ich bin, dabei ist es so einfach: ich bin ein Schriftsteller und kann nur als solcher zufrieden leben.

    Bereits 1947 hatte Tišma sich selbst als Autor von Novi Sad entworfen:

    Plötzlich bekam ich Sehnsucht nach diesem dummen Leben in den gepflasterten, schattigen Höfen quasimoderner Häuser, wo Menschen zur Welt kommen, reich werden, Pleite machen und sterben. O kleine Stadt, ich bin dein und werde es sein, solange ich lebe, ich werde dich hassen wegen all der Verletzungen und mich nach dir sehnen, weil du mich auf der Schwelle des Lebens mit deiner naphtalinduftenden feuchten Wärme umgeben hast. Und solange ich dichte, werde ich dich besingen, wenn auch mit einem Lied, das die Inspiration tötet.

    Dieses Tagebuch ist eine bohrende Ich-Erkundung, desolat und schonungslos, wenn auch nicht ohne Eitelkeit in der permanenten Selbstbezweiflung. Tišma beklagt seine "teigige, feige Skepsis", seine "schmierige, hinterhältige Ängstlichkeit". Das einzige Heldentum, das er an sich entdecken kann, ist die Tapferkeit im Erdulden von Geschlechtskrankheiten. Er sei ein Lügner, Schauspieler, Heuchler. Tišmas Literatur kommt aus tiefster Unzufriedenheit.

    Abgesehen von vielen literarischen Projekten – etwa einem Werk mit dem Titel "1941", das schon wie eine Vorstufe zu den späteren Romanen und Erzählungen klingt –, erfährt man im Tagebuch auch einiges über Tišmas Einflüsse und Lektüren. Er ist beeindruckt von Gides stilistischer Perfektion, Tolstois Kunst der Figurendarstellung, von Prousts Auffassung der Liebe als "Krankheit" und "Lähmung der Intelligenz" sowie dem Pessimismus Thomas Manns, über den er kluge Sätze schreibt.

    Ich sehe jetzt Thomas Mann ziemlich klar. Dieser pessimistische Dichter durchschaut den Kampf in der Natur, wo alles Überreife, Verfeinerte erbarmungslos abgestoßen wird und das Starke, wenn auch Mittelmäßige, überlebt. Er schwankt zwischen der Vernunft, die ihm befiehlt, die unbestechlichen Gesetze anzunehmen, und seinem Aristokratismus, der ihn anstiftet, alle Mittelmäßigen zu hassen.

    Über die Entwicklung des nicht mehr jungen Mannes zum Jahrhundertautor werden die nächsten Bände Auskunft geben. Einen intimen Blick ins Getriebe seines literarischen Motors gewährt bereits dieser. Und immer wieder erhebt sich bereits im Tagebuch aus der Misere, kalt und unbestechlich, der große Selbst- und Menschenbeobachter, etwa in der folgenden Szene:

    Dummheit und Brutalität, die zwei Übel, die stets Hand in Hand zu gehen scheinen, kränken mich immer mehr. Heute haben drei demobilisierte Soldaten einen mageren Wolfshund misshandelt. Sie scheuchten ihn mit Steinwürfen und Schreien, bis ihn einer - von gewöhnlichem Aussehen, in einem braunen Anzug – an einer Mauer abfing und mit aller Kraft in die Weichteile trat. Ich blieb wie versteinert stehen, konnte nicht verstehen, warum er den Hund quälte. Erst wollte ich ihn danach fragen, ließ es aber sein. Auch er blieb stehen, als sei ihm ein Gedanke gekommen, dann ging er gleichgültig weiter.

    Am Ende des Buches gibt es noch eine Zugabe: den im Original 1969 publizierten Essay "Die Meridiane Mitteleuropas", die Beschreibung einer Reise nach Polen, Wien und Budapest. Nach der irritierenden Innenwelt des Tagebuchs zeigt sich Tišma hier wieder als großer Beobachter der Außenwelt. Sehr beeindruckend die Passagen über Budapest. Anderthalb Jahrzehnte nach Kriegsende flaniert Tišma durch die Straßen der Stadt, auf der Suche nach dem Lebensgefühl von 1943, als "täglich Alarm war, aber ebenso täglich getanzt wurde". Erst hier entsteht ein gültiges, die oft allzu spärlichen Tagebuch-Informationen ergänzendes Bild der frühen Jahre. Jahre eines verwirrenden Nebeneinanders von Bombennächten und Bordellbesuchen, Zwangsarbeit und Eleganz, Gefahr und Sorglosigkeit, Todesangst und Lebensgier.

    Aus dem Serbischen von Barbara Antkowiak - Hanser, 317 S., EUR 21,50