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Alfred Andersch in neuem Licht

Der Autor und Publizist Alfred Andersch hat seine Vita geschönt. Im Zusammenhang mit seiner Wehrmachtsangehörigkeit hat er nach 1945 mehr verschleiert, als man bisher annahm. Vor zehn Jahren bereits hatte der Schriftsteller W. G. Sebald den Literaten Andersch deshalb heftig attackiert. Die Literaturwissenschaftler Jörg Döring und Rolf Seubert von der Universität Siegen bei der Deutschen Dienststelle in Berlin Belege gefunden, die Sebalds damals stark umstrittene Anschuldigungen bestätigen.

Der Literaturwissenschaftler Jörg Döring im Gespräch mit Rainer Berthold Schossig | 05.08.2008
    Rainer Berthold Schossig: Frage an Jörg Döring: Ihr Aufsatz, in dem dies dargelegt ist, wird Mitte September in der "Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik" im Metzler-Verlag erscheinen. Sahen Sie denn Gründe, an einer Wahrheitstreue von Anderschs Autobiografie zu zweifeln?

    Jörg Döring: Es gab nicht unbedingt Gründe an der Wahrheitsgemäßheit der Biografie Anderschs zu zweifeln, allerdings sind die wirklich substanziellen biografischen Recherchen zu Andersch schon etliche Jahre alt. Und uns hat gestört, dass die Vorwürfe von W. G. Sebald von der Germanistik mit einer gewissen Kaltschnäuzigkeit zurückgewiesen wurden. Sebald wurde gewissermaßen in den Einführungskurs Literaturwissenschaft zurückversetzt mit dem Hinweis, man darf Leben und Werk nicht miteinander engführen. Das Leben eines Autors ist das Eine, die Bedeutung seines Werkes das Andere. Das kann man sicher so stehen lassen. Auf der anderen Seite gehört es auch zum literaturwissenschaftlichen Geschäft, obwohl das manchmal vergessen wird, die Akten zu prüfen. Und wir hatten Gründe dafür, noch mal die Wehrmachtsgeschichte von Alfred Andersch nachzurecherchieren. Nicht zuletzt deshalb, weil mittlerweile durch die Familie von Alfred Andersch der Zugang zum Nachlass, zu den nachgelassenen Materialien Alfred Anderschs ziemlich restriktiv gehandhabt wird. Man kriegt aber auch jenseits vom Nachlass noch einiges raus und dieser Dokumentenfund in der Deutschen Dienststelle ist eines der Ergebnisse unserer Recherchen.

    Schossig: Da geht es um die jüdische Herkunft von Anderschs Ehefrau Angelika. Und Sebald hatte ihm, Andersch, posthum vorgeworfen, von dieser Herkunft einen strategischen Gebrauch gemacht zu haben, wie er sich ausdrückte. Sie haben nun, könnte man vielleicht sagen, eine Art Doppelstrategiegebrauch Anderschs festgestellt. Wie hat das ausgesehen?

    Döring: Der Vorwurf der Doppelstrategie ist streng genommen schon von Sebald selbst erhoben worden. Ich erinnere noch mal an seine Argumentation. 1943 drängt Andersch auf Scheidung von seiner, jetzt im Jargon der Nürnberger Rassengesetze gesprochen, halbjüdischen Ehefrau, um die Schreiberlaubnis im Dritten Reich zu bekommen. Und das vor dem Hintergrund, dass seine Schwiegermutter, die Mutter seiner halbjüdischen Frau, schon seit einem Jahr im KZ ist. Das ist natürlich moralisch ein höchst bedenklicher Vorgang. Gleichwohl hält Andersch, obwohl er sich deswegen später ein schlechtes Gewissen gemacht hat, daran fest, einfach um Schreiberlaubnis im Dritten Reich zu bekommen.

    Ein Jahr später dann, in amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach seiner Desertion an der italienischen Front wiederum, im Kriegsgefangenenlager, will er sich die Ehe mit einer halbjüdischen Frau als Verdienst anrechnen lassen, damit ihm seine Papiere, seine schriftstellerischen Versuche, die Substanz seiner Betätigung als Schriftsteller bis dahin wieder ausgehändigt werden. Und das hat schon Sebald als Doppelstrategie, sozusagen als strategische Instrumentalisierung des jüdischen Hintergrundes seiner Frau gebrandmarkt und scharf verurteilt, verbunden auch mit dem Hinweis, dass dadurch vielleicht auch das gesamte literarische Nachkriegswerk von Andersch stark kompromittiert sei.

    Unser Fund nun fügt dieser Diskussion insofern ein weiteres Belegstück hinzu, als wir schon 1941 nachweisen können, dass Andersch strategischen Gebrauch von der jüdischen Herkunft seiner Frau macht. Nämlich 1941 in der französischen Etappe, die Wehrmacht startet gerade ihre erste große Entlassungswelle in der Euphorie des Erfolges im Frankreichfeldzug, und Andersch schließt im Heeresverordnungsblatt eine Verordnung, dass die, in Anführungszeichen gesprochen, jüdisch Versippten aus der Wehrmacht auszusondern seien. Und unsere Hypothese ist, per Selbstanzeige bezeichnet er sich als jüdisch versippt und wird daraufhin aus der Wehrmacht entlassen. Also, auch hier schon der strategische Umgang mit der jüdischen Herkunft seiner Frau.

    Schossig: Und wie konnte er dies dann eigentlich später in Pazifismus umdeuten? Denn den Eindruck hat man ja bei Lektüre sozusagen post festum.

    Döring: Also, der Pazifismus von Alfred Andersch ist durch diesen Umstand meines Erachtens gar nicht berührt. Also wenn Sie mich jetzt persönlich fragen, hat ein Schriftsteller im Dritten Reich, es muss auch gar nicht ein Schriftsteller sein, jedes Subjekt darf alle Gründe in Anspruch nehmen, sich aus der Wehrmacht rauszustehlen. Also soweit dürfen wir ihm da auf jeden Fall Recht geben. Moralisch bedenklich wird die Sache erst, als er die Gefährdung seiner Frau in Kauf nimmt, denn er musste wissen, was es für die halbjüdische Frau bedeuten konnte, 1943 von ihm geschieden zu werden.

    Schossig: Klar, das ist das Eine. Aber dann gibt es ja auch das Element der Selbststilisierung im Nachhinein, oder?

    Döring: Die Selbststilisierung, die in den "Kirschen der Freiheit" zugrunde liegt, die von Andersch selbst als autobiografischer Bericht bezeichnet wird, ist nun genau der Gegenstand solcher germanistischer Untersuchungen, die sich genau diese Engführung von Leben und Werk selber zur Aufgabe machen, um zu sehen, was entspricht sozusagen einem autobiografischen Vorwurf, autobiografischen Realien, was ist sozusagen fiktionale Zutat? Und die Bedeutung dieses Buches "Kirschen der Freiheit" für die, nicht nur Literaturgeschichte, auch die Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik, wird meines Erachtens überhaut nicht geschmälert durch den Umstand, dass sich Alfred Andersch im Dritten Reich moralisch höchst anrüchig seiner Frau gegenüber verhalten hat. Also, dieser Stilisierung kommt man durch solche Recherchen auf die Spur, an der Bedeutung seines Werkes ändert das meines Erachtens erstmal nichts. Denken Sie an solche wüsten Antisemiten wie Celine, die dann gleichwohl ein höchst bedeutendes Werk, wie "Reise ans Ende der Nacht" schreiben. Und auch Gottfried Benn ist bestimmt kein sympathischer Zeitgenosse gewesen.

    Schossig: Der Siegener Literaturwissenschaftler Jörg Döring über seine Recherchen zu Leben und Werk des Schriftstellers Alfred Andersch.