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Algen "fressen" CO2 aus Heizkraftwerk

Für die Erdatmosphäre ist ein zu viel an Kohlendioxid, chemisch CO2 genannt, gefährlich, weil es den Klimawandel anheizt, für Pflanzen ist das geruchlose Gas dagegen lebenswichtig: Sie nehmen es auf, und brauchen es für ihr Wachstum.

Von Folkert Lenz | 22.07.2010
    Besonders effizient dabei sind Algen, und ein Heizkraftwerk in Bremen macht sich diese Eigenschaft jetzt zunutze: Algen sollen Kohlendioxid aus dem Rauchgas aufnehmen und für ihr Wachstum verwenden.

    Nach getaner Arbeit werden sie dann zu Futtermittel für Aquakulturen, zum Rohstoff für die Industrie oder selbst zu Brennstoff, womit das CO2 dann doch wieder in die Atmosphäre entweichen würde, wenn es nicht von neuen Algen aufgenommen oder gelagert wird.

    Ein Kompressor surrt leise, in der Sonne ist ein kompliziertes Netz von schwabbeligen Plastikschläuchen aufgespannt. In dem fragilen Röhrensystem: eine hellgrüne Flüssigkeit, die – wie Limonade – ein bisschen vor sich hin blubbert.

    "Das sind im Endeffekt Plastikbeutel, die aufgehängt sind. In diesen Beuteln haben wir unsere grüne Algenlösung. Und dann gasen wir die gesamten Rauchgase ein. Und dadurch entsteht eben ein Folienreaktor, ein Bioreaktor. Es perlt durch den Reaktor hindurch."

    Claudia Thomsen zeigt auf eine dicke, silberne Rohrleitung, aus der die Bläschen stammen. Die Bremer Ozeanografin hat die Freiluftanlage mit erfunden, die der Verringerung des Klimakillers Kohlendioxid dienen soll. Denn was da durch das Salzwasser perlt, das sind die Abgase aus dem benachbarten Heizkraftwerk Blumenthal. Sie werden durch die Plastikleitungen mit den Algen geleitet, von denen jede einzelne gerade mal fünf Millionstel Millimeter groß ist. In den durchsichtigen Schläuchen verarbeiten die Mikroorganismen das Kohlendioxid aus dem Rauchgas. Claudia Thomsen:

    "Als Grundidee steckt die Fotosynthese dahinter. Das heißt, wir fixieren CO2, bilden dadurch Biomasse und setzen Sauerstoff frei. Wir zweigen aus dem Schornstein direkt die Rauchgase ab. Kontrollieren die Zugabe in die Foto-Bioreaktoren. Und die Algen nehmen das CO2 auf."

    Rund zehn Tonnen pro Jahr könnte die 500-Quadratmeter-Anlage im Bremer Norden vernichten, so die Schätzung der Wissenschaftler. Damit ist das Kohlendioxid der Atmosphäre entzogen.

    Zweiter Effekt: Die Algen wachsen und vermehren sich bei dem Prozess. Und bilden so Biomasse. Schon nach ein paar Wochen ist die Flüssigkeit in den Reaktorschläuchen dunkelgrün - dann ist Erntezeit. Mittels eines speziell entwickelten Filters wird die Algensubstanz vom Salzwasser getrennt und kann weiter verwendet werden. Professor Stefan Rill von der Bremer Firma Phytolutions, die das Prinzip entwickelt hat:

    "Die Algen können verarbeitet werden zu Biotreibstoffen, also Bio-Diesel. Und hier haben wir natürlich die schöne Kombination zwischen einerseits Klimaschutz – Bindung von C02 – und erneuerbaren Energien auf der anderen Seite. "

    Dass die Algen zum Öko-Treibstoff werden können, das verdanken sie den sogenannten Lipiden, die in ihnen stecken. Diese öligen Substanzen kann man aus der Masse herausziehen und weiter zu Bio-Diesel verarbeiten. Technisch ist das leicht möglich, sagt Rill. Und im Vergleich zu Landpflanzen wie Raps oder Mais, die sonst zur Gewinnung von Bio-Treibstoff dienen, wachsen die Meeresorganismen sieben- bis zehnmal so schnell. Einziger Haken: Noch ist das Verfahren zu teuer, als dass es sich rechnen würde. Deswegen sollen die gewonnenen Algen anders genutzt werden, so Rill:

    ""Futtermittel für Aquakulturen. Zum Beispiel Biofarbstoffe. Oder auch Omega-3-Fettsäuren für die Tierfutterindustrie."

    Erstaunlich: Obwohl die Algen mit Abgasen aus einem Kraftwerk "gefüttert" werden, müssen sie am Ende des Prozesses nicht als Sondermüll entsorgt werden. Im Gegenteil: Bei der Futtermittelzulieferung liege man deutlich unter den zulässigen Grenzwerten, betont man bei Phytolutions.

    Neben dem Klimagas Kohlendioxid fressen die Algenkulturen übrigens auch andere Problemstoffe wie zum Beispiel Stickoxide. Die mögen sie nämlich besonders gern. Das ist einer der Gründe, warum Stefan Rill und Claudia Thomsen auf Meeresalgen setzen.
    "Wir können direkt das Meerwasser als Suspension nutzen. Und können eben unsere Anlagen auf agrarisch nicht nutzbaren Flächen aufbauen. Das heißt: Wir sind keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelindustrie."

    Mit der Anlage wollen die Bremer Biotechnologen beweisen, dass durch die Kombination der Algenproduktion mit der Säuberung von Industrieabgasen eine echte Minderung von Kohlendioxid möglich ist. Sie hoffen, dass das Prinzip auf lange Sicht auch für größere Betriebe interessant wird. Diese könnten sich dadurch nämlich den Kauf teurer Emissionszertifikate für CO2 ersparen.