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Algenschutz für die Antike

Archäologie. - In Italien blüht der Unterwassertourismus: Vor allem in Süditalien gibt es viel aus der Römerzeit zu entdecken, hauptsächlich bei Pantelleria und im Golf von Neapel. Doch diese antiken Ruinen und andere Gegenstände aus der Römerzeit sind dicht mit Korallen, Algen und Muscheln bewachsen. Biologen aus Palermo haben eine Lösung entwickelt, die antiken Reste bis zu drei Jahren frei von Meerestieren zu halten.

Von Thomas Migge | 23.07.2008
    Pantelleria. Eine wildromantische Insel tief im Süden von Sizilien. Fast genau zwischen Europa und Afrika. Eine Ferieninsel, die im Sommer gern von Tauchern besucht wird. In Küstennähe liegen direkt unter der Wasseroberfläche antike Ruinen, Amphoren und Säulenreste.

    Die antiken Gegenstände und Gemäuer sind in der Regel von Korallen, Algen und Muscheln bewohnt. Sie lassen sich auf dem römischen Marmor nieder und sorgen dafür, dass er bald unter einer dicken Schicht von Meeresgetier nicht mehr zu sehen ist. Weil bisherige Antifoulding-Präparate, die antikes Gestein tierfrei halten, alle paar Monate kostenaufwendig erneuert werden müssen, hat sich das Nationale Wissenschaftsinstitut CNR im sizilianischen Palermo etwas Neues einfallen lassen. Leiter des Projekts ist der Biologe Mario Pagliaro aus Palermo:

    "Unser Ziel war es, diese Ruinen und anderen bewahrenswerten Gegenstände der Antike, die Archäologen auf dem Meeresgrund entdeckten, zu erhalten, ohne sie alle paar Monaten mit einem Anstrich zu versehen. Mit unserem Präparat werden Meerestiere für mindestens zwei oder auch drei Jahre ferngehalten"

    Pagliaro und sein Team vom CNR entwickelten und testeten dafür einen Anstrich aus sogenanntem Hybrid-Kiesel. Er kommt unter Wasser zum Einsatz, also im Salzwasser, und ist nicht mehr wie bisherige Präparate giftig. Hybrid-Kiesel: damit meinen die sizilianischen Biologen einen nichtorganischen Kiesel aus Quarz und quarzreichem Gestein, wie zum Beispiel Sand. Mit einem Entstehungsprozess, der "Sol-Gel" genannt wird, produzieren Pagliaro und seine Kollegen den neuen Anti-Meerestier-Aufstrich:

    "Wir fügen dafür bereits existierende Flüssigkeiten zusammen. Wir kaufen Alkoxid-Kiesel-Lösungen in Deutschland. Die sind sehr giftig und werden in Hochsicherheitstonnen bei uns angeliefert. Diese Lösung wird bei uns mit normalen Trinkwasser und alkholhaltigen Lösungsmitteln vermischt. Ohne die Lösungsmittel verbindet sich die Kiesellösung nicht mit dem Wasser"

    Das Resultat dieses Mischvorgangs ist eine vollkommen ungiftige und glasklare Lösung. In Kontakt mit Wasser wird aus der Alkoxid-Kiesel-Lösung ein Polymer, ein Kieselmaterial mit hoher Steifigkeit und Elastizität. Es ist temperaturbeständig und sorgt dafür, dass sich weitaus länger als bisher keine Meerestiere auf einer steinernen und tönernen Antikenresten festsetzen werden. In Kontakt mit Sauerstoff wird diese zähe Flüssigkeit nach wenigen Minuten hart.

    Um diese Lösung unter Wasser einzusetzen, müssen die antiken Ruinen und anderen Reste aus der Römerzeit aus dem Meer gehoben und bestrichen werden. Nach kurzer Zeit werden sie wieder ins Wasser zurückgebracht.

    Tests haben ergeben, dass das neue Schutzmaterial gegen den Bewuchs mit Meerestieren keinerlei Auswirkungen auf das lokale Ökosystem hat. Jedenfalls dann nicht, wenn es sich um nur einige wenige Säulen, Amphoren und Mauerreste handelt. Weitere Tests werden nachweisen müssen, ob und in welchem Umfang sich der umweltverträgliche Anstrich aus Palermo auf die Unterwasser-Tier-und-Pflanzenwelt auswirkt, wenn nahezu komplett erhaltene Gebäudereste damit bestrichen werden. Ob es aber zu diesen Tests kommen wird, ist unwahrscheinlich: das Heben tonnenschwerer antiker Gesteinsreste, um sie mit der Kiesellösung zu versehen, wird, so befürchten Mario Pagliaro und seine Kollegen, dem Kulturministerium zu teuer werden. Deshalb werden nur kleinere Gebäudereste der alten Römer in den Genuss der Schutzschicht gegen Algen, Korallen und Muscheln kommen.