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Algerien
Der greise Mann am Mittelmeer

Die Bundesregierung pflegt einen regelmäßigen Austausch mit Algeriens Mächtigen. Nun musste ein Staatsbesuch kurzfristig abgesagt werden, weil Präsident Abdelaziz Bouteflika eine akute Bronchitis hat. Im Land fragen sich deshalb wieder viele, ob das greise und durch einen Schlaganfall gezeichnete Staatsoberhaupt überhaupt noch die Macht im Land hat.

Von Jens Borchers | 25.02.2017
    Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika.
    Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika. (imago/ITAR-TASS)
    Es war so gegen 12 Uhr mittags am Montag, als Regierungssprecher Steffen Seibert vor den versammelten Medien noch einmal die Bedeutung des Algerien-Besuchs der Kanzlerin erläuterte:
    "Algerien ist ein wichtiger Partner in Nordafrika, eines der Länder, mit dem man besprechen kann, wie man dazu kommen kann, dass es in dem sehr wichtigen Nachbarland Libyen einen Weg zur Stabilisierung und zur Stabilität gibt. Algerien ist für uns Deutsche ein Land mit einer nicht zu unterschätzenden wirtschaftlichen Bedeutung."
    Drei Stunden später hätte Angela Merkel starten sollen. Dann kam die sehr kurzfristige Absage der Visite aus Algier. Präsident Abdelaziz leide an einer akuten Bronchitis.
    Es war das erste Mal, dass ein so wichtiger Termin mit der Begründung abgesagt wurde, der greise Präsident sei aus gesundheitlichen Gründen unpässlich. Das erregte größte Aufmerksamkeit, denn der Gesundheitszustand des Präsidenten ist schon seit Jahren sowohl ein Tabu- als auch ein Top-Thema.
    Bouteflika erlitt vor vier Jahren einen Schlaganfall. Der fast 80-Jährige sitzt seitdem im Rollstuhl und kann nur mit Mühe sprechen. Auch deshalb waren die algerischen Medien am Tag nach dem abgesagten Merkel-Besuch voll mit Spekulationen und Kommentaren.
    Wer hat eigentlich die Macht in Algerien?
    Staatspräsident Bouteflika müsse in den nächsten 15 Tagen in irgendeiner Form öffentlich auftreten, zitierte die algerische Tageszeitung "Liberté" einen Politikwissenschaftler. Zeige sich Bouteflika nicht, müsse man davon ausgehen, dass sich sein Gesundheitszustand erheblich verschlechtert habe. Und schon ist sie wieder da: Die Frage, wer hat eigentlich die Macht in Algerien?
    In der algerischen Bevölkerung und den Medien wird die Regierung ohnehin meist nur mit dem Begriff französischen "Le pouvoir" – "die Macht" – umschrieben. Die Macht: Damit ist ein Konglomerat aus Politikern, Militärs, Geheimdiensten gemeint. Hinzu kommen mehr oder weniger seriöse, aber sehr einflussreiche Geschäftsleute.
    Manche sehen das Machtzentrum im Beraterkreis um den kranken Bouteflika, der seit 1999 an der Spitze des Staates steht. Andere schreiben Militär und Geheimdiensten den größten Einfluss zu. Für den algerischen Soziologen Nacer Djabi von der Universität Algier steht fest – das aktuelle Regierungssystem funktioniert nur bedingt:
    "Das Kabinett tritt nicht regelmäßig zusammen. Der Staatspräsident hat offensichtlich nicht die physische Kraft, seine Arbeit zu tun. Dabei fordert das Präsidentenamt in einem Land wie Algerien viel Energie. Unglücklicherweise ist das die Lage."
    Denn "Le pouvoir", die Mächtigen Algeriens, kämpfen mit Wirtschaftsproblemen. Das Land und seine 41 Millionen Menschen hängen größtenteils am Tropf ihrer Erdöl- und Erdgas-Förderung. Der Preisverfall an den internationalen Märkten hat aber die Staatseinnahmen empfindlich einbrechen lassen.
    Die Jugend will weg
    Die Arbeitslosigkeit ist hoch, vor allem unter jungen Menschen. Das macht es ihnen schwer, sich von den Eltern zu emanzipieren und ein eigenes, unabhängiges Leben aufzubauen. Shafar Torchi, Mitte 30, verkauft auf dem größten Markt der Hauptstadt Algier Sardinen. Er wohnt bei den Eltern, hat aber schon mehrfach versucht, nach Europa zu kommen, um dort sein Glück zu machen:
    "Vier Mal war ich schon in Spanien", sagt Shafar. Jedes Mal wurde er aufgegriffen und zurückgeschickt. Aber: Er will es wieder versuchen. Der Unmut unter den jungen Leuten ist groß. Aber die Macht hat die alte Garde.
    Sie reagierte nach 2011 mit steigenden Sozialleistungen auf den beginnenden "arabischen Frühling" in Nordafrika. Der Soziologe Nacer Djabi bestätigt, dass die Milliarden schweren Sozialleistungen des Staates bisher wichtig waren für den sozialen Frieden im Land:
    "Man spricht davon, dass so der soziale Frieden erkauft wurde. Aber es ist auch eine Form der Umverteilung aus den Einnahmen aus dem Erdölgeschäft. Und das ist etwas, was die Menschen zu schätzen wissen. Es ist ihnen lieber als irgendein Chaos, lieber als eine Situation, in der unmögliche Forderungen gestellt werden."
    Aber die Sozialleistungen müssen jetzt, in der Wirtschaftskrise, immer weiter gekürzt werden. Und das führt stellenweise zu Unruhen: Im Osten des Landes kam es im Januar in mehreren Orten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Polizei. Die Demonstranten waren wegen der Subventionskürzungen auf die Straße gegangen und ließen ihrer Wut mit Steinwürfen auf Polizeifahrzeuge freien Lauf.
    Angst vor Instabilität ist groß
    Dass solche Gewalttätigkeiten von den Demonstranten gefilmt und ins Internet gestellt werden, ist auch in Algerien selbstverständlich. Die Frage ist: Welche Bedeutung haben sie wirklich, sind es einzelne Brandherde oder doch der Beginn massiver Widerstände gegen das Regime?
    Bei aller Unzufriedenheit bleibt die Furcht vor Instabilität groß: Denn seit dem Bürgerkrieg der 90er-Jahre mit seinen mehr als 150.000 Todesopfern ist Stabilität für viele Algerien eine Top-Priorität. Sie verfolgen das andauernde Chaos im Nachbarland Libyen und die Entwicklungen in Ägypten. Darauf weist auch der algerische Schriftsteller Kamel Daoud immer wieder hin. Daoud sieht vieles in seinem Heimatland sehr kritisch. Aber er hält einen Aufstand zur Zeit für unwahrscheinlich:
    "Unser Land steckt mitten in einer schwierigen Situation. Da steht nicht einfach Instabilität und Stillstand gegen Freiheit und Demokratie. Wir sind aus einem zehnjährigen Bürgerkrieg herausgekommen. Damals gab es noch keine soziale Medien, kein Youtube, Facebook – keinen permanenten Austausch von Informationen. Das hat die Menschen traumatisiert. Die Algerier sagen: Ja, wir wollen Veränderung, aber keinen Krieg."
    Anfang Mai soll in Algerien ein neues Parlament gewählt werden. Davon erwartet sich niemand große politische Veränderungen. Viele warten darauf, eine Antwort auf die Frage zu bekommen: Wann gibt es wieder einen Präsidenten, der Algerien wirklich regieren kann?