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Alkohol in Maßen

Essen und Trinken gehören in Italien zusammen. Einerseits ist Alkohol überall präsent, andererseits ist Alkoholismus kein so weit verbreitetes Problem wie in anderen Ländern Europas. Kirstin Hausen berichtet.

    Blassgelb schäumt der Prosecco ins Glas. Für die Venezianer beginnt so der Feierabend. Die Turiner bevorzugen Wein aus Piemont, die Mailänder Martini. Gemeinsam ist allen Italienern die Liebe zum Aperitif.

    Die wenigsten trinken allein zu Haus. Bei einem Gläschen in der Bar neben dem Büro lässt man den Arbeitstag ausklingen. Auf der Theke stehen Kartoffelchips, Oliven und kleine Schnittchen. Im Radetzky Café in Mailand gibt es auch Rohkost zum Dippen, Lachspastete und Hackbällchen auf Holzspießen.

    "Zwischen 6 und 10 Uhr abends bieten wir zum Aperitif ein kaltes Buffet an. Früher gab es nur Erdnüsse, Chips und solche Dinge. Aber der Aperitif ist groß in Mode, die Leute trinken mehr und schneller, deshalb ist das Angebot heute reichhaltiger."

    Essen und Trinken gehören in Italien zusammen. "Mediterranen Stil" nennt die Weltgesundheitsorganisation diese Gewohnheit. Sie ist der Grund für die vergleichsweise niedrige Zahl alkoholbedingter Erkrankungen in Italien. Einerseits ist Alkohol überall präsent, andererseits ist Alkoholismus kein so weitverbreitetes Phänomen wie in anderen Ländern Europas. Die Zahl der Italiener, die wegen Alkoholproblemen in ärztlicher Behandlung sind, liegt bei jährlich etwa 50.000. Enotheken gehören traditionell zum Stadtbild, Cocktailbars seit einigen Jahren auch, Betrunkene auf der Straße oder im Bus aber nicht.

    Italiener können stundenlang über Weine, Liköre und Schnäpse diskutieren und sie mit Genuss trinken, besonders im Kreis von Freunden, das exzessive Trinken ist aber nicht ihre Sache.

    "Wir gehen abends aus, trinken einen Cocktail oder Wein, sind dann vielleicht beschwipst, aber nicht total betunken. Wir gehen nie soweit, dass es uns schlecht geht."

    Jessika, 18 Jahre, trinkt am liebsten exotische Cocktails, von Pina Colada bis Mojito.

    "Wir übertreiben es aber nicht","

    sagt Jessika und zwinkert ihren Freundinnen zu.

    ""Wenn ich noch fahren muss, trinke ich nicht mehr als ein kleines Bier","

    erklärt Elena. Sie ist leider eine Ausnahme in Italien. Kaum ein Wochenende vergeht, ohne dass vor allem junge Fahrer nach dem Diskobesuch angetrunken in den Tod rasen, fast 700 waren es im vergangenen Jahr. Dabei liegt die Promillegrenze in Italien bei 0,5. Michele Pavone, Beamter bei der Autobahnpolizei:

    ""Die Zahl der Unfälle steigt und steigt, wir müssen dringend Gegenmaßnahmen ergreifen. beispielsweise auch das Fahrzeug beschlagnahmen, ab einem gewissen Alkoholpegel. Damit ist es aber nicht getan. Wir müssen auch präventiv arbeiten, erzieherisch einwirken auf die jungen Leute."

    Aufklärungskampagnen in Schulen, TV-Spots oder Plakate die das Problem "Alkohol am Steuer" thematisieren gibt es in Italien bisher nicht. Angetrunken Auto fahren gilt immer noch als Kavaliersdelikt. Und es sind nicht allein die Jungen, die sich nach einem feucht-fröhlichen Abend ohne Gewissensbisse hinter das Steuer setzen. Auch gestandene Familienväter und Rentner hat Michele Pavone bereits mit zu viel Alkohol im Blut erwischt.

    "Mehr als 600 Führerscheine haben die Verkehrspolizisten in der Lombardei in diesem Jahr deswegen schon eingezogen."

    Disziplinierter verhalten sich die Italiener am Arbeitsplatz. Alkohol wird hier nicht gerne gesehen. Selbst in der Mittagspause verzichten immer mehr auf das Viertel Wein, das früher zu jedem Essen dazu gehörte. Restaurantbetreiber Enzo Bresso:

    "Mittags verkaufen wir kein einziges Glas Wein. Hier befinden sich viele Büros, die Leute müssen noch arbeiten und trinken dann lieber Mineralwasser, vielleicht eine Cola."

    Der alte Bauernbrauch, mit einem Stück Brot und einem Glas Wein zu frühstücken, ist weitgehend ausgestorben. Die nötige Energie am Morgen gibt heute ein Espresso, schwarz, stark, mit Zucker. Er ist das eigentliche Lieblingsgetränk in Italien. Statt "auf ein Bierchen" treffen sich die Italiener "a prendere un cafè", zum Kaffee.