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Alkohol und Ärzte

Für die meisten Menschen ist klar: Alkohol-Sucht ist eine Krankheit. In Deutschland gibt es rund 1,6 Millionen Alkoholabhängige. Dazu kommen noch einmal rund 9 Millionen Menschen, die regelmäßig deutlich zu viel trinken. Ärzte allerdings sehen nicht selten über die Sucht ihrer Patienten hinweg - kritisieren Experten der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren. Auf dem Kongress "Sucht und Medizin", der gestern in Braunschweig begonnen hat, mahnten sie an, auch in der Arztpraxis das Problem "Alkohol" offensiv anzugehen.

Peter Kolakowski | 06.11.2001
    80 Prozent aller Alkoholkranken in Deutschland besuchen mindestens einmal im Jahr ihren Hausarzt. Dennoch erhalten sie bei ihrem Arzt nur selten Hilfe gegen ihre Sucht. Die Ärzte schauen oft offensichtliche Zeichen der Sucht hinweg oder erkennen sie nicht. Spielen die Sucht ihres Patienten auch mal herunter oder verabreichen lediglich Medikamente zur Behandlung der Symptome. Geschäftsführer Rolf Hüllinghorst von der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren kritisiert

    Dass sich auf der einen Seite viele Ärzte lange aus dem Thema Sucht herausgehalten haben. Dass vor dem Hintergrund dass ja Sucht eigentlich eine Epidemie ist. Dass es epidemische Ausmaße sind der Sucht, wenn man sich insbesondere die Abhängigkeit von Nikotin oder die Abhängigkeit vom Alkohol anguckt.

    Dabei gilt Alkoholabhängigkeit schon seit mehr als 30 Jahren als Krankheit, die der ärztlichen Behandlung bedarf. Doch das ärztliche Versorgungssystem nimmt seine Verantwortung für die Alkoholkranken wie auch für andere Suchtkranke bislang nur unzureichend wahr. So die Einschätzung von Suchtberatern. Immer noch sind es in erster Linie Sozialarbeiter- und Therapeuten, die in den Beratungs- und Behandlungsstellen Suchtkranke und ihre Angehörigen betreuen. Nicht zu vergessen, die etwa 7500 Sucht-Selbsthilfegruppen. Wolfgang Scheiblich, Fachbereichsleiter Drogenhilfe beim Sozialdienst katholischer Männer in Köln.

    Es war ja so, dass die Ärzte und Psychologen und die Psychiater sich vor Jahrzehnten aus dem Suchtbereich gänzlich verabschiedet hatten. Das Suchthilfesystem, wie wir es noch weitgehend kennen, ist dann gehalten worden, ich will nicht sagen aufgebaut, aber doch gehalten worden, von nicht ärztlichen Therapeuten, von Sozialarbeitern, von Diakonen, von Selbsthilfegruppen, und die Ärzte kamen dann endlich mal wieder zurück. Nur mit einem Anspruch, der weit hinter dem zurück bleibt, wie sie ich eigentlich erfüllen können. Was wir heute natürlich in der Sucht schätzen, ist der ganze Bereich der Suchtforschung und der Suchtmedizin. Und heute geht er's darum, dass es wieder zu einem guten Verbund kommt für die Menschen, für die wir ja eigentlich antreten.

    Gerade den Hausärzten kommt bei der Suchterkennung und -Therapie aber eine besonders wichtige Bedeutung zu. In Modellprojekten konnte nachgewiesen werden: bereits ein Gespräch mit dem Hausarzt kann das Suchtverhalten des Patienten nachhaltig positiv beeinflussen.

    Die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren will, dass die in den Modellprojekten gesammelten Erfahrungen nun möglichst schnell praktisch umgesetzt werden. Menschen mit schädlichem und abhängigem Konsum müssten so früh wie möglich vom Arzt in der Praxis oder im Krankenhaus angesprochen und auf eine mögliche Therapie hingewiesen werden. Fordert auch Professor Klaus Wanke, Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Homburg an der Saar.

    Man geht davon aus, das eben sehr sehr viele Abhängige zuerst beim Hausarzt sind und auch im weiteren Verlauf der oft verhängnisvollen Karriere des Suchtkranken eben dort immer wieder kommen mit Symptomen wie Schweißausbrüche, Kollapszuständen, blauen Flecken, aber auch sozialen Problemen wie Verlust des Arbeitsplatzes, häufiges Fehlen. Und das da manchmal nicht so klappt in einer Zeit der Massenpraxis, dass die Frühdiagnose gestellt wird. Auf der anderen Seite ist der Hausarzt seit langem aber auch der Vertraute, und deswegen gilt es die Hausärzte noch mehr zu aktivieren.

    Einfache Fragebögen, die der Patient ausfüllt, könnten dem Arzt die Diagnose erleichtern. Es sei überfällig, dass die ärztliche Kompetenz in der gesundheitlichen Versorgung auch bei schädlichem Konsum von Suchtmitteln genutzt werde, um Betroffenen schnell und wirkungsvoll zu helfen. Nur wenn Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter zusammen arbeiten, können optimale Behandlungserfolge erreicht werden. Denn die Krankheit Sucht hat viele Ursachen. Die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren hat ein Merkblatt speziell für Arztpraxen entwickelt. Suchtexperte Rolf Hüllinghorst.

    Ein Problem, was immer wieder genannt wird, ist das Problem, dass Menschen, wenn sie auf ihren Alkoholkonsum angesprochen werden, möglicherweise den Arzt wechseln. Das ist überhaupt nicht bestätigt worden, das passiert nicht. Wir haben einen Kurzratgeber für die Hand des Arztes, wo ganz kurz und knapp der Umgang mit Menschen mit Alkoholproblemen beschrieben wird. Damit der Arzt sich traut, das Alkoholproblem anzusprechen. Diese Karte, die wir publizieren, wird ergänzt durch ein umfangreiches Handbuch der Bundesärztekammer und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Dort wo die Menschen mit alkoholbedingten Problemen hinkommen, dort muss reagiert werden.