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All business is local

Vor dreißig Jahren, so berichten die, die sich daran noch erinnern können, begann jede Fortbildungseinheit für Lokaljournalisten mit einer so genannten "Ausweinphase". Der Lokalredakteur hatte viel Schlimmes zu berichten: Vom arroganten Mantelredakteur, vom unsensiblen Chef und von der allgemeinen Missachtung seiner Tätigkeit. Wichtiges stand im Blatt immer vorne und seine Artikel vom Lokalen ganz hinten. Aber waren sie nicht selber Schuld, mögen die wichtigen Kollegen aus den Ressorts Politik und Kultur gefragt haben? Berthold Floeper erinnert sich:

Von Bettina Schmieding |
    Es gab damals sicherlich einen recht schlecht ausgebildeten Lokalredakteur, er hat sehr viel Terminjournalismus gemacht, er hat sicher auch viel den Bürgermeisterjournalismus gemacht all das was der Bürgermeister sagt, kam in die Zeitung – und hat sich nicht so sehr darum gekümmert, was seine Leserinnen und Leser wollten.

    Auch der Bundeszentrale für politische Bildung, für die Berthold Floeper das Lokaljournalistenprogramm leitet, fiel vor knapp dreißig Jahren auf, dass es einen Distanzverlust zwischen den lokalen Berichterstattern und den Objekten ihrer Berichte gab. Sie sann nach Abhilfe. Wieso eigentlich schien die Prämisse, dass guter Journalismus nicht zu allen gut sein kann und darf, irgendwie nicht fürs Lokale zu gelten? Das hat auch mit räumlicher Nähe zu tun, meint Floeper:

    Einen Bericht, einen Kommentar zu schreiben, den Kanzler Schröder anzumachen oder den amerikanischen Präsidenten Bush ist sehr einfach. Ich glaube nicht, dass sich Herr Bush darum schert was irgendein Kommentator in Deutschland schreiben wird. Aber wenn man den örtlichen Bürgermeister, oder andere Honoratioren einer Stadt anschreibt, ihre Defizite aufschreibt, das kann schon gefährlich werden und das kann einen schon den Job kosten.

    Die Antwort auf dieses Dilemma lautet Floepers Meinung nach: Macht guten Lokaljournalismus, dann seid ihr weniger angreifbar. Es langweilt die Leser und bringt sie nicht voran, wenn ihnen aus jeder Ausgabe mindestens ein Foto des Landrats bei seinen unzähligen Verrichtungen entgegenblickt, oder wenn sich lokale Politikberichterstattung ausschließlich auf Artikel über Sitzungen der Unteren Wasserbehörde beschränkt.

    Man kann in einem Regentropfen die Welt entdecken. Man kann alles machen. Ob es Europapolitik ist, große Politik aus Berlin. Das trifft den Bürger vor Ort. Es gibt nichts, was man im lokalen Journalismus nicht machen kann.

    Aus staubtrockenen Themen etwas Lesbares machen, dafür braucht es die besten Leute, meint Floeper. Der Rentner, der sich nebenbei ein paar Euro mit Artikeln über den Sportverein Weiß Blau dazu verdient, der gehört zu einer aussterbenden Rasse. Der Lokaljournalist von heute hat Abitur, Hochschulstudium und Volontariat. Und er erwartet etwas mehr als Standard bei seinen Fortbildungsseminaren der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Workshops und entstehen in enger Zusammenarbeit mit den Chefredakteuren. Damit man nicht am Markt vorbei unterrichtet, meint Floeper. Und deswegen stehe auch niemand vorne vor der Klasse und referiere, sondern die Gruppe erarbeite die Inhalte selbstständig. Ziel ist stets: Lokaljournalismus muss auf die Seite 1. Sagt auch Anke Vehmeier, freie Journalistin beim Bonner Generalanzeiger.

    Unsere Chance liegt darin, Themen zu bringen, die der Leser am Abend zuvor in den Tagesthemen noch nicht gehört hat. Wenn man die Seite 1 betrachtet, ist sie wie ein Schaufenster. Die Geschichten, die ich für wirklich wichtig halte, gehören auf die Seite 1.

    Und siehe da, die Ausweinphase scheint vorbei zu sein, auch Lokaljournalisten werden endlich ernst genommen, meint Anke Vehmeier.

    Es gibt Redaktionen, in denen wird derzeit ausprobiert, einfach mal Ressorts zu wechseln. Da geht der Kulturredakteur zum Dackelrennen, oder der Sportredakteur besucht ein Orgelkonzert. Einen anderen Blickwinkel reinbringen in die Geschichten ist ein Ansatz.

    Zum Beispiel ein beliebiges Jahrestreffen der Kaninchenzüchter in Harsewinkel, Rottach-Egern oder Scharbeutz. Da geht am besten der Praktikant hin, hieß es früher. Schade, meint Anke Vehmeier.

    Ein Kollege ist jüngst in die Rolle des preisgekrönten Kaninchens gestiegen und hat aus der Perspektive des Kaninchens berichtet, wie er zum Obergoldpreisträger wurde. Und trotzdem ist es dem Schreiber gelungen, die Intention der Züchter rüberzubringen und sie eben nicht als die skurrilen Figuren aus der Nachbarschaft darzustellen, sondern ihnen Respekt entgegenzubringen. Und das ist die Kunst.