Die Lübecker Bürgerinnen und Bürger hatten immer schon ein recht ausgeprägtes Selbstbewusstsein. "Königin der Hanse" nannten sie ihre Stadt einst. "Tor zur Ostsee" und "Metropole des Marzipans." Vor ein paar Jahren haben sie sich selbst einen weiteren Ehrentitel verliehen: "Weihnachtshauptstadt des Nordens".
Dafür gibt es auch gute Gründe: Gleich sieben verschiedene Weihnachtsmärkte finden im Dezember im Schatten der sieben Türme statt. Vielerorts zwischen Trave und Wakenitz riecht es nach gebrannten Mandeln, Mutzen und Glühwein, allabendlich erklingt Weihnachtsmusik und das Angebot an handgezogenen Kerzen, Fellhausschuhen und Tiffany-Lampen ist überwältigend. An vielen Ständen macht sich auch die Nähe zu Skandinavien und zum Baltikum bemerkbar. Bei den Finnen etwa duftet es anziehend nach Lakritz und Pfefferminz.
"Wir haben Punsch mit Nüssen und Rosinen. Wir haben auch Schokominttu, das ist Kakao mit Pfefferminzlikör. Und dann haben wir auch noch den Peikkoiomo, das ist unser Trollentrunk, Preißelbeersaft mit Rum. Salmiakki, das ist Lakritzlikör, das trinkt man ganz häufig in Finnland als Schnaps."
Und für den kleinen Hunger empfehlen die Damen in der rot-weißen Tracht natürlich auch etwas Anderes als die üblichen Fischbrötchen oder Thüringer Bratwürste:
"Wir haben den Elchburger, das ist echter Elch, und dann haben wir Baguettes mit Rentierfleisch."
Die Kunsthandwerker in der Kirche St. Petri zeigen Gürtel aus Lachsleder, schimmernde Bernsteinketten und Schachspiele aus Speckstein. Eine Dame aus Estland verkauft Pullover und Jacken, die mit Sternen, Rauten und Hunden verziert sind.
"Das sind traditionelle estnische Strickwaren. Teilweise gehört an Küsten noch zu Tracht. Hier zum Beispiel bei so einer Jacke wird die große Fläche mit der Handstrickmaschine in Werkstatt gemacht und dann die Borten und Kanten sind Heimarbeit, handgestrickt."
Da in Lübeck für Historisches immer Platz ist, durfte Michail Schütte an der Stirnseite der Kirche seine Wipp-Drechselbank aufbauen. Auf solchen Drehbänken wurden früher Stuhlbeine und Kinderspielzeug hergestellt, aber vor allem Ess- und Trinkgefäße. Bis etwa 1500 nach Christus aßen und tranken die Menschen ausschließlich aus Holzbechern und von Holztellern - vom Bettler bis zum Kaiser. Im feuchten Lübecker Untergrund haben sich einige solcher Schalen erhalten - und Michail Schütte stellt Repliken davon her.
"Wir haben hier eine Sternschale. Sternschalen sind Schalen, deren Rand nach dem Drechseln sternförmig geschnitzt worden ist. Das war eine Form, die im ganzen Mittelalter verbreitet und in Mode war. Hier in Lübeck gibt es eine besonders schöne florale Form. Fünf Schalen von dieser Form hat man gefunden und die stelle ich als Replik her."
Wie so vieles in Lübeck hat auch der Weihnachtsmarkt eine lange, lange Tradition. 1648 wurde er zum ersten Mal schriftlich erwähnt, sagt der Kulturhistoriker Manfred Eickhölter. Um die hundert lokale Handwerker und Händler - Kuchenbäcker, Schuster, Hutmacher, Drechsler - verkauften damals ihre Produkte. Und viele bemühten sich, zum Fest ein paar Sonderangebote parat zu haben. Sprich: außergewöhnliche oder kostbare Artikel.
"Beispielsweise bot 1774 ein Konditor Kröger ein Konfekt an, genannt 'Die Freigeister', oder 1778 bot er an den neulich in der Trave gefangenen Schwertfisch. Oder es wurde angeboten das 'allhier noch nie verfertigte Danziger Koffeebrot', aber es wurden auch Nürnberger angeboten und sogenannte Geduldskuchen. Und ansonsten hat man sich vorzustellen, dass es eben Stände gegeben hat mit Waffeln, dass Getränke angeboten wurden, der Ratsweinkeller war geöffnet."
Zwei Tage vor Heiligabend begann der Weihnachtsmarkt damals, und er dauerte sechs Tage. Der Wein floss reichlich, und es ging alles andere als beschaulich zu - eher wie im Karneval.
"In angrenzenden großen Gesellschaftshäusern der Kaufleute und der Handwerker, da wurden dann auch öffentliche Veranstaltungen gemacht, dazu gehörte Tanz, dazu gehörte Ballett, dazu gehörte seit Mitte des 19. Jahrhundert, dass Akrobaten auftauchten. Es wurden athletische Übungen geboten, nachher zu späterer Zeit sind auch die dann immer populäreren Panoramen abgebildet worden, man hat auch seltene Menschen vorgeführt - also alles in allem ein sehr lebhaftes und dann auch sehr an den Jahrmarkt erinnerndes Weihnachtstreiben."
Natürlich hatte Lübeck, es empfand sich ja schon immer als etwas Besonderes, auch einen besonderen Weihnachtsbrauch: Den Auftritt der "Julklappen".
"Am ersten Tage war es üblich, dass große Figuren durch die Stadt geschoben wurden, das waren sogenannte Julklappen, große Strohpuppen, welche meist, wenn auch versteckt, bedeutende Geschenke enthielten, oft aber von losen Buben zu Schimpf und Spotte zugerichtet waren. Also nach langem Suchen nichts als ein Frosch oder eine Unfläterei sich darin fand."
Es ging also hoch her in der Stadt an Weihnachten. So hoch, dass es manchen Bürgern in manchen Jahren doch ein wenig zu viel des Guten wurde. Und vor allem zu misstönend.
"Lange Zeit wurden zur Orgel Lieder gesungen, meist von der Frau des Spielers vorgetragen, dann aber seit Mitte des 19. Jahrhundert wurde eine ernste Beachtung erforderlich gemacht: Es sei sehr unangenehm, hieß es, wenn zugleich mit Chorälen, die in den Kirchen erklängen, ein obszönes, Liebes- oder geschmackloses Mordlied von einem heiseren Basse, den oft noch ein gellender Sopran begleitete, abgeschrien werde. Kein Lied sollte zukünftig ohne obrigkeitlichen Stempel verkäuflich sein."
Wenigstens einen Abglanz dieser vergangenen Zeiten versucht der historische Weihnachtsmarkt an der Marienkirche einzufangen. Da werden Laternen, Beerenweine und Filzhüte angeboten, Damen im groben Leinen schenken Met aus Tonkrügen aus, und der Silberschmied hämmert auf seinem kleinen Amboss mit großer Sorgfalt auf ein Stück Metall ein.
"Ich schmiede gerade Reinsilber, und zwar einen Ring. Jetzt wird der Vierkantstab rund verschmiedet, poliert, noch mal geglüht und dann nachher zu einem Ring gebogen."
Auch der Scherenschleifer braucht volle Konzentration bei seiner Arbeit. Und mehr:
"Erstmal eine ruhige Hand, ganz klar. Dann genau hingucken, was man macht und nicht ablenken lassen, sonst kann das schnell mal böse enden. Öfter mal in die Hand geschnitten, klar - was oft passiert im Gedrängel, wenn sie mich anrempeln, also das ist ganz, ganz, ganz arg."
Das Glockenspiel der Marienkirche ertönte im Mittelalter noch nicht. Es wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg eingebaut. In früheren Jahrhunderten klang die Musik eher wie die von Varius Coloribus, der Gruppe, die heute mit Dudelsack, Tröten und Schellen die alten Zeiten noch einmal aufleben lässt - die Zeiten, als Lübeck noch wirklich etwas ganz Besonderes war.
Dafür gibt es auch gute Gründe: Gleich sieben verschiedene Weihnachtsmärkte finden im Dezember im Schatten der sieben Türme statt. Vielerorts zwischen Trave und Wakenitz riecht es nach gebrannten Mandeln, Mutzen und Glühwein, allabendlich erklingt Weihnachtsmusik und das Angebot an handgezogenen Kerzen, Fellhausschuhen und Tiffany-Lampen ist überwältigend. An vielen Ständen macht sich auch die Nähe zu Skandinavien und zum Baltikum bemerkbar. Bei den Finnen etwa duftet es anziehend nach Lakritz und Pfefferminz.
"Wir haben Punsch mit Nüssen und Rosinen. Wir haben auch Schokominttu, das ist Kakao mit Pfefferminzlikör. Und dann haben wir auch noch den Peikkoiomo, das ist unser Trollentrunk, Preißelbeersaft mit Rum. Salmiakki, das ist Lakritzlikör, das trinkt man ganz häufig in Finnland als Schnaps."
Und für den kleinen Hunger empfehlen die Damen in der rot-weißen Tracht natürlich auch etwas Anderes als die üblichen Fischbrötchen oder Thüringer Bratwürste:
"Wir haben den Elchburger, das ist echter Elch, und dann haben wir Baguettes mit Rentierfleisch."
Die Kunsthandwerker in der Kirche St. Petri zeigen Gürtel aus Lachsleder, schimmernde Bernsteinketten und Schachspiele aus Speckstein. Eine Dame aus Estland verkauft Pullover und Jacken, die mit Sternen, Rauten und Hunden verziert sind.
"Das sind traditionelle estnische Strickwaren. Teilweise gehört an Küsten noch zu Tracht. Hier zum Beispiel bei so einer Jacke wird die große Fläche mit der Handstrickmaschine in Werkstatt gemacht und dann die Borten und Kanten sind Heimarbeit, handgestrickt."
Da in Lübeck für Historisches immer Platz ist, durfte Michail Schütte an der Stirnseite der Kirche seine Wipp-Drechselbank aufbauen. Auf solchen Drehbänken wurden früher Stuhlbeine und Kinderspielzeug hergestellt, aber vor allem Ess- und Trinkgefäße. Bis etwa 1500 nach Christus aßen und tranken die Menschen ausschließlich aus Holzbechern und von Holztellern - vom Bettler bis zum Kaiser. Im feuchten Lübecker Untergrund haben sich einige solcher Schalen erhalten - und Michail Schütte stellt Repliken davon her.
"Wir haben hier eine Sternschale. Sternschalen sind Schalen, deren Rand nach dem Drechseln sternförmig geschnitzt worden ist. Das war eine Form, die im ganzen Mittelalter verbreitet und in Mode war. Hier in Lübeck gibt es eine besonders schöne florale Form. Fünf Schalen von dieser Form hat man gefunden und die stelle ich als Replik her."
Wie so vieles in Lübeck hat auch der Weihnachtsmarkt eine lange, lange Tradition. 1648 wurde er zum ersten Mal schriftlich erwähnt, sagt der Kulturhistoriker Manfred Eickhölter. Um die hundert lokale Handwerker und Händler - Kuchenbäcker, Schuster, Hutmacher, Drechsler - verkauften damals ihre Produkte. Und viele bemühten sich, zum Fest ein paar Sonderangebote parat zu haben. Sprich: außergewöhnliche oder kostbare Artikel.
"Beispielsweise bot 1774 ein Konditor Kröger ein Konfekt an, genannt 'Die Freigeister', oder 1778 bot er an den neulich in der Trave gefangenen Schwertfisch. Oder es wurde angeboten das 'allhier noch nie verfertigte Danziger Koffeebrot', aber es wurden auch Nürnberger angeboten und sogenannte Geduldskuchen. Und ansonsten hat man sich vorzustellen, dass es eben Stände gegeben hat mit Waffeln, dass Getränke angeboten wurden, der Ratsweinkeller war geöffnet."
Zwei Tage vor Heiligabend begann der Weihnachtsmarkt damals, und er dauerte sechs Tage. Der Wein floss reichlich, und es ging alles andere als beschaulich zu - eher wie im Karneval.
"In angrenzenden großen Gesellschaftshäusern der Kaufleute und der Handwerker, da wurden dann auch öffentliche Veranstaltungen gemacht, dazu gehörte Tanz, dazu gehörte Ballett, dazu gehörte seit Mitte des 19. Jahrhundert, dass Akrobaten auftauchten. Es wurden athletische Übungen geboten, nachher zu späterer Zeit sind auch die dann immer populäreren Panoramen abgebildet worden, man hat auch seltene Menschen vorgeführt - also alles in allem ein sehr lebhaftes und dann auch sehr an den Jahrmarkt erinnerndes Weihnachtstreiben."
Natürlich hatte Lübeck, es empfand sich ja schon immer als etwas Besonderes, auch einen besonderen Weihnachtsbrauch: Den Auftritt der "Julklappen".
"Am ersten Tage war es üblich, dass große Figuren durch die Stadt geschoben wurden, das waren sogenannte Julklappen, große Strohpuppen, welche meist, wenn auch versteckt, bedeutende Geschenke enthielten, oft aber von losen Buben zu Schimpf und Spotte zugerichtet waren. Also nach langem Suchen nichts als ein Frosch oder eine Unfläterei sich darin fand."
Es ging also hoch her in der Stadt an Weihnachten. So hoch, dass es manchen Bürgern in manchen Jahren doch ein wenig zu viel des Guten wurde. Und vor allem zu misstönend.
"Lange Zeit wurden zur Orgel Lieder gesungen, meist von der Frau des Spielers vorgetragen, dann aber seit Mitte des 19. Jahrhundert wurde eine ernste Beachtung erforderlich gemacht: Es sei sehr unangenehm, hieß es, wenn zugleich mit Chorälen, die in den Kirchen erklängen, ein obszönes, Liebes- oder geschmackloses Mordlied von einem heiseren Basse, den oft noch ein gellender Sopran begleitete, abgeschrien werde. Kein Lied sollte zukünftig ohne obrigkeitlichen Stempel verkäuflich sein."
Wenigstens einen Abglanz dieser vergangenen Zeiten versucht der historische Weihnachtsmarkt an der Marienkirche einzufangen. Da werden Laternen, Beerenweine und Filzhüte angeboten, Damen im groben Leinen schenken Met aus Tonkrügen aus, und der Silberschmied hämmert auf seinem kleinen Amboss mit großer Sorgfalt auf ein Stück Metall ein.
"Ich schmiede gerade Reinsilber, und zwar einen Ring. Jetzt wird der Vierkantstab rund verschmiedet, poliert, noch mal geglüht und dann nachher zu einem Ring gebogen."
Auch der Scherenschleifer braucht volle Konzentration bei seiner Arbeit. Und mehr:
"Erstmal eine ruhige Hand, ganz klar. Dann genau hingucken, was man macht und nicht ablenken lassen, sonst kann das schnell mal böse enden. Öfter mal in die Hand geschnitten, klar - was oft passiert im Gedrängel, wenn sie mich anrempeln, also das ist ganz, ganz, ganz arg."
Das Glockenspiel der Marienkirche ertönte im Mittelalter noch nicht. Es wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg eingebaut. In früheren Jahrhunderten klang die Musik eher wie die von Varius Coloribus, der Gruppe, die heute mit Dudelsack, Tröten und Schellen die alten Zeiten noch einmal aufleben lässt - die Zeiten, als Lübeck noch wirklich etwas ganz Besonderes war.