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Alle Macht den Veranstaltern?

Der zeitgenössische Tanz in Deutschland boomt. Ein paar Beispiele: Die Kulturstiftung des Bundes, immer bereit, "Leuchttürme der Gegenwartskultur" zu fördern, hat für einen "Tanzplan Deutschland 2005" 12,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Städte, Akademien, Projekte können daraus Mittel erhalten. Am Tanzhaus Düsseldorf wurde ein ganzes Studienprogramm über zeitgenössischen Tanz eingerichtet; und Berlin ist seit Dezember praktisch ein einziger Tanz-Boden. Derzeit finden die traditionsreichen "Tanztage" in den Sophiensälen statt; im Dezember gab es das letzte Festival, und vor kurzem präsentierte sich die hauptstädtische Szene in einer "Tanznacht", die ein Ereignis sein sollte - und dann nur durch ästhetische Risikolosigkeit auffiel. Aber: sind das vielleicht nur die beiden Seiten einer Medaille?

Von Elisabeth Nehring |
    Angekündigt werden stets die 'interessantesten' Choreographen und natürlich immer die 'wichtigsten'. Gefährliche Superlative, die an manchen Abenden wie ein programmatisches Damoklesschwert über der Vorstellung hängen. Zuletzt geschehen bei der Berliner 'Tanznacht', dem Ereignis der hauptstädtischen Tanzszene, das in diesem Jahr zahlreiche nationale und internationale Kuratoren angezogen hatte, wie von den Berliner Veranstaltern stolz verkündet wurde. Die 'Kollegen aus dem Festivalgeschäft', wie sie auch gerne genannt werden, zogen angesichts des etwas blassen und konturlosen Programms allerdings enttäuscht wieder ab. Die Präsentation hinterließ, bis auf wenige Ausnahmen, eher den Eindruck einer gewissen ästhetischen Risikolosigkeit.

    Zahlreiche zeitgenössische Tanz-Produktionen, die in den letzten Jahren entstanden sind, scheinen im Stadium der Entwicklung zu verharren, eher 'Werkstatt-Charakter' zu besitzen. Eva Maria Hörster, künstlerische Leiterin der Tanzfabrik und Kuratorin der Tanznacht Berlin.

    Das ist ja schon so, dass der Werkstatt-Begriff ganz zentral ist auch in vielen Arbeiten. Dass viele Künstler sowieso sehr prozesshaft arbeiten, dass es ein bisschen weggeht von diesem Werkbegriff auch. Dass viele eben immer wieder auch Showings machen in ihrer Arbeit und das wiederum fast die Arbeit selber ist. Also gar nicht mal unbedingt auf dem Weg zu dem perfekten Stück. Im Moment ist es glaub ich eher so ein beständiges Werden als dass es dann zu einem letztendlichen Ziel kommt.

    Das wiederum spiegelt exemplarisch die Situation in Berlin – und nicht nur hier. Das Prozesshafte, Unfertige vieler Arbeiten bedeutet – auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht – keinen Widerspruch zur stetigen Vermarktung dieser Kunstform.

    Der zeitgenössische Tanz ist durchzogen von ästhetischer Korrektheit; lieber gar keine künstlerische Positionsbestimmung als eine falsche, das heißt, eine, die von den Veranstaltern als 'konventionell' oder gar 'altmodisch' kategorisiert werden könnte.

    Diese Ängstlichkeit hat viel mit der Struktur der Tanzszene zu tun. Die viel kritisierte Schnelllebigkeit hat auch sie längst erreicht. Gerade junge, talentierte Künstler werden nach den ersten kleinen Erfolgen viel zu schnell mit viel zu großen Produktionen auf die Bühne geschickt, um hinterher entweder in den grassierenden Festivalszirkus geworfen zu werden oder wieder in der Versenkung zu verschwinden. Wer sich einen Namen machen will, muss sich in dem Geschäft um Kaufen und Verkaufen inzwischen gut auskennen. Das langsame und konzentrierte Wachsen eines Künstlers ist eher die Ausnahme und findet häufig gerade dann statt, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit nicht übermäßig auf seiner Arbeit lastet. Bettina Masuch, Kuratorin für Tanz im 'Hebbel am Ufer' sowie für die gefloppte Tanznacht, beschreibt die Situation aus ihrer Sicht.

    Mein Problem liegt eher darin, dass es keine Orte für wirkliche Nachwuchskünstler gibt oder sehr, sehr wenige. Dass es eigentlich überhaupt keinen Ort gibt, der ein reines Proben- oder Produktionshaus ist, ohne den Druck, sofort daraus eine fertige Aufführung zu machen. Also sozusagen ganz unten, am Beginn ist es für Choreographen also ganz, ganz schwierig, hier zu arbeiten und dann, wenn die Produktionen größer werden. Also auch dann, wenn man eigentlich mit einem größeren Ensemble arbeiten müsste, mit einem richtigen Bühnenbild arbeiten will. Das gelingt ja mittlerweile, also wenn man mal den zeitgenössischen Tanz anguckt, nur noch Sasha Waltz hier in der Stadt und das auch nur noch unter zunehmend größeren Schwierigkeiten. Man redet immer so viel von den Leuchttürmen und den Highlights, vergisst aber, dass die natürlich auch produziert werden müssen und dass man dafür länger zusammenarbeiten muss als zwei Monate.

    Die Kuratorin Bettina Masuch schildert die eine Seite eines komplexen, vielschichtigen Problems. Neben dem kurzlebigen Hype um die Arbeit bestimmter Künstler übt aber vor allem die Meinungsführerschaft von Produzenten, Veranstaltern und Kuratoren einen immer stärkeren Druck auf die Künstler aus. Denn auf dieser Ebene wird entschieden, was das Publikum eines Theaters oder eines Festivals zu sehen bekommt; wird der Geschmack des Kurators vom Künstler nicht bedient, hat er – selbst wenn er für eine Produktion finanzielle Förderung erhalten hat - keine Möglichkeit, sie auch zu präsentieren. Es ist ein doppeltes Abhängigkeitsverhältnis des Künstlers entstanden: von Geldgebern und von Veranstaltern.

    Die Berliner Choreographin Toula Limnaios hat sich letzterem entzogen, in dem sie sich einen eigenen Aufführungsort geschaffen hat. 'Die Halle' diente ihr lange nur zum Proben und nun auch als Möglichkeit, ihre Stücke ohne Zwänge von Außen zu zeigen.

    Wir haben wirklich unsere Unabhängigkeit, niemand sagt uns, wann wir müssen spielen und das ist ein Privileg eigentlich. Wir spielen wann wir wollen, weil wir sind auch selbst die Veranstalter. Aber ich bin auch wirklich frei und niemand sagt mir, wie müssen meine Stücke aussehen und das würde ich nie akzeptieren.

    Mit dem von großen Hoffnungen getragenen 'Tanzplan Deutschland' der Kulturstiftung des Bundes hat der zeitgenössische Tanz in den nächsten Jahren gute Chancen, seine Position im allgemeinen Kulturschaffen zu verbessern und zu stabilisieren. Sie müssen nur auch richtig genutzt werden; was der Tanz wirklich braucht, sind nicht immer neue Festivals, deren Veranstalter gerade entdeckte Künstler mitunter als Trophäen missbrauchen, sondern – neben fundierten, professionellen Ausbildungsstätten für den zeitgenössischen Tanz – offene 'Tanzhäuser', in denen Künstler keine festen, wohl aber einerseits kontinuierliche und andererseits unhermetische Strukturen erleben.

    Die Leitung eines Theater mag mit Recht ein eigenes, klares Profil entwickeln wollen; die Künstler aber brauchen daneben etwas anderes: eine Struktur, die es ihnen erlaubt, in Ruhe nach ihrem ureigenem künstlerischen Ausdruck zu suchen und dabei auch Risiken eingehen zu können, ohne sofort von zeitgeistigen Meinungsführern bewertet oder ausgegrenzt zu werden.