"Die Leser der Fußballseiten erwarten ja nichts tiefschürfendes, und das macht mir auch mal Spaß. Das hat so was reinigendes. Außerdem will ich auch diese Vorstellung widerlegen, die es in Deutschland oder in Spanien gab und gibt, daß Fußball nichts für Intellektuelle und eigentlich eine vulgäre Angelegenheit sei."
Wir treffen Marias in Madrid, seiner Stadt, einer "in zwei Lager geteilten Stadt", der Stadt von Atlético und Real, eine Stadt, in der man sich sofort anlegen kann. Marías: "Besonders gut geht das mit Taxifahrern, weil sie stets sichtbar einen Wimpel der falschen Mannschaft anzubringen pflegen, natürlich nur, um den Fahrgast zu provozieren."
Im Viertel Chawartin, in der Nähe des Bernabeu-Stadions, wuchs Marias auf, und sein Verein heißt - natürlich - Real Madrid, die wohl erfolgreichste Mannschaft der Welt. "Unsere frühen Schlachten" erzählt von der ewigen Rivalität zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona, von hasenherzigen Trainern, peinlichen Vereinspräsidenten und kickenden Millionären.
Marías kommentiert geniale Tore mit der gleichen Passion wie geschmaklose Trikots oder die linke Vergangenheit seines Lieblingsvereins.
Der Fußball ist für ihn eines der letzten Refugien der großen Gefühle.- Trauer und Hoffnung" Furcht und Zittern, Haß und Freude. Marías interessiert sich nicht für soziologische Grübeleien, den Shakespeare-Fan fasziniert die Parade der menschlichen Leidenschaften, das Dramatische am Fußball. Der Autor:
"Der Fußball ähnelt einer Theaterinszenierung, jedes Spiel hat seine ganz spezielle Dramaturgie, seine Szenenfolgen, unvorhergesehene Ereignisse, Schicksalsschläge und glückliche Zufälle. Aber im Gegensatz zum Theater ist hier der Ausgang des Stücks ungewiß, das macht die große Spannung aus, deshalb erregt das Spiel solche Emotionen."
Der Kinoliebhaber Marías vergleicht die großen Fußball-Partien, die entscheidenden Freistöße, Flanken und Elfmeter auch mit Showdowns in Western mit John Wayne. Sein Lieblingsspiel bewahrt er in seiner Videosammlung neben den Spielfilmen auf. Es ist das legendäre Furopapokalendspiel von 1960: Real Madrid gegen Eintracht Frankfurt, das die Königlichen 7: 3 gewannen. Die 60er Jahre, das ist die große Zeit des Fußball-Fans Marias und die seines Vereins. Der Fußball ist für ihn der wöchentliche Ausflug in die Kindheit. Der Autor:
"Das ist wie eine Art unterirdischer Linie" die dem Fußball-Fan erlaubt, das Kind, das er war, nicht zu vergessen nicht komplett aus den Augen zu verlieren. Das finde ich wichtig, denn ich glaube, eines der Probleme des heutigen Menschen ist, das er alles viel zu schnell vergißt." So heisst es im Text:
"Der Hauptverantwortliche für den Entusiasmus von uns Kindern hieß zweifellos Di Stefano. Aber da war noch etwas: Real Madrid war weder falsch noch ängstlich, sondern besaß echtes dramatisches Talent. Das mag banal klingen, aber in der Stadt der Kindheit gab es schon genug betrügerische und furchteinflößende Dinge, und die Welt war eher schäbig als von dramatischer Qualität. Real Madrid stellte, wie das Samstagskino, eine Oase dar."
Javier Marias zeigt uns seine Sammlung von Fußballbildchen, die er bei den Vorarbeiten für das Buch in einem staubigen alten Koffer im Keller wiedergefunden hat. Beim Blättern in den vergilbten Albcn erzählt er von seinen Lieblingsspielern, die auf den nachcolorierten Bildchen so erhwürdig alt aussehen, davon, daß er als Linkshänder auf der Position des Linksaußen spielte und daß er für manche der besonders begehrten Bildchen komplizierte Tauschaktionen unternehmen mußte. Zur Illustration des Buches hat er die schönsten davon herausgesucht. 40 Jahre lang ist Marías - sein Herz so weiß - seinem Verein Real treu geblieben. Der Fußball als Konstante. Dazu Marías:
"Alles ändert sich im Leben, der Geschmack, man hat andere Ansichten, es gibt Leute, die die Ideologien wechseln, andere die Frau oder den Mann, die Geliebten, den literarischen Geschmak; ein Schriftsteller ändert die Art zu schreiben. Aber eines ändert sich bei all diesen Veränderungen nicht, es gibt eine unverrückbare Sache: den Lieblingsclub."
Doch die unverrückbare Liebe zu Real Madrid wird derzeit auf eine harte Probe gestellt. Der Gewinn der Champions-League kann nicht über eine verkorkste Saison hinwegtäuschen: der teuerste Club der Welt ist "nur noch ein Schatten seiner selbst", so Javier Marias. Unfähige Vereinspräsidenten macht er dafür verantwortlich, ängstliche Trainer und wahllos zusammengekaufte Spitzenspieler, die keine wirkliche Mannschaft bilden.
Auch international sieht Marias den Fußball in der Krise, bedroht von der schlimmsten Seuche, der Langeweile: defensive Spiele, wenig Überraschungen, kaum ein Tor. Marías:
"Das Fußball-Publikum ist sehr anspruchsvoll. Jeder will, daß seine Mannschaft gewinnt, aber auch, daß sie gut spielt, daß es Spaß macht zu gucken, daß etwas Erinnerungswürdiges passiert, etwas, das sich auf der Netzhaut einbrennt. Solange das so ist, wird es weiter Spieler geben, die begeistern."
"Alle unsere frühen Schlachten" die Sammlung von Glossen, Essays und Polemiken ist am stärksten in den Partien, in denen Marias so persönlich wird, wie in keinem seiner bisher in Deutschland erschienenen Bücher. Wenn er witzig und böse kommentiert, wenn er leidenschaftlich und politisch unkorrekt loshechelt. Wenn er gnadenlos ungerecht ist. Wie ein echter Fan eben.
"Fußball ohne Abenteuer ist wie ein Land ohne Poeten", hat der Fußballtrainer Cesar Luis Menotti einmal gesagt. Doch nach der Lektüre von"Alle unsere frühen Schlachten" meinen wir: Das wahre Abenteuer ist der Poet als Fußball-Kolumnist.
Wir treffen Marias in Madrid, seiner Stadt, einer "in zwei Lager geteilten Stadt", der Stadt von Atlético und Real, eine Stadt, in der man sich sofort anlegen kann. Marías: "Besonders gut geht das mit Taxifahrern, weil sie stets sichtbar einen Wimpel der falschen Mannschaft anzubringen pflegen, natürlich nur, um den Fahrgast zu provozieren."
Im Viertel Chawartin, in der Nähe des Bernabeu-Stadions, wuchs Marias auf, und sein Verein heißt - natürlich - Real Madrid, die wohl erfolgreichste Mannschaft der Welt. "Unsere frühen Schlachten" erzählt von der ewigen Rivalität zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona, von hasenherzigen Trainern, peinlichen Vereinspräsidenten und kickenden Millionären.
Marías kommentiert geniale Tore mit der gleichen Passion wie geschmaklose Trikots oder die linke Vergangenheit seines Lieblingsvereins.
Der Fußball ist für ihn eines der letzten Refugien der großen Gefühle.- Trauer und Hoffnung" Furcht und Zittern, Haß und Freude. Marías interessiert sich nicht für soziologische Grübeleien, den Shakespeare-Fan fasziniert die Parade der menschlichen Leidenschaften, das Dramatische am Fußball. Der Autor:
"Der Fußball ähnelt einer Theaterinszenierung, jedes Spiel hat seine ganz spezielle Dramaturgie, seine Szenenfolgen, unvorhergesehene Ereignisse, Schicksalsschläge und glückliche Zufälle. Aber im Gegensatz zum Theater ist hier der Ausgang des Stücks ungewiß, das macht die große Spannung aus, deshalb erregt das Spiel solche Emotionen."
Der Kinoliebhaber Marías vergleicht die großen Fußball-Partien, die entscheidenden Freistöße, Flanken und Elfmeter auch mit Showdowns in Western mit John Wayne. Sein Lieblingsspiel bewahrt er in seiner Videosammlung neben den Spielfilmen auf. Es ist das legendäre Furopapokalendspiel von 1960: Real Madrid gegen Eintracht Frankfurt, das die Königlichen 7: 3 gewannen. Die 60er Jahre, das ist die große Zeit des Fußball-Fans Marias und die seines Vereins. Der Fußball ist für ihn der wöchentliche Ausflug in die Kindheit. Der Autor:
"Das ist wie eine Art unterirdischer Linie" die dem Fußball-Fan erlaubt, das Kind, das er war, nicht zu vergessen nicht komplett aus den Augen zu verlieren. Das finde ich wichtig, denn ich glaube, eines der Probleme des heutigen Menschen ist, das er alles viel zu schnell vergißt." So heisst es im Text:
"Der Hauptverantwortliche für den Entusiasmus von uns Kindern hieß zweifellos Di Stefano. Aber da war noch etwas: Real Madrid war weder falsch noch ängstlich, sondern besaß echtes dramatisches Talent. Das mag banal klingen, aber in der Stadt der Kindheit gab es schon genug betrügerische und furchteinflößende Dinge, und die Welt war eher schäbig als von dramatischer Qualität. Real Madrid stellte, wie das Samstagskino, eine Oase dar."
Javier Marias zeigt uns seine Sammlung von Fußballbildchen, die er bei den Vorarbeiten für das Buch in einem staubigen alten Koffer im Keller wiedergefunden hat. Beim Blättern in den vergilbten Albcn erzählt er von seinen Lieblingsspielern, die auf den nachcolorierten Bildchen so erhwürdig alt aussehen, davon, daß er als Linkshänder auf der Position des Linksaußen spielte und daß er für manche der besonders begehrten Bildchen komplizierte Tauschaktionen unternehmen mußte. Zur Illustration des Buches hat er die schönsten davon herausgesucht. 40 Jahre lang ist Marías - sein Herz so weiß - seinem Verein Real treu geblieben. Der Fußball als Konstante. Dazu Marías:
"Alles ändert sich im Leben, der Geschmack, man hat andere Ansichten, es gibt Leute, die die Ideologien wechseln, andere die Frau oder den Mann, die Geliebten, den literarischen Geschmak; ein Schriftsteller ändert die Art zu schreiben. Aber eines ändert sich bei all diesen Veränderungen nicht, es gibt eine unverrückbare Sache: den Lieblingsclub."
Doch die unverrückbare Liebe zu Real Madrid wird derzeit auf eine harte Probe gestellt. Der Gewinn der Champions-League kann nicht über eine verkorkste Saison hinwegtäuschen: der teuerste Club der Welt ist "nur noch ein Schatten seiner selbst", so Javier Marias. Unfähige Vereinspräsidenten macht er dafür verantwortlich, ängstliche Trainer und wahllos zusammengekaufte Spitzenspieler, die keine wirkliche Mannschaft bilden.
Auch international sieht Marias den Fußball in der Krise, bedroht von der schlimmsten Seuche, der Langeweile: defensive Spiele, wenig Überraschungen, kaum ein Tor. Marías:
"Das Fußball-Publikum ist sehr anspruchsvoll. Jeder will, daß seine Mannschaft gewinnt, aber auch, daß sie gut spielt, daß es Spaß macht zu gucken, daß etwas Erinnerungswürdiges passiert, etwas, das sich auf der Netzhaut einbrennt. Solange das so ist, wird es weiter Spieler geben, die begeistern."
"Alle unsere frühen Schlachten" die Sammlung von Glossen, Essays und Polemiken ist am stärksten in den Partien, in denen Marias so persönlich wird, wie in keinem seiner bisher in Deutschland erschienenen Bücher. Wenn er witzig und böse kommentiert, wenn er leidenschaftlich und politisch unkorrekt loshechelt. Wenn er gnadenlos ungerecht ist. Wie ein echter Fan eben.
"Fußball ohne Abenteuer ist wie ein Land ohne Poeten", hat der Fußballtrainer Cesar Luis Menotti einmal gesagt. Doch nach der Lektüre von"Alle unsere frühen Schlachten" meinen wir: Das wahre Abenteuer ist der Poet als Fußball-Kolumnist.