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Alleen und Straßenbäume

Im vergangenen Jahr sind 1688 Menschen bei Unfällen an Straßenbäumen tödlich verunglückt. Eine tragische Zahl. Vor allem in Ostdeutschland gibt es sie noch: lange Alleen, die Dörfer und Städte verbinden. Viele von ihnen mehrere hundert Jahre alt, waren sie nicht für den mehrspurigen schnellen Verkehr der Neuzeit, sondern eher für Postkutschen und Ochsenfuhrwerke angelegt worden. Im Auftrag von Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig wurde deshalb von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen eine Studie vorgelegt, in der es um die Verkehrssicherheit auf solchen Straßen geht. Nicht nur Naturschützer halten die dort ausgesprochenen Empfehlungen aber für indiskutabel. Gegner der Pläne sind heute in Berlin vor die Presse gegangen.

von Dietrich Sondermann | 25.06.2002
    Etwa 25.000 Kilometer der Straßen in Deutschland sind Alleen oder zumindest teilweise mit Bäumen bepflanzt. Mehr als die Hälfte davon alleine in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Dort genießen sie auch einen besonderen Schutz durch die Landesverfassung oder das Naturschutzrecht. Die Forschungsgesellschaft für das Straßen- und Verkehrswesen kommt in ihrem Gutachten aber zu dem Schluss, dass solche Verkehrswege nicht mehr zeitgemäß seien. Bäume gehörten nicht an die Straßen und wenn dann nur in einem gehörigen Abstand. Für Helmut Röscheisen, den Generalsekretär vom Deutschen Naturschutzring, sind die Argumente der Straßenplaner nicht nachvollziehbar.

    In dieser Forschungsgesellschaft sitzen traditionell ausgebildete Straßenplaner, die eigentlich nur das Wohl der Straße im Kopf haben und für die alle Natur und Begleitgrün lästig ist und die sich zu Behauptungen versteigen wie ungefähr, die Straßenbäume sind letztendlich Schuld am Tod dieser knapp 1700 Menschen, wobei dies natürlich hahnebüchen ist.

    Die Gründe für die tragischen Unfälle liegen woanders.

    Das ist in allererster Linie überhöhte Geschwindigkeit, riskantes Fahren, Überholvorgänge, es ist auch Alkohol im Spiel, es ist Übermüdung am Steuer; auch das kommt oft vor.

    Eine Statistik belegt, dass die tödlichen Unfälle an Alleebäumen in Mecklenburg-Vorpommern um ein Drittel zurückgegangen sind, nachdem dort konsequent Tempo 80 auf diesen Strecken eingeführt worden ist. Wenn die neuen Richtlinien in Kraft gesetzt würden, dann wäre es wohl in wenigen Jahren vorbei mit den landschaftlich schönen Strecken durch die Mark Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern. Bislang wird für einen Baum, der zum Beispiel auch durch einen Verkehrsunfall zerstört wird oder der einfach aus Altersgründen abstirbt, ein neuer gepflanzt. Das soll sich ändern:

    Die neuen Richtlinien sehen jetzt vor, dass keine Ersatz- oder Neupflanzungen mehr vorgenommen werden dürfen, so wie das bisher der Fall ist, sondern in ausreichend weitem Abstand. Ausreichend weit heißt mindestens acht Meter dann von der Straße entfernt, so dass Autos, wenn sie verunglücken, die Bäume nicht mehr erreichen können.

    Damit ginge aber der Charakter von Alleen verloren. Außerdem würden wohl bald überhaupt keine Bäume mehr an Straßen gepflanzt, denn meist reichen ja Felder oder andere Privatgrundstücke viel näher an die Straßen heran. Und diese Flächen zusätzlich zu kaufen, kann sich finanziell keine Kommune und kein Land leisten. Der Deutsche Naturschutzring fordert deshalb ein durchgängiges Tempolimit von 80 Stundenkilometern auf Alleestraßen und wird dabei sogar vom autofreundlichen ADAC unterstützt:

    Es ist letztlich auch im Sinne einer Automobilorganisation, dass die Autofahrer sich so verhalten, dass sie sich nicht selbst gefährden.

    Es ist wohl nicht nur die Sicherheit, die bei diesen Überlegungen eine Rolle spielt:

    Es gibt ja auch den Autotourismus in Deutschland und die Alleen sind ein wichtiger Faktor, auch ein wichtiger Tourismusfaktor und manche Leute fahren in bestimmte Gebiete, um Alleen zu sehen.

    Und allen, die meinen, dass manche Alleestrecken ja doch breit und gerade genug seien für eine schnellere Fahrt als Tempo 80, empfieht Helmut Röscheisen etwas Geduld:

    Diese Alleenstraßen sind ja nicht unheimlich lang. Wenn man sie fährt – und das ist ja auch angenehm für das Auge und das psychische Wohlbefinden - dann sollte man langsamer fahren und das auch genießen. Wenn man rasen will, dann muss ich auf die Autobahn gehen, dann sollte ich solche Straßen einfach meiden.