Von wegen Kunst und Kokain. Was Bild-Leser am meisten antörnt, sind Puffbesuche eines deutschen Professors. Seit der Affäre eines gewissen Professor Unrat im Blauen Engel hat niemand dieses Klischee besser bedient als Jörg Immendorff, von dem es heißt, dass er gelegentlich auch gemalt habe. Und wenn die Besucher des Justiztheaters von Malerei auch keine Ahnung haben, von körperlichen Nahkontakten verstehen sie genug, um eine Sex-Party mit neun Miet-Mädchen und einem Mann exorbitant zu finden. Was wollte der denn in der Suite des Düsseldorfer Steigenberger Hotels mit so vielen auf einmal? 18 Brüste – das erinnert eher an die seriellen Perspektiven von Andreas Gursky, eines anderen Düsseldorfer Künstlers. Jedenfalls wurden sie für ihre Dienste gut bezahlt; aus Huren-Perspektive ist es zweifellos von Vorteil, es mit einem Immendorff zu machen.
10.000 Euro kostete die Orgie, allein das erfüllt den minder verdienenden Bildzeitungsleser in uns mit missgünstigen Regungen. Hat man doch schon immer das Gefühl gehabt, dass die Bilder von Leuten wie Immendorff zu teuer sind. Ja, die Geldströme des Kunstbetriebs sind überhaupt von einer gigantischen Unverhältnismäßigkeit gekennzeichnet. Das ist schwer zu ertragen.
Aber noch schwerer ist es, einzusehen, dass das so seine Richtigkeit hat. Es gibt kein anderes Maß für den Wert eines Bildes als die Launen des Marktes. Und noch etwas kann man aus dieser hässlichen Geschichte lernen, etwas, das das Geheimnis künstlerischen Schaffens überhaupt betrifft. Dass Sex und Drogen dabei oft eine Rolle spielen, gehört zu den Binsenweisheiten der Kunstgeschichte. Horst Janssen soff sich zu Tode, Martin Kippenberger nahm härteren Stoff, und bei Jörg Immendorf verhält es sich genauso. Auch geschlechtliche Exzesse, wenngleich schlechter dokumentiert, füllen die Annalen der Malerei – interessanterweise mehr als der Literatur oder der Musik. Von Pablo Picasso bis Otto Mühl zieht sich eine orgiastische Sperma-Spur durch die Historie, die zugleich die Potenzphantasien der Akteure mit den Skandalerwartungen des Publikums verbindet.
Diese Verbindung aber ist das eigentlich Prekäre. Denn hier prallen zwei Welten aufeinander, die wahrhaft inkommensurabel sind. Der von seinem Genius getriebene Künstler fällt naturgemäß aus dem von der und für die Allgemeinheit geschaffenen Rahmen, gelegentlich braucht er sogar Betäubungsmittel, um diese Allgemeinheit überhaupt ertragen zu können. Doch da es in den Regeln und Gesetzen der Gesellschaft keine Sonderkategorie für Sonderlinge geben kann, ist der Konflikt tragisch unvermeidlich.
Immerhin gab es bisher noch etwas liberalen Spielraum. Es gab eine Marge der Duldung und der Nichtbeachtung, die das Schmieröl der Staatsmaschine darstellt. Die Medien mit ihrer frenetischen Aufmerksamkeit konterkarieren das. Sie erschaffen den Künstler als Halbweltfigur, als Monster, als Verbrecher. In diesem Lichte wird das Stelldichein von Düsseldorf zu Staatsakt. Umso schlimmer, wenn Professor Immendorf dann auch noch unter das Beamtenrecht fällt.