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Allein unter Huren

Während viele anderen Maler zeitlebens nie mit einem Artikel in der Bild-Zeitung bedacht werden, war Jörg Immendorff schon immer auch ein Fall für die Boulevard-Presse. Ob die Bunte berichtete, dass Arnold Schwarzenegger in seiner Funktion als Kunstsammler den Kunstprofessoren in Düsseldorf besuchte oder ihrer Leserschaft verriet, dass Immendorff seine ehemalige Schülerin geheiratet habe. Ob Gala über den "Provokateur" eine Homestory druckte oder die Bild-Zeitung an Bundeskanzler Schröder die Frage richtete, wieso er Immendorff mit auf einen Staatsbesuch in Georgien nahm. Der Bunten erzählte Immendorff denn auch erstmals von seinem unheilbaren Nervenleiden. Und mit der Kokain- und Sex-Affäre qualifizierte er sich endgültig für die Regenbogenpresse. Kein Wunder also, dass sie heute beim Prozessauftakt in Düsseldorf alle gekommen waren.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Wegen des großen Medieninteresses hat der Vorsitzende der XII. Strafkammer des Düsseldorfer Landgerichts eine sitzungspolizeiliche Anordnung erlassen, die folgende Regelungen enthält: "Es dürfen nur so viele Zuhörer eingelassen werden, wie Sitzplätze für Zuhörer vorhanden sind. Es stehen ca. 50 Sitzplätze für Zuhörer zur Verfügung. Auch bei voll besetztem Zuhörerraum darf ein Sitzplatz nicht mit zwei Zuhörern besetzt werden." Offenbar will das Gericht vermeiden, dass es zu körperlichen Nahkontakten kommt. Denn natürlich werden lauter Fachleute für körperliche Nahkontakte im Saal sitzen, nebeneinander statt aufeinander. Der Immendorff-Prozess ist das absolute Großereignis im Düsseldorfer Hurenmilieu. Und dies wiederum erregt großes Medieninteresse.

    Von wegen Kunst und Kokain. Was Bild-Leser am meisten antörnt, sind Puffbesuche eines deutschen Professors. Seit der Affäre eines gewissen Professor Unrat im Blauen Engel hat niemand dieses Klischee besser bedient als Jörg Immendorff, von dem es heißt, dass er gelegentlich auch gemalt habe. Und wenn die Besucher des Justiztheaters von Malerei auch keine Ahnung haben, von körperlichen Nahkontakten verstehen sie genug, um eine Sex-Party mit neun Miet-Mädchen und einem Mann exorbitant zu finden. Was wollte der denn in der Suite des Düsseldorfer Steigenberger Hotels mit so vielen auf einmal? 18 Brüste – das erinnert eher an die seriellen Perspektiven von Andreas Gursky, eines anderen Düsseldorfer Künstlers. Jedenfalls wurden sie für ihre Dienste gut bezahlt; aus Huren-Perspektive ist es zweifellos von Vorteil, es mit einem Immendorff zu machen.

    10.000 Euro kostete die Orgie, allein das erfüllt den minder verdienenden Bildzeitungsleser in uns mit missgünstigen Regungen. Hat man doch schon immer das Gefühl gehabt, dass die Bilder von Leuten wie Immendorff zu teuer sind. Ja, die Geldströme des Kunstbetriebs sind überhaupt von einer gigantischen Unverhältnismäßigkeit gekennzeichnet. Das ist schwer zu ertragen.

    Aber noch schwerer ist es, einzusehen, dass das so seine Richtigkeit hat. Es gibt kein anderes Maß für den Wert eines Bildes als die Launen des Marktes. Und noch etwas kann man aus dieser hässlichen Geschichte lernen, etwas, das das Geheimnis künstlerischen Schaffens überhaupt betrifft. Dass Sex und Drogen dabei oft eine Rolle spielen, gehört zu den Binsenweisheiten der Kunstgeschichte. Horst Janssen soff sich zu Tode, Martin Kippenberger nahm härteren Stoff, und bei Jörg Immendorf verhält es sich genauso. Auch geschlechtliche Exzesse, wenngleich schlechter dokumentiert, füllen die Annalen der Malerei – interessanterweise mehr als der Literatur oder der Musik. Von Pablo Picasso bis Otto Mühl zieht sich eine orgiastische Sperma-Spur durch die Historie, die zugleich die Potenzphantasien der Akteure mit den Skandalerwartungen des Publikums verbindet.

    Diese Verbindung aber ist das eigentlich Prekäre. Denn hier prallen zwei Welten aufeinander, die wahrhaft inkommensurabel sind. Der von seinem Genius getriebene Künstler fällt naturgemäß aus dem von der und für die Allgemeinheit geschaffenen Rahmen, gelegentlich braucht er sogar Betäubungsmittel, um diese Allgemeinheit überhaupt ertragen zu können. Doch da es in den Regeln und Gesetzen der Gesellschaft keine Sonderkategorie für Sonderlinge geben kann, ist der Konflikt tragisch unvermeidlich.

    Immerhin gab es bisher noch etwas liberalen Spielraum. Es gab eine Marge der Duldung und der Nichtbeachtung, die das Schmieröl der Staatsmaschine darstellt. Die Medien mit ihrer frenetischen Aufmerksamkeit konterkarieren das. Sie erschaffen den Künstler als Halbweltfigur, als Monster, als Verbrecher. In diesem Lichte wird das Stelldichein von Düsseldorf zu Staatsakt. Umso schlimmer, wenn Professor Immendorf dann auch noch unter das Beamtenrecht fällt.