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Allein unter Männern

Regina Jonas war Vorreiterin: die erste Frau, der es gelang, Rabbinerin zu werden. Vor ihr hatte allerdings auch keine andere versucht, diesen Posten einzunehmen. Es erschien nach den jüdischen Religionsgesetzen, der Halacha, unmöglich. 70 Jahre ist es nun her, dass Jonas' Rabbiniatsdiplom ausgestellt wurde. Inzwischen sind weltweit über zweihundert Rabbinerinnen aktiv.

Von Jens Brüning | 27.12.2005
    In der letzten Dezemberwoche des Jahres 1935 reiste die dreiunddreißigjährige jüdische Religionslehrerin Regina Jonas von Berlin nach Offenbach. Sie fuhr zu einer sehr wichtigen Prüfung. Am 27. Dezember 1935 stellte der Offenbacher Rabbiner Max Dienemann ihr das Rabbinatsdiplom aus.

    "Da sie die Prüfung bestanden hat, die ich ihr in religionsgesetzlichen Gegenständen abgenommen habe, bezeuge ich ihr, dass sie dazu geeignet ist, das rabbinische Amt zu bekleiden."

    Bis dahin war das rabbinische Amt den Männern vorbehalten. In der Synagoge haben die Frauen ihren Platz auf der Empore. Sie werden auch nicht zum Vorbeten aufgerufen. Vor Regina Jonas hatte allerdings auch keine Frau versucht, Rabbinerin zu werden. Es erschien nach den jüdischen Religionsgesetzen, der Halacha, unmöglich. Elisa Klapheck ist Rabbinerin in Amsterdam. Sie edierte und kommentierte 1999 die schriftliche Examensarbeit von Regina Jonas mit dem Titel "Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?"

    "Sie sagt, ich will es aus dem jüdischen Religionsgesetz beweisen, dass Frauen Rabbinerin sein können, dass Frauen gleichberechtigt sein können, und damit war Regina Jonas in ihrer Argumentation unabhängig sowohl von den liberalen Juden als auch von den orthodoxen Juden."

    Die liberalen Juden nämlich waren der Ansicht, das Religionsgesetz müsse jeweils den Gegebenheiten der Zeit angepasst werden. Für die Orthodoxen hingegen war die Halacha ein für alle Zeiten gültiges, von Gott gegebenes Regelwerk. Regina Jonas kam in ihrer Arbeit zu dem Schluss:

    "Man darf voraussetzen, dass gerade ein solches Amt, wenn die Frau es ergreift, mit Ernst und Liebe von ihr verwaltet wird. Nirgends werden der Frau Gefühl, Ehrlichkeit des Strebens, Opferwilligkeit, Menschenliebe und Taktgefühl abgesprochen, die Grundlagen des Rabbiner-Berufes."

    Regina Jonas wurde 1902 im Berliner Scheunenviertel geboren, einem heruntergekommenen Stadtteil hinter dem Alexanderplatz. Elisa Klapheck:

    "In dieser Gegend wuchs Regina Jonas auf und hatte also beide Welten, die Armut, aber gleichzeitig auch den Reichtum des orthodoxen Judentums, ihr Vater war Kaufmann, sie ist später Religionslehrerin geworden, ihr älterer Bruder Abraham ist auch Religionslehrer geworden, also beide sind religiös erzogen worden und auch in die Richtung, pädagogisch zu wirken."

    Früh begann Regina Jonas, sich dem Studium der Grundlagen des Judentums zu widmen. Schon vor ihrem Lyzeumsabschluss diskutierte sie mit dem Rabbiner Max Weyl die verschiedenen Auslegungen biblischer Zitate. Damals hatte Regina Jonas gesagt, sie wolle einmal Rabbinerin werden. Elisa Klapheck hat eine ihrer Mitschülerinnen kennen gelernt.

    "Die ehemalige Schulkameradin von Regina Jonas sagte mir: Sie müssen sich vorstellen, wir hatten alle keine Erfahrungen damit, wie das denn dann sein würde, wenn wir studieren, wenn wir Wahlrecht haben, werden wir dann einen Beruf haben, werden wir heiraten, das war alles völlig unklar, und wenn eine von sich sagte, ich werde Rabbinerin, war das im Prinzip genauso wahnwitzig wie wenn eine sagte, ich werde Physikerin oder ich werde Richterin."

    Die meisten Frauen, die an der Hochschule studierten, wollten Religionslehrerinnen werden. Regina Jonas aber identifizierte sich mit den Aufgaben des Rabbiners, des Predigers, Seelsorgers, Rechtsgelehrten und religionsgesetzlichen Entscheiders der jüdischen Gemeinde. Das Rabbinatsdiplom öffnete Regina Jonas nicht unmittelbar den Zugang zu den Kanzeln der Berliner Synagogen. Als sie am 27. Dezember 1935 ihre Ordinations-Urkunde bekam, waren bereits die "Nürnberger Gesetze" in Kraft. Der offene Rassismus des Regimes trieb viele Juden außer Landes. Regina Jonas blieb auch nach der Pogromnacht vom November 1938. Den wohlmeinenden Rat, als erste Rabbinerin der Welt in Amerika Karriere zu machen, wies sie zurück. Elisa Klapheck:

    "Sie hat genauso wie die Berliner Juden Zwangsarbeit geleistet in Rüstungsbetrieben, sie musste umziehen in ein Judenhaus, sie ist nach Theresienstadt deportiert worden und dann in den letzten Zügen des Dritten Reiches, als man sich also der letzten Spuren noch entledigen wollte, nach Auschwitz deportiert - also jeden Tag gingen Züge - und in einem dieser Züge im Oktober 1944 waren Regina Jonas und ihre Mutter, die bis dahin zusammen noch überleben konnten, und wurden wahrscheinlich direkt nach der Ankunft ermordet."