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Alleine lernen im Outback

Australien ist über 20 Mal größer als Deutschland, doch bloß 23 Millionen Einwohner leben hier. Einige davon sind deutlich zu weit von einer "richtigen" Schule entfernt. Sie bekommen Unterricht via Skype oder E-Mail - etwa durch die "School off the Air".

Von Esther Blank | 17.08.2013
    Unterwegs zur "School of the Air" in Hay, einer kleinen Gemeinde im Hinterland Australiens, circa acht Stunden Autofahrt südwestlich von Sydney. Der scheinbar endlose, schmale Highway zieht sich schnurgrade durch eine weite Ebene bis an den Horizont. Die weite Ebene um mich herum wirkt menschenleer. Hier gibt es keine Häuser und keinen Handyempfang. Nur Kängurus und Tausende Papageien.
    Australien ist riesig - über zwanzigmal größer als Deutschland, aber mit nur 23 Millionen Einwohnern. Die meisten leben an den Küsten des Landes. Doch Tausende Farmen, Schaf und Rinderzuchtbetriebe liegen mitten im spärlich bewohnten Outback, oft Hunderte Kilometer vom nächsten Nachbarn oder vom nächsten Ort entfernt. Für die Kinder, die auf diesen abgelegenen Farmen leben, gibt es die "School of the Air", Schule über Satelliteninternet.

    Auf dem Campus der "School off the Air" in Hay findet Musikunterricht statt. Doch in diesem Raum gibt es keine Tische und Stühle, keine Spielecke oder Schlafmatten, wie in anderen australischen Klassenzimmern. Hier sitzt und dirigiert die stellvertretende Schulleiterin Samantha Newnham vor Mikrofonen, Kameras und mehreren Computerbildschirmen. Darauf erscheinen ihre Schüler, die, wie der 9jährige Thomas, aus bis zu 300 Kilometern Entfernung am Unterricht teilnehmen:

    "Da wir so abgelegen wohnen, schickt uns die Schule wöchentlich unsere Arbeit in einem Paket. Und dienstags bis donnerstags haben wir Unterricht über das Internet: Mathe, Englisch, Singen ...Wenn uns die Lehrerin auffordert, dann drücken wir dieses kleine Mikrofonsymbol und dann hören sie Dich alle."

    Schülerin Jessie, 12 Jahre alt, geht schon seit fast 6 Jahren zur School of the Air und bereitet sich gerade auf ihre Aufnahmeprüfungen für die höhere Schule vor:

    "Wir sind ans Internet angeschlossen und haben spezielle Kameras, dass wir auch Klassenkameraden sehen können, nicht nur die Lehrer."

    Schulleiterin Samantha Newnham macht Lockerungsübungen mit ihrem Schülerchor. Die Kinder auf den Computerbildschirmen hüpfen und singen begeistert mit - wenn auch mit satellitenbedingter Sekundenverzögerung. Die Schüler der School of the Air lernen das gleiche Curriculum wie alle anderen Grundschüler in Australien. Ihre Fächer sind Englisch, Mathematik, Naturwissenschaften, Sozialkunde, ein wenig australische Geschichte, Kunst, Musik, Sport und Ernährung. Es gibt spezielle Programme für Kinder mit Lernproblemen oder auch für besonders begabte Kinder, die später auf sogenannte "selektive" höhere Schulen gehen können – wenn sie die Aufnahmeprüfungen bestehen. Bei den jährlichen landesweiten Tests in Englisch und Mathematik schneiden die School of the Air-Schüler ähnlich ab, wie andere Grundschüler.
    In Hay unterrichten fünf Lehrerinnen rund 30 Kinder von der ersten bis zur 7. Klasse über das Internet. Dabei sind sie auf die intensive Mitarbeit der Eltern angewiesen:

    "Wir versuchen die Eigenarbeit der Schüler so interessant wie möglich zu gestalten, und auch so einfach wie nur möglich für die Eltern, die mit den Schülern arbeiten. Wir treffen sie auch mehrmals im Jahr, beim Unterricht über Satellit, bei dem wir auch einzeln mit den Kindern arbeiten, oder wenn wir die Familien zuhause besuchen."

    Jedes Kind wird jedes Jahr einmal von einem Lehrer zuhause besucht und unterrichtet – eine gute Gelegenheit für Tests, Klassenarbeiten, spezielle Projekte, und Gespräche mit den Eltern. Jede Woche reichen die School of the Air Schüler ihre Hausarbeiten zur Bewertung ein. Ein wöchentlicher Bericht der Lehrer informiert Schüler und Eltern über Fortschritte oder Probleme. Über E-Mail, Videobotschaften und Telefon bleibt man regelmäßig in Kontakt.
    Mutter Jackie begleitet schon ihr drittes Kind durch "School oft he Air.

    "Man kann schon sehr in die Schularbeit verwickelt werden, weil man ja mit den eigenen Kindern arbeitet. Ich unterrichte meinen Sohn Thomas jetzt seit drei Jahren und habe davor meine beiden älteren Kinder unterrichtet. Glücklicherweise habe ich eine Kinderfrau. Da bleibt mir wenigstens etwas Zeit meinem Mann zu helfen und für Haus und Garten."

    School of the Air-Eltern und Schüler müssen ihren Schultag gut organisieren. Die meisten arbeiten in einem speziellen Schulzimmer und halten sich an einen strikten Zeitplan: Schulbeginn um 8.30 oder 9.00 Uhr, intensive Arbeit bis 3 Uhr nachmittags, dazwischen Frühstückspause und Mittagessen. Davor und danach helfen die meisten Schüler, wie die 10 jährige Clare, den Eltern bei der Farmarbeit:

    "Dad züchtet Schafe und Rinder. Wir helfen bei der Versorgung der Schafe und manchmal beim Auftrieb der Rinder. Mal mach ich das mit meinem Pferd, manchmal mit dem Motorrad. Ich reite aber lieber."

    Einmal pro Halbjahr treffen sich die School of the Air Lehrer, Eltern und Schüler für ein paar intensive Unterrichtstage in Hay.

    "Wir bleiben dann alle in Hay und arbeiten mit den Lehrern, und machen Sport zusammen und schreiben Klassenarbeiten und Tests."

    " Assembly" in der School oft he Air in Hay. Alle Lehrerinnen sind dabei, alle Schüler und viele ihrer Eltern sind über Computer dazu geschaltet und singen, stehend, die australische Nationalhymne, wie es einmal die Woche alle australischen Schüler tun. Bei der wöchentlichen Assembly werden Preise verliehen – für besonders gute Leistungen in allen Fächern, Siege im Sport, Hilfsbereitschaft. Alle Schüler sehen die vor Stolz strahlenden Gewinner, ihre Preise und Urkunden werden vor den Kameras hochgehalten. Neueste Technik macht’s möglich.
    Trish McGufficke erinnert sich noch an die Zeit vor Internet und Webcams:

    "Ich war hier 2004, als sich alles geändert hat. Damals machten wir noch alles mit dem Funkgerät, man konnte nichts sehen. Nun haben wir interaktives Video und können die Kinder sehen."

    Das hätte sich die deutschstämmige Lehrerin Miss Adelaide Miethke nicht träumen lassen können, als sie 1946 auf die Idee kam, Kinder im spärlich besiedelten Outback über Funk zu unterrichten. Das dazu notwendige Funkgerät wurde vom Schüler mit Fahrradpedalen betrieben – eine Erfindung des ebenfalls deutschstämmigen Australiers Alfred Herrmann Traeger.