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Allergie als Schutz

Medizin. - Laufende Nasen durch Birkenpollen, Durchfall nach Nüssen, vielleicht sogar ein lebensbedrohlicher anaphylaktischer Schock nach einem Bienenstich. Bei allergischen Reaktionen läuft offenbar etwas schief im Immunsystem. Forscher an der Charité zeigen heute in der Zeitschrift "Immunity", dass die allergische Reaktion Mäuse vor Giften schützen kann.

Von Volkart Wildermuth | 25.10.2013
    Die Nase läuft, die Augen tränen, Professor Martin Metz vom Allergie-Centrum der Charité kennt das nur zu gut. Seit seinem sechsten Lebensjahr reagiert er allergisch auf Birkenpollen.

    "Das ist sicherlich eine fehlgeleitete Reaktion. Grundsätzlich gehen wir immer davon aus, dass die Natur sich Gedanken gemacht hat und dass eine Reaktion des Körpers ursprünglich irgendwie sinnvoll sein sollte."

    Anfang der 1990er-Jahre hat die Evolutionsbiologin Margie Profet Allergien mit der Toxin-Hypothese erklärt. Danach sollen tränende Augen, Hustenattacken oder Durchfälle eigentlich Giftstoffe aus dem Körper entfernen. Das klingt plausibel, Martin Metz suchte aber nach experimentellen Beweisen.

    "Wir hatten früher schon einmal gezeigt, dass Schlangengifte aber auch Bienengifte kaputt gemacht werden können durch Enzyme aus den Allergiezellen."

    Offenbar werden Gifte nicht nur entfernt, sondern zum Teil auch vor Ort zerstört. Aus Sicht der Toxin-Hypothese der Allergie ist aber entscheidend, ob ein erster Kontakt mit einem Gift den Körper tatsächlich effektiv auf künftige Probleme vorbereitet. Dieser Frage ist Martin Metz nachgegangen, indem er Mäusen Bienengift unter die Haut spritze.

    "Es kommt zu einer unmittelbaren Reaktion, zu einer Rötung. Diese Allergiezellen, die setzen ihre Inhaltsstoffe frei, wie Histamin, und das macht Juckreiz, so wir das auch alle kennen, und je höher die Dosis ist, desto ausgeprägter ist auch diese Reaktion."

    Neben der akuten Reaktion führt ein Stich auch zu einer längerfristigen Aktivierung des Immunsystems über die Allergieantikörper IgE.

    "Der einmalige Stich einer Biene sozusagen führt dazu, dass das Immunsystem bestimmte Antikörper produziert. Und zwar der Klasse IgE. Und diese IgE-Produktion konnte wir dann auch in den Mäusen nachweisen, das heißt sie sind sensibilisiert gegen das Bienengift."

    Das heißt beim nächsten Stich erfolgt die Reaktion, die Schwellung und Rötung und der Juckreiz, schneller und stärker.

    "Überraschenderweise ist das für die Mäuse von Vorteil."

    Das zeigte sich, als Marin Metz den Mäusen drei Wochen später erneut Bienengift unter die Haut spritze, diesmal die Menge von sechs Stichen, für die kleinen Nager potentiell tödlich. Doch die Mäuse waren durch den ersten Kontakt mit dem Bienengift vorbereitet.

    "Das heißt, es gibt noch mehr Aktivierung bei einer zweiten Gabe, das ist aber von Vorteil, weil mehr an Enzymen ausgeschüttet wird, die das Gift kaputt machen und die Maus kann überleben."

    Es stimmt also wirklich: die allergische Reaktion stärkt den Körper gegenüber Giften, mit denen er häufiger in Kontakt kommt. Imker zu Beispiel haben in der warmen Jahreszeit erhöhte IgE Spiegel. Und auch ein Schlangenbiss, wenn er denn nicht tödlich ist, aktiviert das Allergiesystem. Damit wird das evolutionäre Szenario der Toxin-Hypothese untermauert. Eine Erkenntnis, die sich auch praktisch anwenden lässt. Martin Metz und seine Kollegen kennen inzwischen die Enzyme, die die Gifte zerstören.

    "Da sind wir auch gerade dabei, diese Substanzen so zu entwickeln, dass wir nachdem ein Schlangenbiss erfolgt ist, dass wir dann diese Substanzen anwenden können im Menschen. Und das könnte tatsächlich schützend sein."

    Soviel zur positiven Seite der allergischen Reaktion auf Gifte. In seltenen Fällen entwickeln Menschen aber nach einem Bienenstich keine erhöhte Toleranz, sondern im Gegenteil eine lebensgefährliche Überreaktion. Metz:

    "Da ist das völlig aus dem Ruder gelaufen. Das kann dazu führen, dass man innerhalb von Minuten im Koma am Boden liegt, also, das ist wirklich fatal. Das passiert zum Glück relativ selten. Aber das scheint die andere Seite der Medaille zu sein, die man sich damit erkauft, mit diesem Schutz."

    Derzeit sieht es so aus, als ob vor allem die Gene entscheiden, ob Menschen dazu neigen, diese anaphylaktische Reaktion auf Bienengift oder auch bestimmte Lebensmittel zu entwickeln. Und auch, ob sie, wie Martin Metz, harmlose Birkenpollen wie ein gefährliches Gift behandeln, das mit Niesen und Tränen schnellstmöglich entfernt werden muss.