Der Roman ist ein Panoptikum von tragischen und grotesken Ereignissen: Ein "Danse macabre" am Vorabend des ersten Weltkriegs, ein Tanz am Rande des Abgrunds, der dem Autor symptomatisch erscheint für das von Anarchie, Faschismus und Krieg gezeichnete 20. Jahrhundert.
Zu Ehren des 8 O.Geburtstages des Autors ist soeben der 1959 erschienene Roman "Alles andere als ein Held" neu aufgelegt worden. Und da der Roman stark autobiographisch gefärbt ist, spielt die Musik auch hier eine nicht unwesentliche Rolle. Rudolf Lorenzen war bis zu seinem Schlaganfall im vorigen Jahr ein leidenschaftlicher Tänzer, und Tanzmusik ist bis heute sein Lebenselixier.
Das fing an mit der Tanzstunde, als ich zum ersten Mal ein freieres Leben sah, wenn es auch immer nur Unterhaltungsmusik und Unterhaltungstänze waren, so war es das erste freie, künstlerische, was mir begegnet ist, ich hatte ja keine Beziehung zur Literatur damals, und zur Kunst auch nicht, im 3. Reich war ja nichts, und fing das mit der Tanzstunde kurz vor Beginn des Krieges an, 38, und das war eine Art Befreiung.
Wie im "Cake Walk" wird auch in "Alles andere als ein Held" Geschichte gewissermaßen auf einem Nebenschauplatz aufgerollt. Der Autor beschreibt seine Erfahrungen aus den 30er Jahren, der Kriegs- und Nachkriegszeit in realistischer Weise, wobei groteske, tragikomische und satirische Untertöne nicht zu überhören sind.
Im Zentrum steht Robert Mohwinkel, ein ruhiger Zeitgenosse mit angenehmem Wesen und ausgeprägtem Untertanengeist, pflichtbewusst und unscheinbar, mit der dem Duchschnittsbürger angeborenen Hoffnung auf ein bisschen Glück und Wohlbehagen und einer für seine Generation exemplarischen Biographie: Schule, Lehrzeit, Tanzstunde, Hitlerjugend, Arbeitsdienst, Krieg, Gefangenschaft. Nach der Rückkehr aus dem Krieg, den er als Funker an der Ostfront absolviert, in den zerstörte Heimatstadt kommt er in demselben Schiffsmaklerbüro unter, in dem er vor dem Krieg arbeitete. Aber die Zeiten haben sich geändert, und mit Anständigkeit und Ehrlichkeit allein ist jetzt, in der Blütezeit von Schmuggel und Schwarzhandel, nicht gut voranzukommen. Mohwinkel kündigt und geht nach Frankreich, zunächst nach Bordeaux, dann nach Marseiile, wo er als Hafenarbeiter hart malocht, bis er sich entschließt, sein Glück auf krumme Tour etwas zu korrigieren. Als "gemachter Mann", kehrt er schließlich ins Wirtschaftswunderland zurück und läßt sich als Reeder in Lübeck nieder, zum Erstaunen seiner Eltern, die, autoritätshörig und duckmäuserisch wie viele ihrer Generation, ihm eine solche Karriere nie zugetraut hätten. Wie läßt sich ein solch durchschnittliches, unspektakuläres und letztendlich farbloses Leben, in dem es weder Höhen noch Tiefen gibt, keine dramatischen Zuspitzungen, keine psychologischen Konflikte oder politischen Überzeugungen, für die zu kämpfen sich lohnte, in Romanform bringen, ohne farblos, fade oder langweilig zu werden? Zugegeben, der Autor ist der Gefahr der Langatmigkeit, zumindest für heutige Leser, für die die dargestellte Welt längst zur Geschichte geworden ist, nicht immer entgangen. Und doch liest sich Lorenzens Roman über weite Strecken wie ein Schelmenroman aus nicht allzu vergangener Zeit, und besticht durch seine Direktheit, seinen Mut zur Alltäglichkeit und seine, akademisch gesprochen, hohe Authentizität. Fragen übrigens, um die sich der Autor selbst wenig geschert hat.
Ich wollte eigentlich nur aufzeichnen, das reicht ja auch, wenn man etwas richtig, wahrhaftig aufzeichnet, dann reicht das im Grunde als Warnung, man muss nicht übertreiben. Ich sagte mir, ich bin Schriftsteller, das ist mein Beruf, und jetzt muss ich schreiben, genauso wie ich für die Zeitung damals geschrieben habe, und für den Rundfunk und das Fernsehen anfangs, so kannst du auch einen Roman schreiben, das kann man eben, das ist dein Brot.
Wie sein Protagonist ist auch Rudolf Lorenzen 1922 in Bremen geboren. Wie er ließ er sich zum Schiffsmakler ausbilden. Nach dem Krieg wurde er Werbegraphiker. 1956 ging er nach Berlin und heiratete die Berliner Feuilletonistin und Schriftstellerin Annemarie Weber, die er auf eine höchst unkonventionelle, man möchte fast sagen, eher in die heutige, chatroomerfahrene Gesellschaft passende Weise kennengelernt hatte. Er hatte ein Feuilleton von Annemarie Weber gelesen über die Schwierigkeiten berufstätiger Frauen, einen Partner zu finden, und daraufhin Kontakt zu ihr aufgenommen. Verlobt, gesteht er lächelnd, hätten sie sich per Telefon. Annemarie Weber war es auch, die seinen schriftstellerischen Ehrgeiz anstachelte.
Es fing damit an, dass die Süddeutsche Zeitung einen Preis für eine Erzählung ausschrieb, und alle beteiligten sich, auch meine Frau, und sie sagte, du kannst dich doch auch beteiligen, ich sagte, ich kann doch nicht.... ich habe doch gar kein Thema und bin kein arrivierter Schriftsteller, ich sag, was soll ich denn da schreiben, sagt sie, dann schreib doch mal deine Lehrzeit auf, was du so erlebt hast in der .Lehrzeit, und da kriegte ich den ersten Preis, weil das die erste Geschichte aus der Arbeitswelt war...
Aber die fünfziger Jahre war nicht die Zeit, in der Literatur aus der Arbeitswelt hätte reussieren können. Dem auf der Basis dieser Erzählung entstandenen Roman, der 1959 erschien, war, obwohl er positiv rezensiert wurde.Jivenig Erfolg beschieden. Er hat wohl, so Lorenzen heute aus der Distanz von fast fünfzig Jahren, sowohl literarisch als auch politisch, nicht in die Zeit gepaßt. Der literarische Geschmack wurde weitgehend von der Gruppe 47 geprägt und orientierte sich an experimentellen Erzählformen. Realistisches Erzählen galt als epigonal. Zudem stand Robert Mohwinkel von Anfang an im Schatten Otto Matzeraths aus Günter Grass Roman "Die Blechtrommel", der imselben Jahr wie "Alles andere als ein Held" erschienen war.
"Die Banalität als Kunstmittel" überschrieb Friedrich Siebürg, damals Feuilletonchef der FAZ, seine Rezension, in der er die Fähigkeit des Autors hervorhebt, "diesen Ton trister Teilnahmslosigkeit" durchgehalten und dieses Leben "ohne Höhepunkte und Explosionen" beeindruckend geschildert zu haben. Und Sebastian Haffner lobt den Roman als "ein Prachtexemplar einer Gattung, die angeblich" aussterbe, und notiert: "Ja, Ja, so ist es! Ruft man dauernd aus, genauso! Schauderhaft! Wunderbar!" Es war aber auch die pazifistische Attitüde des Romans, die nicht ins politische Klima der jungen Bundesrepublik gepasst hat, die gerade die Wehrpflicht wiedereingeführt und wenig Sinn für Antihelden vom Schlage eines Robert Mohwinkel entwickelt hatte. Denn man kann wohl sagen, dass es sich bei dem Roman auch ohne erhobenen Zeigefinger durchaus um einen veritablen Antikriegs-roman handelt. Süffisant subversiv äußert sich der Autor gegen den Krieg und führt das Bild des Helden ad absurdum.
Und zwar nicht nur gegen den Krieg, sondern gegen das Militärische überhaupt, dass der Mensch derart erniedrigt wird, etwas zu tun, was er gar nicht will. Man kann ja ganz scharf sogar sagen, im Helden gibt es drei Auszeichnungen, der unterste ist, so wenig wie möglich zu gehorchen, das zweite ist zu desertieren, und das dritte das schwerste ist, eine Meuterei anzustiften, das ist sozusagen das Ritterkreuz unter den Helden......Das wirft man sich heute vor, dass man zu wenig getan hat.
Aber es ist nicht nur seine pazifistische Grundhaltung, die den Roman in Zeiten neuer kriegerischer Auseinandersetzungen eine brisante Aktualität zukommen lässt. Lorenzen versteht es auch, aus der Unauffälligkeit und Mediokrität seines Helden, der keiner ist, Funke zu schlagen: Realistisch, witzig und temperamentvoll, in heiteraufgelockerter Sprache und mit großer Plastizität bringt er nicht nur seinen Protagonisten, sondern auch die Zeit zum Schillern, auch wenn da kein Tanz auf dem Vulkan stattfindet.