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Alles andere als ein Taugenichts

Joseph von Eichendorff, bekannt durch sein Werk "Aus dem Leben eines Taugenichts", konnte nach abgeschlossenem Studium nicht sofort dem Drang nach der Dichtkunst nachgehen. Doch neben seiner Zeit im preußischen Staatsdienst war er stets auf der Suche nach dem Zauberwort seines eigenen Lebens. Dabei entstanden bekannte und beliebte Bücher und Gedichttitel wie "Ahnung und Gegenwart" oder "Abendständchen".

Von Christian Linder | 26.11.2007
    Unter den Büchern, die man früher in der Schule lesen musste, gehörte "Aus dem Leben eines Taugenichts" von Joseph von Eichendorff zu den wenigen, die man sogar gerne gelesen hat. Man hatte nicht den Eindruck, sogenannte Bildung aufzunehmen, sondern fühlte sich hinaus gelockt in die Welt. Der alte Traum von Reisen und Wegsein.
    "Das Rad an meines Vaters Mühle grauste und rauschte schon wieder recht lustig, der Schnee tröpfelte emsig vom Dache, die Sperlinge zwitscherten und tummelten sich dazwischen; ich saß auf der Türschwelle und wischte mir den Schlaf aus den Augen; mir war so recht wohl in dem warmen Sonnenscheine. Da trat der Vater aus dem Haus; er hatte schon seit Tagesanbruch in der Mühle rumort und die Schlafmütze schief auf dem Kopfe, der sagte zu mir: Du Taugenichts! Da sonnst du dich schon wieder und dehnst und reckst dir die Knochen müde und lässt mich alle Arbeit allein tun. Ich kann dich hier nicht länger füttern. Der Frühling ist vor der Tür, geh auch einmal hinaus in die Welt und erwirb dir selber dein Brot. – Nun, sagte ich, wenn ich ein Taugenichts bin, so ists gut, so will ich in die Welt gehen und mein Glück machen."

    So nimmt der Taugenichts seine Geige und reist, ständig verliebt in die Liebe, spielend und singend durch die Welt.

    "Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
    Den schickt er in die weite Welt,
    Dem will er seine Wunder weisen
    In Berg und Wald und Strom und Feld."

    "Aus dem Leben eines Taugenichts" ist ein mit leichtem Gepäck unternommener Spaziergang durch die Welt und erzählt vom Spiel des Lebens und seinen Geheimnissen. Das Thema lautet, mit einem anderen Romantitel Eichendorffs: "Ahnung und Gegenwart". Oder, wie Eichendorff in einem seiner berühmtesten Gedichte notierte:

    "Schläft ein Lied in allen Dingen,
    Die da träumen fort und fort,
    Und die Welt hebt an zu singen,
    Triffst Du nur das Zauberwort."

    Das klingt spielerisch leicht, aber das Zauberwort zu finden, ist natürlich harte Arbeit, und harte Arbeit war das Schreiben auch für Joseph von Eichendorff. Geboren in einer katholischen Landadelfamilie als Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff am 10. März 1788 auf Schloss Lubowitz bei Ratibor im polnisch-mährischen Grenzgebiet Oberschlesiens, ging Eichendorff in Breslau aufs Gymnasium und studierte später Jura in Halle und Heidelberg. In Heidelberg lernte er Clemens Brentano und Achim von Arnim kennen und wurde von deren "Romantik" so heftig infiziert, dass er auf die Suche nach dem Zauberwort seines eigenen Lebens ging. Zwar konnte er nie vom Schreiben leben, und da auch das elterliche Gut in Schlesien kein ausreichendes Einkommen sicherte – es ging später wegen Überschuldung sogar verloren –, musste Eichendorff sein Auskommen für sich und die Familie im preußischen Staatsdienst erwerben, zunächst in Königsberg, dann in Berlin, wo er es in verschiedenen Ministerien zum Geheimen Regierungsrat brachte.

    Quasi nebenbei entstand ein umfangreiches Werk, von heute aus gesehen, rückblickend einer der Höhepunkte und zugleich Ausklang der deutschen Romantik. Neben "Aus dem Leben eines Taugenichts" und "Ahnung und Gegenwart" sind vor allem viele Gedichte Eichendorffs Allgemeingut geworden, als Lieder oft vertont und gesungen. Mit leichter Hand konzipierte "Abendständchen", wie einer der berühmtesten Gedichttitel heißt, Versuche, die flüchtigen Augenblicke festzuhalten und Erinnerungen zu "verdichten".

    "Lindes Rauschen in den Wipfeln;
    Vöglein, die ihr fernab fliegt,
    Bronnen von den stillen Gipfeln,
    Sagt, wo meine Heimat liegt?

    Heute im Traum sah ich sie wieder,
    Und von allen Bergen ging
    Solches Grüßen zu mir nieder,
    Dass ich an zu weinen fing.

    Ach, hier auf den fremden Gipfeln:
    Menschen, Quellen, Fels und Baum,
    Wirres Rauschen in den Wipfeln, -
    Alles ist mir wie ein Traum."

    Die Welt als Labyrinth, in dem sich man verlaufen und verirren kann, aber am Ende wird man erlöst durch das Zauberwort, das aus dem Labyrinth herausführt – und man findet sich wieder in einer offenen Landschaft, auf poetische Weise "schön" verklärt. Wunderbare Ausblicke.

    "Die fernen Heimathöhen,
    Das stille, hohe Haus,
    Der Berg, von dem ich gesehen
    Jeden Frühling ins Land hinaus,
    Mutter, Freunde und Brüder,
    An die ich so oft gedacht
    Es grüßt mich alles wieder
    in stiller Mondesnacht."

    Auch der Taugenichts findet auf seiner Lebensreise nach allen Zweifeln und Qualen natürlich Liebe und Glück. Das Buch endet mit einem stillen Bild – vom fernen Schloss fliegen Leuchtkugeln durch die nächtlichen Gärten und man hört aus der Ferne das leise Rauschen der Donau – "und es war alles, alles gut!" behauptet der berühmte Schlusssatz. Ob am Ende für einen schwärmerischen Geist wie den Taugenichts wirklich alles und für immer gut sein kann, ist natürlich zu bezweifeln. Es handelt sich wahrscheinlich um einen letzten romantischen Wunschtraum. Dieser Traum aber hat überlebt und nach Eichendorffs Tod ein gewaltiges Echo gefunden.

    Zu Lebzeiten war Eichendorff ein zwar bekannter Autor, der auch mit vielen Zeitgenossen verkehrte, neben Brentano und Arnim mit Tieck, Kleist, E. T. A. Hoffmann und den Schlegels sowie mit Robert und Clara Schumann, aber in den letzten Lebensjahren hatte er sich derart in die Anonymität zurückgezogen, dass Bismarck 1851 in einem Brief sich wunderte: "Weißt Du, dass der Mensch noch lebt? Wohnt hier im Kadettenkorps." Da hatte Eichendorff das poetische Schreiben längst aufgegeben und äußerte sich gelegentlich nur noch publizistisch. 1855 der völlige Rückzug und Übersiedlung mit seiner Frau zur Tochter nach Neiße in Oberschlesien. Kurz darauf der Tod seiner Frau, und da wusste Eichendorff, dass auch für ihn sein großes Lebensthema "Ahnung und Gegenwart" abgeschlossen war. Am 26. November 1857 ist Joseph von Eichendorff im Alter von 69 Jahren in Neiße gestorben und dort auf dem Friedhof St. Jerusalem begraben worden.