Dienstag, 07. Mai 2024

Archiv


Alles andere als traumhaft

Was schon in den Siebzigern mit der TV-Kultserie "Quincy" begann, ist mit "CSI" nun endgültig beim Massenpublikum angekommen: Die neuen Krimi-Helden sind keine Polizisten mehr, sondern attraktive Gerichtsmediziner, die ebenso souverän eine Leiche sezieren wie auf Mörderjagd gehen. Im echten Leben müssen angehende Gerichtsmediziner in Deutschland aber erst einmal ein klassisches Medizinstudium absolvieren.

Vion Tina Hüttl | 18.07.2007
    Der Tatort, nachdem die Spurensicherung schon da war
    Der Tatort, nachdem die Spurensicherung schon da war (Stock.XCHNG / Nate Nolting)
    "Wir haben hier den unbekleideten Leichnam eines 62 Jahre alt gewordenen Mannes. Was auffällt an der Körperrückseite sind die spärlich ausgeprägten blau-violetten Leichenflecken, die auf kräftigen Fingerdruck nicht mehr wegdrückbar waren. Damit haben wir das erste sichere Todeszeichen überprüft. "

    Unterricht am Institut für Rechtsmedizin der Berliner Charité. Im Obduktionssaal drängeln sich 18 Medizinstudenten um einen silbernen Stahltisch, auf dem ein Toter aufgebahrt ist. Es riecht leicht süßlich trotz des starken Lüftungssystems. Gekonnt und ohne Ekel bewegen einige von ihnen die schon steifen Glieder des Mannes, sie müssen herauszufinden, woran er gestorben ist.

    Es ist ihre letzte Übung vor dem Examen in Rechtsmedizin. Die systematische Leichenschau von Kopf bis Fuß gehört zum praktischen Prüfungsteil. Die Dozentin Saskia Guddat, eine angehende Fachärztin der Rechtsmedizin, macht die Studenten auf die Verbrennungen am Leichnam aufmerksam.

    "Also der Superermittler von CSI könnte jetzt genau sagen, was für eine Flüssigkeit da über den Körper gelaufen ist, weil der irgendeinen Abstrich oder sonst was machen würde. Gut, (...) es ist wahrscheinlich kochendes Wasser gewesen. (Lachen...) "

    Seit Krimi-Serien wie Crime Scene Investigation, kurz CSI , Post Mortem und der letzte Zeuge über alle Fernsehkanäle flimmern, sind Leichenbeschauer bei Millionen von Menschen populär. Anders kann sich Markus Rothschild, der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, die Bewerberflut an den 30 forensischen Instituten in Deutschland nicht erklären:

    "Wir haben unter der Vielzahl von Bewerbungen ein Drittel wirklich ernst zunehmende Bewerbungen. Wir haben ein Drittel von Bewerbungen, die kommen zum Teil von Schülern, per Email, beginnen mit: Hallo Leute, ich wollte mal Rechtsmediziner werden. Und dann gibt es Bewerbungen von Menschen, die einfach sagen: Ich arbeite als technischer Zeichner oder ich arbeite als Krankenschwester (...): Ich finde den Beruf spannend, ich habe jetzt darüber erfahren und ich möchte gerne mal wissen, wie man Rechtsmediziner wird."

    Was die wenigsten Krimifans wissen: Die Gerichtsmedizin ist keine Abteilung von Polizei oder Innenministerium, sondern an der Universität angesiedelt. Wer Leichen auf ihre Todesursache hin untersuchen will, braucht zuerst einmal ein abgeschlossenes Medizinstudium. Anschließend folgt eine fünfjährige Facharztausbildung zum Rechtsmediziner. Erst diese dürfen im Auftrag von Polizei und Justiz Gutachten erstellen.

    Die meisten Bewerber schreckt dies ab. Aber auch für die meisten Medizinstudenten hier am Sektionstisch, die in diesem Semester die Grundlagen der Leichenkunde, DNA-Analyse und Toxologie pauken mussten, ist die Rechtsmedizin eher Pflicht als Leidenschaft.

    "Ich will Chirurg werden. Lieber was mit Lebenden, Blut ist auch nicht schlimm. Aber so tote kalte Menschen und dann riecht das immer noch so ein bisschen komisch, das ist nichts für mich."

    Statt der Leichenschauprüfung würde der Medizinstudenten Konrad von Kottwitz lieber drei andere absolvieren. Nicht ganz so schlimm findet dagegen sein Kommilitone Gunnar Waterstraat die Toten - als einziger der 18 Studenten denkt er daran, ein mehrwöchiges Praktikum, die so genannte Famulatur, in der Rechtsmedizin zu machen:

    "Ich finde es sehr interessant und könnte mir auch vorstellen, ein Praktikum zu machen. Aber als richtigen Beruf, nein. Also, nicht für ein ganzes Leben."

    Trotz CSI, Post Mortem und Co: Vom Modefach oder gar Traumberuf Gerichtsmediziner, wie die Medien bereits titelten, findet sich bei den Medizinstudenten keine Spur.

    Und auch aus einem anderen Grund ist der Beruf des Gerichtsmediziners alles andere als traumhaft, weiß Michael Tsokos, der das rechtsmedizinische Institut an der Berliner Charité leitet.

    "Für gut ausgebildete Fachärzte von Universitätsinstituten gibt es hier und da Stellen, aber insgesamt ist die Berufsperspektive und Zukunftsaussicht für den Beruf Rechtsmediziner oder Rechtsmedizinerin eher schlecht. "

    Schuld daran sind die Sparzwänge an den Universitäten. In Berlin wurden bereits zwei Institute zu einem zusammengelegt, dabei viele Stellen gekürzt. Gänzlich abgewickelt ist auch das rechtsmedizinische Institut in Aachen, für die Übungen pendeln die Medizinstudenten mittlerweile zur 70 Kilometer entfernten Uni Köln.

    Auch in Bayern und Nordrhein-Westfahlen diskutiert man über die Schließung von Standorten. Darunter wird nicht nur die Qualität des studentischen Lehrbetriebs leiden, schlecht ausgebildete Ärzte verhindern langfristig auch die Aufklärung von Verbrechen, befürchtet die Rechtsmedizinerin Saskia Guddat:

    "Es gibt immer die Frage auf den Feiern, was ist für dich der perfekte Mord? (...) Und meine Antwort ist dann immer - das enttäuscht alle sehr: Der perfekte Mord ist der Mord, wo jemand auf die Leiche schaut (...) und sagt: Das ist eine natürliche Todesursache."