Freitag, 19. April 2024

Archiv


Alles auf Anfang mit Karin Beier

Es ist schwierig zu sagen, ob die neue Kölner Intendantin einen schweren oder einen leichten Stand hat. Eines ist klar: Das frustrierte Kölner Theaterpublikum erhofft sich von der neuen Intendantin Karin Beier geradezu die Erlösung von seinen bisherigen Theaterqualen. Die Spannung, wie ihr der Einstand nun gelingen würde, war groß. Nun gab es die ersten Premieren: Die "Nibelungen" von Friedrich Hebbel in der Regie von Karin Beier selbst und eine Uraufführung: "Fordlandia" von Tom Kühnel und Jürgen Kuttner.

Von Karin Fischer | 14.10.2007
    Zu Beginn sitzen Schauspieler und Musiker auf einem gestaffelten Sperrholzpodest in Frack und Fliege wie ein Palastorchester. Die Sage beginnt beim doppelten Hochzeitsversprechen: Für die Eroberung der isenländischen Königin Brunhild braucht König Gunther Siegfried, den Stärksten, und seine Tarnkappe. Dafür bekommt der Gunthers Schwester Kriemhild zur Frau. Die Atmosphäre hat bald etwas vom Ehekrieg unter Royals mit einem Hauch Kulturkampf. Michael Weber als König Gunther verkörpert die schwache Überheblichkeit des Westens, während Maja Schönes Brunhild wie fremdgesteuert ihrer Bestimmung als die "Andere" folgt. Karin Beier hat, wie schon 2004 für die Nibelungenfestspiele in Worms, die Frauenfiguren genau heraus gearbeitet. Nicht als Opfer, sondern als Motor einer "Recht- oder Rache"-Geschichte, die bei Beier das ethische Fundament einer fröhlich bunten und ziemlich globalisierten "Nibelungen"-Show bilden.

    Einiges ist ergreifend schön, beispielsweise die Choreographie der Musiker durch den gesamten Bühnen- und Zuschauerraum, wie überhaupt die Musik Atmosphäre und Rhythmus der Inszenierung präzise bestimmt. Vieles aber wirkt übertrieben signalhaft, wie die Trommler in Hannibal Lector-Masken oder König Gunther, wenn der den Kampf gegen die Hunnen als 'enduring freedom'-Reklame verkauft. Die Intendantin greift tief in die Trickkiste des Regietheaters, mit slapstickhaften Aktualisierungen à la 'desperate housewives'; mit "Wer hat dich du schöner Wald" vor dem Mord an Siegfried; mit einem Alphorn, das den Exotismus des Hunnenreichs musikalisch unterstreichen soll.

    Im zweiten Teil des Abends dominiert die Oberfläche. Josef Ostendorf thront in ganzer Leibesfülle golden zwischen riesigen Orchideenblüten, Etzel ist König im Reich der Mitte. Die Themen Ausländer, Globalisierung, Patriotismus werden so wirkungsvoll wie gefährlich durcheinander gerührt, dass man nur hoffen kann, es sei nicht ernst gemeint. Wirklich gefährlich ist ohnehin nur Kriemhild, die den Showdown beim Gastmahl mit Tintenfisch in Gang setzt. Patrycia Ziolkowskas Entwicklung von der filigranen Naiven zur blutigen Rächerin ist von altgriechischer Konsequenz - und einem Text geschuldet, der alle effekthascherischen Spirenzchen locker übersteht.

    Ziolkowska ist nur eine herausragende Figur in einem bis auf wenige Ausnahmen überzeugenden neuen Ensemble, allen voran Michael Wittenborn als Hagen Tronje. Er ist der kalte Geist in einer engstirnigen Gesellschaft, ein Polit-Macher mit Kassandra-Qualitäten.

    Karin Beiers "Nibelungen" sind ein fröhliches Halali, mit dem die bleierne Zeit am Schauspiel einstweilen vertrieben wird. Der Jubel nach der Premiere darf auch als hoffnungsfrohes Willkommen gedeutet werden.

    Der Empfang in Ruby Town ist weniger freundlich. Mit einer ID Card mit Fingerabdruck versehen, geht es zur Unterweisung durch das Militär in eine schäbigen Baracke. Denn Ruby Town ist das Wohngebiet einer kleinen Minderheit, das der Staat zu deren "Schutz" errichtet hat, und es gibt strenge Verhaltensregeln, etwa den Alkohol oder intime Kontakte betreffend. Die Einwohner leben wie Zigeuner seit Generationen in schlecht gezimmerten Hütten oder in Wohnwägen - und erzählen im Prinzip die gleiche Geschichte wie die Uniformierten: sie würden hier Essen bekommen und dürften Handel treiben, sonst hätten sie ja kein Auskommen. Nur traurig, dass keine Kinder mehr geboren werden. Dass das mit der "Strahlung" zusammen hängen könnte, die hier sehr hoch ist, das fragen sie sich gar nicht. Lieber beten sie zu Martha Rubin, die krank in einer Kapelle sitzt und verehrt wird wie eine Heilige.

    Es geht hier nicht um Diktatur und Unterdrückung, nicht um schwarz oder weiß, sondern um kleinste Bedeutungsverschiebungen: Die Besucher, die sich bis zu 12 Stunden in der Museumshalle Kalk aufhalten dürfen, kommen mit beiden Seiten ins Gespräch, kriegen aber keine Antworten, die eine Parteinahme möglich machten. Und obwohl hier perfekt Theater gespielt wird, hat die Atmosphäre religiöser Inbrunst auf der einen, die von umsichtiger Strenge auf der anderen Seite große Wirkung. Die Installation der Künstlergruppe Signa, die auch schon in einem Hotel in Malmö zum Mitwohnen einlud, erforscht in der Tat einen Grenzbereich: den zwischen Wahrnehmung und Vorurteil in unserem eigenen Kopf.

    "Fordlandia" hat eine fast vergessene Kölner Streik-Geschichte zum Thema. Das Projekt von Tom Kühnel und Jürgen Kuttner gehört zu Karin Beiers Plan der lokalen Anbindung von Theater, die die Stadt zum Stoff macht. 1973 kehrten etwa 300 türkische Mitarbeiter der Fordwerke zu spät aus dem Heimaturlaub zurück und sollten entlassen werden. Es kam zu Solidarisierung unter den Türken ohne die deutschen Arbeiter und schließlich zum Streik, der gewaltsam beendet wurde. Die Geschichte ist aber nur Teil eines bunten Potpourris über Fordismus, Kapitalismus und das merkwürdige Leben der Ausländer in Deutschland. Die Dramaturgie selbst folgt dem Gesetz des Fließbands; Requisiten kommen an Bändern aufgehängt hereingefahren, alle paar Minuten wechselt die Szene, zwischen Doku-Fiction, Anatolienkitsch, Kölschen Wohnzimmern, Managementberatern oder einer Ford Mustang-Show mit Tanzmäuschen.

    Das zum Teil türkischstämmige Ensemble ist perfekt zweisprachig und kolossal witzig, doch der heimliche Star des Abends ist eine Puppe namens Henry Ford, die am wenigsten dafür kann, dass die Performance doch nach "Montagsproduktion" aussieht: viele gute Einfälle, aber wenig greift perfekt ineinander.

    Dennoch ist das Eröffnungswochenende des neuen Kölner Schauspiels ein Riesenerfolg. Die neue Intendantin hat mit einer vielversprechenden Truppe Mut zum Experiment gezeigt. Ein kleiner Schritt für sie; aber ein großer für das Theater in Köln.