Jukka setzt den Bohrer an. Ein kräftiges Mahlen, ein Knirschen, körniges Eis schiebt sich nach oben, als wäre ein arktischer Maulwurf am Wühlen. Als das Gerät durchbricht, schwappt Wasser aus dem Loch.
An der Leine seiner kurzen Plastikangel befestigt der Rentner ein rotes Fischlein aus Blei, rückt sich auf seinem kleinen Klappstuhl zurecht und lässt den Köder ins schwarze Wasser gleiten.
"Wir gehen auf Forelle, da brauchen wir keinen Naturköder. Die Leine ist jetzt unten auf dem Grund angekommen. Das merken wir, weil sie locker ist. Ich hol sie ein bisschen hoch, dass sie vom Boden weg ist. Und jetzt warten wir einfach ... immer nur eine leichte Auf- und Abbewegung mit der Angel - und irgendwann dann stürzt ein Fisch sich darauf."
Zu sehen ist nur das etwa zehn Zentimeter große Loch im Eis. Und wie bitte sehr, merkt man nun, dass da unten einer angebissen hat?
"Das spürst du ganz bestimmt. Bei einem schweren Fisch kann es dir sogar passieren, dass er die Angel ins Wasser reißt. So große holen wir dann mit dem Gaff heraus, einen Haken an einem Stiel. Es gibt Forellen in diesem See, Maränen, kleine Barsche und Rotaugen. Die Forellen sind gezüchtet und wurden eingesetzt."
Plötzlich ein kräftiges Zucken, das Plastik biegt sich, Jukka kurbelt und holt dann die Leine mit der Hand ein. Ein prächtiger Fisch mit rotgoldenen Punkten kommt in Sicht und glitscht durch das glasige Rund aufs Eis.
"Eine Regenbogenforelle. 45 Zentimeter lang, ungefähr ein Kilo. Die wurden hier eingesetzt - wie viele davon, weiß allein der Pächter."
Eisangeln ist ein zutiefst skandinavisches Vergnügen, und das Saimaa-Seengebiet im Osten Finnlands ist die ideale Region, um es kennenzulernen. Rund 7000 Seen verteilen sich rund um Mikkeli und Saavonlinna, auf einer Fläche, die 200 Kilometer von Ost nach West, und rund 220 Kilometer von Nord nach Süd reicht. Im Sommer erinnert das Gebiet von oben an ein feingemustertes Pantherfell in Grün und Blau. Im Winter ist es ein kleinteiliges Schwarz-Weiß-Puzzle aus Wald und Eis - und ein Wunderland für jeden Schneeliebhaber, der sich nicht unbedingt für Skifahren begeistern kann.
In der Küche des Gutshauses Kekkolankartano bei Mikkeli zeigt der ebenso wortkarge wie schüchterne junge Koch Teemu Kaijanen, wie er den Fisch zu einem Leckerbissen verfeinert, der geradezu köstlich duftet:
"Man wäscht und trocknet die frischgefangene Forelle, nimmt sie aus, legt den Rogen zur Seite, filetiert sie und bestreut sie mit Salz, Pfeffer, Zucker und Dill. Dann legt man sie in den Ofen und räuchert sie zehn Minuten über Erlenholzspänen."
Das Gutshaus Kekkolankartano hat eine lange Geschichte. Schon 1545 stand ein Vorgängerhaus hier am See. 1920 bauten der Kaufmann Esa Moinonen und seine Frau Elsa das heutige geräumige Anwesen. Wie ein Dorfhändler damals zu soviel Geld kam, kann Anna Sauli, die heutige Besitzerin, auch nicht sagen.
"Ich weiß nicht genau, womit Esa in St. Petersburg handelte. Wahrscheinlich brachte er Holz dort hin, hier in der Gegend gab es viele Sägewerke. Vielleicht kaufte er in St. Petersburg auch Möbel und handelte dann damit hier in Finnland."
Offenbar aber warfen seine Russland-Geschäfte genug ab, um einen, man muss schon sagen: Holzpalast mit 900 Quadratmetern Wohnfläche und einer reich verzierten Fassade hinzustellen.
"Unten ist ein Kaminzimmer, das früher Volksstube hieß. Da durfte auch das Gesinde hinein, und die einfachen Bauern vom Dorf - die oberen Stockwerke waren für sie tabu. Auf der Etage hier ist ein großer Saal, ein Esszimmer und zwei kleiner Zimmer - das rote Zimmer und das goldene Zimmer. Dazu eine Küche, Büros und Privaträume. Oben gibt es 14 Schlafzimmer, von denen jedes in ganz eigenem Stil und mit unterschiedlichen Möbeln eingerichtet ist."
Draußen vor dem Fenster lockt das unberührte Weiß. Dumpf knarrt es unter den Schneeschuhen, wenn die Wanderer gemächlich Schritt vor Schritt setzen. Immer wieder verharren sie, um die klare, kalte Luft einzusaugen: Bio-Nahrung für die Lungen. Ringsum erhebt sich ein Wald aus weißschraffierten Kiefern und Schüttel-mich-bloß-nicht-Birken. Darüber thront eine freundliche Sonne am Himmel, die den Schnee fast schmerzhaft hell erstrahlen lässt. Weiterstapfen, immer weiter - Schneeschuhlaufen, das ist das Glück der Stille und die Freude, eine Landschaft zu erwandern, die in diesem Winter offenbar noch niemand betreten hat. Manchmal stiebt es zuckrig weiß von oben, manchmal keucht von fern ein Zug, manchmal huscht ein kleiner Vogel von Ast zu Ast.
Da schmeckt hinterher ein kräftiges Mittagessen. Kenkävero, das ehemalige Pfarrhaus von Mikkeli, ist heute eine Begegnungsstätte mit Restaurant. Das Büffet ist bekannt für die große Auswahl an finnischen Spezialitäten, sagt die Leiterin:
"Wir haben Hering, geräucherten Lachs und Hecht aus dem eigenen See... Da sind Hähnchen in scharfer Soße... Dann gibt es Fleischgelee, nach Art des Pfarrhauses, und verschiedene Salate dazu. Bei den warmen Gerichten haben wir Rentier-Geschnetzeltes mit einem Kartoffel-Lauch-Püree. Und schließlich Muikku, geräucherte Maränen in Sahne, und natürlich sind immer verschiedene Gemüse dabei."
Auch der traditionelle Nachtisch kann sich sehen lassen.
"Er heißt der "Notvorrat des Pfarrhauses: Man nimmt dazu Hefeteig, Marmelade und Sahne, backt alles in den Ofen und isst es mit Vanillesoße und Kaffee."
Es ist nicht alles nur Stille und Einsamkeit und unberührte Natur im Saima-Gebiet. Sie können auch anders, die Finnen. Ein Unternehmen schickt seine Gäste in alten Jeeps auf abenteuerlichem Kurs durch den Wald. Da krachen Achsen, da schlägt das Steuer, da rutschen Reifen trotz Ketten unaufhaltsam der nächsten Schneewehe entgegen - jetzt zeigt sich, wer etwas anzufangen weiß mit dem sensiblen Spiel von Kupplung, Schaltung und Gas. Nein, nachhaltig ist das bestimmt nicht, aber es schlägt in der Brust der Finnen eben nicht nur das Herz der naturverbundenen Schweiger, es fließt in ihren Adern auch das benzingetränkte Blut der Formel 1-Helden, der Raikkönen, Häkkinnen und Kinnunen.
Ein paar Kilometer weiter, am Rand des Linnansaari-Nationalparks steht ein großes, recht modernes Feriendorf. Auch hier wartet Besitzer Markus Heiskanen mit einer sehr alten Geschichte auf:
"Wir schreiben das Jahr 1658 und Ihr gehört zu den ersten Besuchern. Der schwedische König und der russische Zar trafen ein Abkommen, durch Finnland die sogenannte karelische Eisstraße zu bauen - man brauchte einfach eine bessere Verbindung, um Nachrichten schneller zu befördern. Die Eisstraße verlief über die zugefrorenen Seen, und alle 30 Kilometer richtete man eine Pferdestation ein und ein Gasthaus, wo Pferde und Menschen sich aufwärmen und satt werden konnten. Unser Familiensitz hier war eine dieser Zwischenstationen. Und ich halte schon in der zehnten Generation den Betrieb aufrecht."
Mit dem Motorschlitten geht es über den zugefrorenen See. Die Kufen poltern und klacken, vorbei fliegen die Schemen von Bäumen, die auf dunklen Erhebungen im Eis stehen. Wildnisführerin Nina Vaaksala trotzt am Lenker dem Fahrtwind, wie eine Erobererin im Bug ihres Bootes. Es ist klirrend kalt - bald wird es Zeit für eine Pause.
"Wir stehen jetzt mitten auf dem Peonselkä-See im Linnansaari-Nationalpark. Man sieht rundum viele kleine Inseln und links und rechts blinken Lichter. Das sind die Seezeichen, an denen sich die Schiffe im Sommer orientieren. Wir machen einen kurzen Halt - und rings um uns sieht man nur Himmel, Inseln und Schnee."
Drüben haben sie schon die Sauna angeheizt. Überall an den Seen schwitzen sich jetzt Finnen und Urlauber die Seele aus dem Leib und schütten immer wieder Wasser auf die Steine, bis der Dampf sich wie ein glühend heißes Handtuch über sie legt. Dann stürzen sie hinaus in die Dunkelheit und ins freigehackte Eisloch, schocken ihren erhitzten Körper und gönnen sich hinterher ein kaltes "Lapin Kulta"-Bier, um sich nur winterliches Schweigen, über sich das gestirnte finnische Firmament.
7000 Seen - und alle sind sie jetzt zugefroren. Da ist immer einer in der Nähe zum Schlittschuhlaufen. Es dauert ein paar Minuten, bis man seinen Rhythmus gefunden hat. Dann zählt nur noch das Schaben und Scharren der Kufen, das gleichmäßige, weiche Ausholen, unterbrochen von kräftigem Anschieben mit den Stöcken. Nicht allzu viele Läufer sind unterwegs, manche Spaziergänger schieben lieber ihren Tretschlitten. Weiß-grau liegt die weite Fläche, in der Ferne ragen die Schemen der Inseln auf, die jetzt keine sind.
Dies ist die Heimat einer ganz besonderen Tierart: Süßwasserrobben gibt es nur im Baikalsee - und hier, im Saimaa-Seen-Gebiet, wo etwa 260 von ihnen leben, erzählt Nina
"Normalerweise kommen Robben im Salzwasser vor. Auch die Saimaa-Robben lebten früher zusammen mit denen vom Baikalsee als eine Spezies im Meer. Aber als sich nach der letzten Eiszeit der Boden hob, blieb das Wasser hier als Seegebiet zurück. Dabei wurden die Robben vom Meer abgeschnitten und entwickelten sich zu einer ganz eigenen Art: Sie haben ein größeres Gehirn und größere Augen, die speziell an unser Wasser angepasst sind."
Zu Gesicht kriegt man sie freilich zu dieser Jahreszeit nicht.
"Nein, man kann sie jetzt nicht sehen. Es ist ja alles von Eis und Schnee bedeckt und die Robben leben in ihren Schneehöhlen, und sie fischen unter dem Eis. Sie haben jetzt Junge - da wollen wir sie nicht stören und halten uns möglichst weit von ihnen fern."
Auch Ninas spezieller Liebling kommt deshalb nicht zur Begrüßung
"Ja, ich habe eine Favoritin. Sie wiegt über 100 Kilo, aber sie ist sehr ruhig, sehr friedlich, sie hat keine Angst vor Menschen - wir können ziemlich nah an sie ran, und es macht ihr nichts aus."
Am Abend fährt der Pferdeschlitten vor. Man kuschelt sich, wie einst Doktor Schiwago, tief unter die Rentierfelle und schon lässt der Kutscher antraben. Schnee stiebt hoch, die Finger erstarren, die klirrende Kälte beißt sich im Gesicht fest. Man träumt sich weg - und irgendwann kommt wieder eines dieser ungewöhnlichen Herrenhäuser zwischen den dunklen Stämmen in Sicht. Aus der Fensterflucht fällt honigfarbenes Licht in die schwarzblaue finnische Nacht, darüber leuchten die Sterne - ach, ist das kitschig, ach ist das schön!
An der Leine seiner kurzen Plastikangel befestigt der Rentner ein rotes Fischlein aus Blei, rückt sich auf seinem kleinen Klappstuhl zurecht und lässt den Köder ins schwarze Wasser gleiten.
"Wir gehen auf Forelle, da brauchen wir keinen Naturköder. Die Leine ist jetzt unten auf dem Grund angekommen. Das merken wir, weil sie locker ist. Ich hol sie ein bisschen hoch, dass sie vom Boden weg ist. Und jetzt warten wir einfach ... immer nur eine leichte Auf- und Abbewegung mit der Angel - und irgendwann dann stürzt ein Fisch sich darauf."
Zu sehen ist nur das etwa zehn Zentimeter große Loch im Eis. Und wie bitte sehr, merkt man nun, dass da unten einer angebissen hat?
"Das spürst du ganz bestimmt. Bei einem schweren Fisch kann es dir sogar passieren, dass er die Angel ins Wasser reißt. So große holen wir dann mit dem Gaff heraus, einen Haken an einem Stiel. Es gibt Forellen in diesem See, Maränen, kleine Barsche und Rotaugen. Die Forellen sind gezüchtet und wurden eingesetzt."
Plötzlich ein kräftiges Zucken, das Plastik biegt sich, Jukka kurbelt und holt dann die Leine mit der Hand ein. Ein prächtiger Fisch mit rotgoldenen Punkten kommt in Sicht und glitscht durch das glasige Rund aufs Eis.
"Eine Regenbogenforelle. 45 Zentimeter lang, ungefähr ein Kilo. Die wurden hier eingesetzt - wie viele davon, weiß allein der Pächter."
Eisangeln ist ein zutiefst skandinavisches Vergnügen, und das Saimaa-Seengebiet im Osten Finnlands ist die ideale Region, um es kennenzulernen. Rund 7000 Seen verteilen sich rund um Mikkeli und Saavonlinna, auf einer Fläche, die 200 Kilometer von Ost nach West, und rund 220 Kilometer von Nord nach Süd reicht. Im Sommer erinnert das Gebiet von oben an ein feingemustertes Pantherfell in Grün und Blau. Im Winter ist es ein kleinteiliges Schwarz-Weiß-Puzzle aus Wald und Eis - und ein Wunderland für jeden Schneeliebhaber, der sich nicht unbedingt für Skifahren begeistern kann.
In der Küche des Gutshauses Kekkolankartano bei Mikkeli zeigt der ebenso wortkarge wie schüchterne junge Koch Teemu Kaijanen, wie er den Fisch zu einem Leckerbissen verfeinert, der geradezu köstlich duftet:
"Man wäscht und trocknet die frischgefangene Forelle, nimmt sie aus, legt den Rogen zur Seite, filetiert sie und bestreut sie mit Salz, Pfeffer, Zucker und Dill. Dann legt man sie in den Ofen und räuchert sie zehn Minuten über Erlenholzspänen."
Das Gutshaus Kekkolankartano hat eine lange Geschichte. Schon 1545 stand ein Vorgängerhaus hier am See. 1920 bauten der Kaufmann Esa Moinonen und seine Frau Elsa das heutige geräumige Anwesen. Wie ein Dorfhändler damals zu soviel Geld kam, kann Anna Sauli, die heutige Besitzerin, auch nicht sagen.
"Ich weiß nicht genau, womit Esa in St. Petersburg handelte. Wahrscheinlich brachte er Holz dort hin, hier in der Gegend gab es viele Sägewerke. Vielleicht kaufte er in St. Petersburg auch Möbel und handelte dann damit hier in Finnland."
Offenbar aber warfen seine Russland-Geschäfte genug ab, um einen, man muss schon sagen: Holzpalast mit 900 Quadratmetern Wohnfläche und einer reich verzierten Fassade hinzustellen.
"Unten ist ein Kaminzimmer, das früher Volksstube hieß. Da durfte auch das Gesinde hinein, und die einfachen Bauern vom Dorf - die oberen Stockwerke waren für sie tabu. Auf der Etage hier ist ein großer Saal, ein Esszimmer und zwei kleiner Zimmer - das rote Zimmer und das goldene Zimmer. Dazu eine Küche, Büros und Privaträume. Oben gibt es 14 Schlafzimmer, von denen jedes in ganz eigenem Stil und mit unterschiedlichen Möbeln eingerichtet ist."
Draußen vor dem Fenster lockt das unberührte Weiß. Dumpf knarrt es unter den Schneeschuhen, wenn die Wanderer gemächlich Schritt vor Schritt setzen. Immer wieder verharren sie, um die klare, kalte Luft einzusaugen: Bio-Nahrung für die Lungen. Ringsum erhebt sich ein Wald aus weißschraffierten Kiefern und Schüttel-mich-bloß-nicht-Birken. Darüber thront eine freundliche Sonne am Himmel, die den Schnee fast schmerzhaft hell erstrahlen lässt. Weiterstapfen, immer weiter - Schneeschuhlaufen, das ist das Glück der Stille und die Freude, eine Landschaft zu erwandern, die in diesem Winter offenbar noch niemand betreten hat. Manchmal stiebt es zuckrig weiß von oben, manchmal keucht von fern ein Zug, manchmal huscht ein kleiner Vogel von Ast zu Ast.
Da schmeckt hinterher ein kräftiges Mittagessen. Kenkävero, das ehemalige Pfarrhaus von Mikkeli, ist heute eine Begegnungsstätte mit Restaurant. Das Büffet ist bekannt für die große Auswahl an finnischen Spezialitäten, sagt die Leiterin:
"Wir haben Hering, geräucherten Lachs und Hecht aus dem eigenen See... Da sind Hähnchen in scharfer Soße... Dann gibt es Fleischgelee, nach Art des Pfarrhauses, und verschiedene Salate dazu. Bei den warmen Gerichten haben wir Rentier-Geschnetzeltes mit einem Kartoffel-Lauch-Püree. Und schließlich Muikku, geräucherte Maränen in Sahne, und natürlich sind immer verschiedene Gemüse dabei."
Auch der traditionelle Nachtisch kann sich sehen lassen.
"Er heißt der "Notvorrat des Pfarrhauses: Man nimmt dazu Hefeteig, Marmelade und Sahne, backt alles in den Ofen und isst es mit Vanillesoße und Kaffee."
Es ist nicht alles nur Stille und Einsamkeit und unberührte Natur im Saima-Gebiet. Sie können auch anders, die Finnen. Ein Unternehmen schickt seine Gäste in alten Jeeps auf abenteuerlichem Kurs durch den Wald. Da krachen Achsen, da schlägt das Steuer, da rutschen Reifen trotz Ketten unaufhaltsam der nächsten Schneewehe entgegen - jetzt zeigt sich, wer etwas anzufangen weiß mit dem sensiblen Spiel von Kupplung, Schaltung und Gas. Nein, nachhaltig ist das bestimmt nicht, aber es schlägt in der Brust der Finnen eben nicht nur das Herz der naturverbundenen Schweiger, es fließt in ihren Adern auch das benzingetränkte Blut der Formel 1-Helden, der Raikkönen, Häkkinnen und Kinnunen.
Ein paar Kilometer weiter, am Rand des Linnansaari-Nationalparks steht ein großes, recht modernes Feriendorf. Auch hier wartet Besitzer Markus Heiskanen mit einer sehr alten Geschichte auf:
"Wir schreiben das Jahr 1658 und Ihr gehört zu den ersten Besuchern. Der schwedische König und der russische Zar trafen ein Abkommen, durch Finnland die sogenannte karelische Eisstraße zu bauen - man brauchte einfach eine bessere Verbindung, um Nachrichten schneller zu befördern. Die Eisstraße verlief über die zugefrorenen Seen, und alle 30 Kilometer richtete man eine Pferdestation ein und ein Gasthaus, wo Pferde und Menschen sich aufwärmen und satt werden konnten. Unser Familiensitz hier war eine dieser Zwischenstationen. Und ich halte schon in der zehnten Generation den Betrieb aufrecht."
Mit dem Motorschlitten geht es über den zugefrorenen See. Die Kufen poltern und klacken, vorbei fliegen die Schemen von Bäumen, die auf dunklen Erhebungen im Eis stehen. Wildnisführerin Nina Vaaksala trotzt am Lenker dem Fahrtwind, wie eine Erobererin im Bug ihres Bootes. Es ist klirrend kalt - bald wird es Zeit für eine Pause.
"Wir stehen jetzt mitten auf dem Peonselkä-See im Linnansaari-Nationalpark. Man sieht rundum viele kleine Inseln und links und rechts blinken Lichter. Das sind die Seezeichen, an denen sich die Schiffe im Sommer orientieren. Wir machen einen kurzen Halt - und rings um uns sieht man nur Himmel, Inseln und Schnee."
Drüben haben sie schon die Sauna angeheizt. Überall an den Seen schwitzen sich jetzt Finnen und Urlauber die Seele aus dem Leib und schütten immer wieder Wasser auf die Steine, bis der Dampf sich wie ein glühend heißes Handtuch über sie legt. Dann stürzen sie hinaus in die Dunkelheit und ins freigehackte Eisloch, schocken ihren erhitzten Körper und gönnen sich hinterher ein kaltes "Lapin Kulta"-Bier, um sich nur winterliches Schweigen, über sich das gestirnte finnische Firmament.
7000 Seen - und alle sind sie jetzt zugefroren. Da ist immer einer in der Nähe zum Schlittschuhlaufen. Es dauert ein paar Minuten, bis man seinen Rhythmus gefunden hat. Dann zählt nur noch das Schaben und Scharren der Kufen, das gleichmäßige, weiche Ausholen, unterbrochen von kräftigem Anschieben mit den Stöcken. Nicht allzu viele Läufer sind unterwegs, manche Spaziergänger schieben lieber ihren Tretschlitten. Weiß-grau liegt die weite Fläche, in der Ferne ragen die Schemen der Inseln auf, die jetzt keine sind.
Dies ist die Heimat einer ganz besonderen Tierart: Süßwasserrobben gibt es nur im Baikalsee - und hier, im Saimaa-Seen-Gebiet, wo etwa 260 von ihnen leben, erzählt Nina
"Normalerweise kommen Robben im Salzwasser vor. Auch die Saimaa-Robben lebten früher zusammen mit denen vom Baikalsee als eine Spezies im Meer. Aber als sich nach der letzten Eiszeit der Boden hob, blieb das Wasser hier als Seegebiet zurück. Dabei wurden die Robben vom Meer abgeschnitten und entwickelten sich zu einer ganz eigenen Art: Sie haben ein größeres Gehirn und größere Augen, die speziell an unser Wasser angepasst sind."
Zu Gesicht kriegt man sie freilich zu dieser Jahreszeit nicht.
"Nein, man kann sie jetzt nicht sehen. Es ist ja alles von Eis und Schnee bedeckt und die Robben leben in ihren Schneehöhlen, und sie fischen unter dem Eis. Sie haben jetzt Junge - da wollen wir sie nicht stören und halten uns möglichst weit von ihnen fern."
Auch Ninas spezieller Liebling kommt deshalb nicht zur Begrüßung
"Ja, ich habe eine Favoritin. Sie wiegt über 100 Kilo, aber sie ist sehr ruhig, sehr friedlich, sie hat keine Angst vor Menschen - wir können ziemlich nah an sie ran, und es macht ihr nichts aus."
Am Abend fährt der Pferdeschlitten vor. Man kuschelt sich, wie einst Doktor Schiwago, tief unter die Rentierfelle und schon lässt der Kutscher antraben. Schnee stiebt hoch, die Finger erstarren, die klirrende Kälte beißt sich im Gesicht fest. Man träumt sich weg - und irgendwann kommt wieder eines dieser ungewöhnlichen Herrenhäuser zwischen den dunklen Stämmen in Sicht. Aus der Fensterflucht fällt honigfarbenes Licht in die schwarzblaue finnische Nacht, darüber leuchten die Sterne - ach, ist das kitschig, ach ist das schön!