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Alles dreht sich um die Scheibe

Bei Pallas in Diepholz werden mit Erfolg Schallplatten aus Vinyl produziert. Neben großen Plattenfirmen zählen auch die Techno- und Hip-Hop-Szene sowie Schützenvereine und Chöre zur Kundschaft der Firma.

Von Godehard Weyerer |
    Verkohlte Träger ragen in den Himmel, die weiß getünchten Innenwände, die noch stehen, sind rußgeschwärzt. Das Dach der 1500 Quadratmeter großen Halle ist eingestürzt.

    "Wir hatten in der Nacht zu Ostermontag ein verheerendes Feuer in der CD-Fertigung, die die gesamte Produktion vernichtet hat, wir uns aber entschlossen haben, das Werk wieder aufzubauen. Das wird jetzt die Aufgabe meines Sohnes sein."

    Um zwei Uhr nachts brach das Feuer aus. 200 Feuerehrleute rückten aus, konnten noch verhindern, dass die Flammen auf benachbarte Gebäude übergriffen. Auf zehn Millionen Euro beziffert Geschäftsführer Holger Neumann den Schaden:

    "Für mich war es mit Sicherheit genauso ein Schock, noch mehr für meinen Vater, der das damals aufgebaut hat, das war sein Lebenswerk gewesen, der jetzt von mir erst einmal in Zwangsurlaub geschickt wurde, damit er sich gesundheitlich erholt. Ich habe gesagt, wir sind die nächste Generation, wir sind jetzt am Zuge und wir müssen das wieder aufbauen. Da packen wir alle an und los geht's."

    Zu tun gibt es für die 140 Mitarbeiter genug – auch, weil drüben auf der anderen Straßenseite seit je und eh Schallplatten gepresst werden. Der Großvater von Holger Neumann gründete den Betrieb 1949. Damals waren es noch Schellackplatten, die die Firma im niedersächsischen Diepholz fertigte, ab 1960 dann Schallplatten:

    "Wir befinden uns jetzt hier in der Galvanik. Der Maschinenraum, in dem wir hier stehen, ist tatsächlich noch aus den 70er Jahren, richtig alte Technik. Wir haben schon überlegt nach dem Einzug der CD, was machen wir mit Vinyl. Wir haben gesagt, wir motten die Maschinen einfach ein, vielleicht kommt wieder der Peak, Vinyl machen zu können."

    Damals, Mitte der 80er-Jahre, als die CD die Schallplatte aus den Studios und Musikgeschäften verdrängte, gingen auch die Diepholzer mit der Zeit und bauten eine CD- und DVD-Produktion auf. Jetzt, nach dem das Feuer die Halle zerstört hat, zahlt sich aus, dass die Diepholzer der Schallplatte treu geblieben sind. Von den 140 Mitarbeitern sind 60 in der Vinyl-Fertigung beschäftigt:

    "Die ersten Anfragen kamen eigentlich mit der ersten Love-Parade in Berlin, wo du auf den Lkws die Platten brauchtest zum Scratchen, und da die anderen Werke nicht mehr gefertigt haben, kam die Anfrage zu uns. Und man kann fast sagen, ab dem Tag kamen mehr Anfragen fürs Vinyl wieder ran. Wir haben dann Hoffnung geschöpft."

    Die Musik, die das Studio oder der Kunde anliefert, wird auf eine Matrize gelegt und galvanisch bearbeitet. Ein Mitarbeiter arretiert die silberne Scheibe. Holger Neumann, Mitte 50, sind die Maschinen seit Kindertagen vertraut: Auf massiven Sockeln stehen sie in der Halle, im Boden verankert mit dicken Bolzen und Muttern, scheinbar unverrückbar und unverwüstlich leisten sie ihren Dienst.

    "Wir machen im Jahr vier Millionen, wobei wir mehr und mehr international fixiert sind. Es geht viel nach Amerika, in die skandinavischen Länder, nach Korea, Indien, Thailand. Wir wundern uns manchmal selber, woher wir die Anfragen kriegen für Vinyl-Produktion."

    Jede Platte besteht aus PVC, Polyvinylchlorid. In der Presserei wird die klebrige Masse unter hohem Dampfdruck zu Schallplatten gepresst. Die Maschinen laufen von sechs bis 23 Uhr. In zwei Schichten wird gearbeitet, jeden Tag werden 20.000 Platten hergestellt.

    "Wir sind jetzt im Herzstück der Firma, in der Presserei, wo die Vollautomaten stehen, egal ob 30 Zentimeter, egal welche Farbe und welches Gewicht. Das kann hier gemacht werden. Früher waren sie ja fast ausschließlich Schwarz, heute haben wir Acrylfarben. Wir fertigen hier gerade in Rot, weil der Kunde rot haben will. Man kann fast jeden Kundenwunsch erfüllen."

    Durchschnittlich zwei Euro kostet eine Scheibe – je nach Größe, Farbe und Dicke. Im Nebenraum steht ein Betonmischer, wie man ihn auf jeder Baustelle sieht. Hierin werden die Farben gemischt. Holger Neumann greift in eine Tonne mit gelbem und schwarzem Granulat, in einer zweiten ist eine rot-weiße Mischung. Alles wird manuell gemacht. Jede Farbmischung ist ein Unikat. Früher, zur Blütezeit der Schallplatte in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts, als die Musikscheiben noch schwarz waren, verließen doppelt so viele Schallplatten das Werksgelände. Heute ist es die Techno- und Hip-Hop-Szene die die Firma beliefert; zu den Kunden zählen ebenso der Schützenverein, der Chor, große Plattenfirmen wie Sony oder EMI, die ihre eigenen Schallplattenpresswerke längst geschlossen haben. Eine kleine, aber stabile Nische, betont Firmenchef Holger Neumann, der auf den warmen Klang einer direkten, analogen Abtastung der Musik durch die Nadel eines Plattenspielers nichts kommen lässt.

    "Die Schallplatte wird immer einen Kultstaus behalten, wenn ich heute eine Platte in die Hand nehme, dann habe ich ja wirklich was in der Hand, ob ich das große Cover nehme, wo ich vernünftig lesen kann. Wenn ich heute ein CD-Inbook nehme, muss ich eine Lupe nehmen, um lesen zu können, was draufsteht. Ich glaube, das ist wirklich ein Kultstatus, mal wieder einen tollen Tonträger in der Größe in der Hand zu haben."

    Holger Neumann geht hinüber ins Lager. In Hochregalen stapeln sich die Schallplatten und auch schon wieder CDs und DVDs:

    "Wir haben einen Partner in Gütersloh, der jetzt für uns die CD- und DVD-Produkte fertigt und verpackt, sodass wir den Kunden weiter beliefern können. Wir können mit der Verpackungshalle hier vor Ort wieder starten, weil die vom Brand verschont wurde, sodass wir nächste Woche die Kunden von hier aus beliefern können."

    Die Sachverständigen haben die Brandruinen begutachtet, die Versicherung springt ein, die Planungen für den Wiederaufbau laufen auf Hochtouren. Von Glück spricht Holger Neumann, dass das Feuer nicht die betagten Maschinen der Schallplattenpresserei zerstörte. Die hätten sich nämlich nicht mehr ersetzen lassen. 40 Prozent des Umsatzes in zweistelliger Millionenhöhe steuern die längst tot geglaubten Vinyl-Platten bei:

    "Es ist ein Boom, der da ist und noch anhält, keiner weiß, woher er kommt, wie lange er anhält. Es ist aber ein sehr interessanter und spannender Markt."

    Auf der Homepage der Firma und im Treppenhaus des Verwaltungsgebäudes steht in großen Lettern: Die Erde ist eine Scheibe. Soweit wird es dann aber doch nicht kommen.
    Bei Pallas in Diepholz werden alle Arten von Vinylplatten hergestellt. - NUR FIRMENPORTRÄT
    Nach einem Brand geht bei Pallas in Diepholz die Produktion weiter. (Pallas GmbH)
    Eine alte Schallplattenpresse der Firma Pallas - NUR FIRMENPORTRÄT
    Eine alte Schallplattenpresse. (Pallas GmbH)