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Alles eine Typfrage

Medizin. - Um die biologischen Alleskönner zielgerichtet einsetzen zu können, muss zunächst das Potenzial humaner Stammzellen identifiziert werden. Dazu entwickelten Forscher vom Zentrum für Integrative Psychiatrie an der Kieler Universitätsklinik ein Prüfsystem für Stammzellen.

Von Matthias Günther |
    Wissenschaftler finden immer neue Methoden zur Gewinnung von Stammzelllinien. Sie suchen vor allem pluripotente Stammzellen, also Alleskönner: Stammzellen die sich in jede gewünschte Körperzelle weiter entwickeln lassen. Ob Stammzellen tatsächlich pluripotent sind, wird bisher im Tierversuch festgestellt: Mäusen werden humane Stammzellen injiziert, Pathologen stellen dann später fest, welche Zellen sich daraus entwickeln. Für Dr. Franz-Josef Müller vom Zentrum für Integrative Psychiatrie in Kiel sind wochenlange Experimente mit Mäusen aber nicht nur ethisch fragwürdig – er hält sie auch für unpraktikabel, wenn es nicht mehr um Grundlagenforschung geht, sondern darum, Patienten mit Stammzellen zu therapieren.

    "Wenn man sich jetzt überlegt, dass jeder Mensch, der vielleicht einmal Stammzellen aus eigenem Gewebe präpariert bekommt, für jeden Menschen diese Versuche – und die sind nicht einfach – gemacht bekommt, würde praktisch jeder Patient, der eine Stammzelltherapie bekommt, gleichzeitig für Tierversuche verantwortlich sein, und das ist definitiv nicht wünschenswert."

    Mit seinen Kollegen aus den USA und aus Israel hat Dr. Franz-Josef Müller deshalb Proben von mehr als 100 Stammzelllinien aus aller Welt gesammelt, um sie mit einem computergestützten Programm zu untersuchen. Dabei machten sich die Forscher zu Nutze, dass jede Zelle im Körper ihre genetische Funktion übersetzt in eine Substanz, die messenger-RNA genannt wird:

    "Messenger-RNA kann man heutzutage technisch sehr effizient messen. Es ist so, dass wir für eine einzige Stammzell-Präparation zwischen 23.000 und 26.000 Datenpunkte generiert haben. Das wird dann in ein Fluoreszenz-Signal übersetzt und wird dann von einem Mikroskop ausgelesen."

    220 Proben haben Dr. Franz-Josef Müller und seine Kollegen untersucht. Bei jeder einzelnen gab es mindestens 23.000 Messpunkte. Gewaltige Datenmengen kamen so zustande.

    "Das müssen Sie sich vorstellen, Sie sitzen vor einem Excel mit 220 Spalten und ungefähr 23.000 Reihen. Mit diesen Datenmengen kommt man als normaler Mensch nicht mehr zurecht. Und da haben wir eben mit Kollegen zusammen gearbeitet aus der künstlichen Intelligenz-Forschung, aus der Krebsklassifikations-Forschung, und haben versucht, aus diesen gewaltigen Datenmengen wieder Sinn zu machen, so dass man das dann am Schluss in biologische Erkenntnisse umsetzen kann."

    Den Wissenschaftlern ist nach eigenen Angaben eine Typisierung von Stammzellen gelungen, so dass aus dem Bild, das die elektronische Auswertung der Messergebnisse der messenger-RNA liefert, die Eigenschaften der Stammzellen zuverlässig vorhergesagt werden können.

    "Zellfunktionen wie zum Beispiel: ich habe die Fähigkeit, mich in alles zu differenzieren, Zellfunktionen wie: man ist eine Vorläuferzelle für Nervenzellen, Zellfunktionen wie zum Beispiel: ich bilde gutes Bindegewebe."

    Die Wissenschaftler nennen ihr Modell PluriNet. Sie haben es auf einer Interplattform frei zugänglich gemacht. Damit wollen sie einen Anstoß für die internationale Forschung geben und hoffen, dass die Erkenntnisse schnell aufgenommen werden, damit möglichst bald sichere Stammzellen-Therapien möglich werden.