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Alles Geschmackssache?
Genetiker erforschen, warum wir mögen, was wir mögen

Fast jeder Mensch hat ein Lieblingsgericht, eine Leibspeise. Aber warum geht dem einen bei Bratkartoffeln das Herz auf, warum könnte der andere für Spaghetti Bolognese sterben? Alles Kultur, alles erlernt, sagen Geschmacksforscher. Genetiker von der Universität Triest haben nun untersucht, ob nicht auch die Gene unsere ganz speziellen Vorlieben beim Essen beeinflussen.

Von Stefanie Kara | 14.06.2016
    Thai Curry mit Kürbissen und grünen Bohnen auf einem Teller.
    Thai Curry mit Kürbissen und grünen Bohnen. (imago stock&people)
    Schon vor mehr als zweitausend Jahren brachten Karawanen auf der berühmten "Seidenstraße" waren aus Asien nach Europa: Seide, Porzellan, Jade und besonders Gewürze.
    "Der beste Ort, um Essen und Gewürze zu erforschen, wäre natürlich die Seidenstraße, dachten wir. Die Idee war, die Bevölkerung dort zu untersuchen, ihre Präferenzen für bestimmte Nahrungsmittel und auch ihre Geschmacks- und Geruchswahrnehmung."
    Nicola Pirastu ist Populationsgenetiker. Er erforscht, warum Menschen mögen, was sie mögen und was die Gene damit zu tun haben. Über die Seidenstraße wurden jahrhundertelang Zutaten und Rezepte ausgetauscht, aber kaum Gene. Die Esskultur in den Ländern Zentralasiens ist deshalb sehr ähnlich, das genetische Erbe dagegen nicht. Unterschiede in den Vorlieben für bestimmte Speisen sollten sich deshalb leichter auf Unterschiede im Erbgut zurückführen lassen. Nicola Pirastu und seine Kollegen von der Universität Triest befragten deshalb 1300 Menschen nach ihren Vorlieben, von Georgien bis nach Tadschikistan. Und sie nahmen Speichelproben, um das Erbgut zu analysieren. Würden sich Zusammenhänge zeigen zwischen Geschmack und Genom? Es war das erste Forschungsprojekt dieser Art überhaupt. Jetzt haben die Wissenschaftler das Ergebnis veröffentlicht:
    "Wir haben 15 Gene gefunden. Es werden natürlich mehr sein, aber wir haben erst mal 15 gefunden welche die Präferenzen der Menschen für bestimmte Speisen beeinflussen, für Brokkoli oder Schinken oder Eiscreme oder Kaffee."
    Gene spielen Rolle im Belohnungssystem
    Das widerspricht der klassischen Geschmacksforschung. Die geht davon aus, dass Vorlieben für bestimmte Speisen erlernt sind und nur ganz grundlegende Vorlieben vererbt werden: Die für Süßes und Fettiges, weil das auf nahrhafte Speisen hinweist. Und die Abneigung gegen Bitteres, weil das vor gefährlichen Speisen warnt: Die meisten Gifte schmecken bitter. Die Erkenntnisse von der Seidenstraße werfen ein neues Licht auf unsere Vorlieben.
    "Das bedeutet, dass unsere Präferenzen für bestimmte Speisen nicht nur ein Ergebnis unserer Kultur sind, sondern dass sie wahrscheinlich auch von unserer Biologie bestimmt werden. Dass wir sozusagen dazu geboren sind, bestimmte Speisen zu essen und andere nicht zu essen. Allerdings beeinflusst unsere Kultur natürlich, wie wir die Speisen zubereiten und welche Zutaten wir noch verwenden."
    Wie aber beeinflusst das Erbgut die Vorliebe für Brokkoli, Lammfleisch oder Pilze? Als sich die Forscher die Gene genauer ansahen, erlebten sie eine Überraschung.
    "Das Interessante ist, dass keines dieser Gene für Geschmacks- oder Geruchsrezeptoren zuständig ist. Sie haben also keinen Einfluss darauf, wie Geschmack und Geruch wahrgenommen werden, sondern sie beeinflussen, wie das Gehirn auf diese Reize reagiert."
    Einige der Gene spielen nämlich eine Rolle im Belohnungssystem, entdeckten Pirastu und seine Kollegen.
    "Eines dieser Gene wird im "Nucleus accumbens" aktiv, das ist der Teil des Gehirns, der uns Genuss empfinden lässt, wenn wir etwas Gutes essen. Unsere Hypothese ist deshalb, dass dieses Gen diese Reaktion irgendwie reguliert. Und wenn das stimmt, dann haben wir einen möglichen Ansatzpunkt für Medikamente, um stark übergewichtigen Menschen zu helfen, mehr Genuss beim Essen zu empfinden. Dann müssten sie weniger essen, um glücklich zu sein."
    Mit Umami auf Geschmacksdiät
    Abnehmen durch mehr Spaß am Essen? Das klingt paradox. Doch tatsächlich belegen andere Studien, dass Probanden weniger essen, wenn es ihnen besser schmeckt. Geschmacksforscher wie Per Møller von der Universität Kopenhagen empfehlen für die Geschmacksdiät besonders "Umami", den fünften Grundgeschmack neben süß, sauer, bitter und salzig. Er schmeckt herzhaft-fleischig. Und er entsteht unter anderem durch Glutamat. Das ist als Geschmacksverstärker zwar verteufelt, doch es kommt auch natürlich vor. Beispielsweise in Tomaten und Parmesan. Wer seine Pasta mit echten Tomaten und echtem Parmesan zubereite, sagt Møller, der esse davon weniger als von künstlich aromatisierten Fertignudeln. Da kann der Italiener Nicola Pirastu nur zustimmen. Aber wie hat ihm eigentlich das Essen auf der Seidenstraße geschmeckt?
    "Ich konnte nicht so viel davon essen. Ich war gerade krank und durfte überhaupt kein Fett essen. Aber wir waren ja die meiste Zeit in der Wüste, da gibt es kein Gemüse, und die meisten Speisen werden mit Hammelfett zubereitet. Deshalb habe ich vor allem Brot gegessen. Aber es sah sehr gut aus!"