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Alles Handarbeit

In den 70er-Jahren hat ein Wiesbadener Instrumentenbauer begonnen, die historische Harfe aus den Museen wieder in die Konzertsäle zu holen. Heute zählen die weltweit bekanntesten Harfenmusiker zu den Kunden von Rainer Thurau.

Von Klaus Lockschen |
    In der Fünf-Zimmer-Hochparterrewohnung von Rainer Thurau im belebten Wiesbadener Westend herrscht das organisierte Chaos. Auf rund 150 Quadratmetern stehen dicht an dicht Drehbänke, Bandsägen, Fräs-, Bohr-und Schleifmaschinen. An den Wänden hängen aufgereiht neben Plänen und Schablonen unzählige Raspeln, Zwingen, Hobel, Stechbeitel. Das gesamte Werkzeug-Einmaleins für Holz und Metall. Dazwischen, überall und in allen Stärken, lagert und duftet der Grundstoff der Harfe: Holz.

    Kaum jemand könnte besser seinem Enthusiasmus für das Instrument der Engel Ausdruck geben als Rainer Thurau. Mit seinen wallenden und weit über die Schultern reichenden, graumelierten Haaren sitzt der 62-Jährige in seiner Werkstatt engelsgleich hinter einer Barockharfe und spielt.

    Er ist Autodidakt. In den 70er-Jahren fertigt er auf seinem Berliner Schreibtisch die erste Harfe mit einer Black&Decker-Stichsäge, um damit in seiner Folkgruppe zu spielen. Mit Erfolg. Das Harfenfieber hat ihn von nun an gepackt:

    "Ich hatte den Ehrgeiz, dann mehr zu machen, also nicht nur für eine Berliner Folkszene zu arbeiten, sondern international was zu machen."

    "International was machen"
    Mit seinem Umzug nach Ulm Anfang der 80er arbeitet er sich intensiv in die Geschichte des Instruments ein und gründet ein Atelier zur Rekonstruktion historischer Harfen. Eine knifflige Materie: Im Gegensatz zu anderen Instrumenten sind alte Harfen ihrer hohen Seitenspannung wegen kaum noch vorhanden. Die Kraft auf das Holz zerreißt das Instrument. Hinzu kommt, dass Harfen in der Barockzeit vom Cembalo verdrängt werden und lange in Vergessenheit geraten:

    "Es gibt international Barockharfen maximal zehn Stück."

    Europaweit ist er durch die Museen gezogen, um die wenigen alten Original-Instrumente vorsichtig zu vermessen. Damals, noch ein No-name im Harfenbau, war das nicht einfach:

    "Ich musste da auf Knien hinrutschen und fragen, ob ich die Instrumente überhaupt anfassen darf."

    Pionierarbeit geleistet
    Und er durfte.

    "Zu dem damaligen Zeitpunkt haben die Leute das sehr bewundert, weil sie gesagt haben: Da ist wirklich einer, der sich bemüht, nach Gemälden zu arbeiten, nach musealen Vorbildern zu arbeiten soweit vorhanden. Das ist Pionierarbeit. Das ist so gewesen. Also es gab tatsächlich so eine Renaissance der Harfe. Und ich darf sagen: bevor ich da angefangen habe, haben die Leute in Deutschland keine Barock-, keine gotische Harfe, nix bekommen."

    Historische Gemälde abfotografiert
    In dem Zwei-Mann-Betrieb ist sein Mitarbeiter Martin Steinhauser gerade dabei, ein Ahornbrett mit der Maschine grob auszuhobeln, bevor es in Handarbeit mit daumengroßen Geigenbauerhobeln daran geht, das Holz vorsichtig dünnwandig zu machen und ihm eine Form wie ein kleines Boot zu geben. Daraus soll die Resonanzdecke einer Barockharfe entstehen, wie sie der Maler und Harfenbauer Dominico Zampiere 1619 mit großer Präzision auf Leinwand gemalt hat. Thurau hat das Gemälde in Versailles fotografiert, das Bild dann an die Wand projiziert und einen Bauplan gefertigt:

    "Also das war meine erste Barockharfe und damit hat also meine Barockharfenkarriere begonnen."

    Das Instrument ist bis heute bei ihm ein Renner, sagt er. Und gut 30 weitere historische Harfenmodelle stehen ebenfalls auf seinem Programm:

    "Und ich baue heute eigentlich international als einziger die ganzen 5.000 Jahre Geschichte. Also ich mache historische Harfen genauso wie moderne Konzertharfen."

    An die Konzertharfen hat er sich erst 1992 herangewagt und sich dazu einer Harfenbauerprüfung auf Meisterniveau gestellt:

    "Ich musste also die Begabtenprüfung machen, und jetzt bin ich mal wirklich stolz: Ich bin der einzige weltweit, der die überhaupt gemacht und bestanden hat. Das Spektakulärste zu Beginn war, dass meine erste Harfe sofort von den Wiener Symphonikern gekauft worden ist, und das war ja meine erste Konzertharfe."

    Wegen der Konzertharfe nach Wiesbaden
    Die Konzertharfe hat ihn auch von Ulm nach Wiesbaden gezogen, wo er 1993 die vor fast 100 Jahren gegründete und für ihre brillanten Instrumente bekannte Firma "Konzertharfenbau Josef Löffler & Sohn" übernommen hat, in deren Werkstatt er seither arbeitet.

    Die Fertigung der mannshohen Konzertharfen, die deutlich heller klingen als historische Harfen, ist enorm zeitaufwändig. Selbst die aufwändige Halbtonmechanik aus Messing, die aus vielen 100 Einzelteilchen besteht, wird in der Thurau´schen Manufaktur gefertigt.

    "Wir machen hier alles selber. Geben Sie uns einen Baumstamm und geben sie uns ein paar Messingplatten und wir bauen ihnen daraus eine moderne Konzertharfe."

    Alles ist Handarbeit: "Wir brauchen für eine Harfe 1.200 Stunden."

    Harfen kosten ab 60.000 Euro
    Das hat seinen Preis. Unter 60.000 Euro ist in der Wiesbadener Manufaktur nichts zu machen. Die historischen Harfennachbildungen starten zum Teil deutlich niedriger. Etwa ab 10.000, 15.000 Euro.

    Für den Zwei-Mann-Betrieb ist eine Konzertharfe pro Jahr das Maximum. Zumal fünf bis zehn historische Instrumente ebenfalls jährlich die Manufaktur verlassen sollen. Und auch Restaurierungen binden viel Arbeitskraft:

    "Ich hab´ halt auch entsprechende Wartezeit: Bei mir müssen die Leute halt drei Jahre warten, bis sie ihr Instrument kriegen."

    Kundschaft zählt zur Crème de la Crème der Harfenmusik
    Seine Kundschaft ist die Crème de la Crème der Harfenmusik. Dazu gehören der Brite Andrew Lawrence-King, einer der weltweit berühmtesten Barockharfenisten, die Harfenistin der Mailänder Scala, oder Arianna Savall, eine für Alte Musik bekannte spanische Künstlerin. In seinem kleinen Flur pflegt Rainer Thurau seine Galerie. Vollgehängt mit Bildern, die Widmungen tragen. Ein Lob der Kunden für herausragende Instrumente.