Freitag, 19. April 2024

Archiv


Alles im Griff

Die industrielle Produktion lebt von definierten Prozessen. Immer wiederkehrende Abläufe beherrschen den Wirtschaftskreislauf. Wie ein Teil an das Fließband kommt und verarbeitet wird, wie ein Produkt den Weg zum Verbraucher findet, all das ist in Unternehmen klar geregelt. Aber gilt das auch für Verwaltungsprozesse? Das Ausfüllen eines Formulars, die Bewilligung eines Kredits, der Antrag auf einen Ausweis - unsichtbare Vorgänge, die unabdingbar mit der Wertschöpfung eines Unternehmens verbunden sind. In den Prozessen steckt bares Geld, doch bleibt es unsichtbar, so lange sie nicht als feste Größen betrachtet werden, die man beeinflussen kann.

Von Detlev Karg | 29.08.2004
    Derzeit ändert sich dieser eher intuitive und unbewusste Umgang mit Prozessen. Abläufe werden bewusst gemacht, Abteilungsdenken bröckelt. Immer mehr Firmen und Behörden schreiben sich darum Prozessmanagement auf ihre Fahnen. Andere arbeiten freilich schon immer an der Verbesserung ihrer Arbeitsabläufe. Beispiel Ikea. Mit einer Preisoffensive startet das schwedische Möbelhaus in den Herbst. Verglichen mit anderen Anbietern ist Ikea schon längst nicht mehr billig, die Preise müssen also runter. Jeder Mitarbeiter ist aufgefordert, die Prozesse zu verbessern. Schon immer sei dies Teil der Unternehmenskultur, heißt es bei Ikea Deutschland. Deren Chef, Werner Weber:

    Wie schaffen wir die Preisinitiative? Es sind eigentlich unsere, wenn man so will, altbewährten Rezepte - wer sich im Handel ein bisschen auskennt weiß, dass ein enorm hoher Anteil der Kosten im Bereich Distribution liegt, und Logistik. Hier haben wir die letzten Jahre deutliche Effektivitätszuwächse in unserer kompletten Logistik gehabt, und haben enorm in Technik investiert, damit der Kunde sich mittels Technik und neuer Systeme auch bei Kassensystemen, bei Preisabfragen und so weiter und so fort stärker selbst orientieren kann, unabhängig von unseren Mitarbeitern.

    Prozessoptimierung kann so einfach sein: Bei Ikea fand ein Mitarbeiter heraus, dass der Schutzkarton für ein Sofa nur 3 cm kürzer sein muss, so dass 3 Sofas mehr in einen Container passen. 30 Euro Ersparnis pro Sofa gehen direkt an den Verbraucher.

    Wird Mitdenken in der Unternehmenskultur nicht gelebt, muss das geändert werden. Wie ernst Unternehmen und Behörden diesen Gedanken heute nehmen, zeigt der Erfolg der IDS Scheer AG aus Saarbrücken, 1984 als Spin-off der dortigen Universität ausgegründet. Wenn es um Prozessmanagment geht, steht IDS dafür als Marke ebenso wie Tempo für Taschentücher oder Tesa fürs Klebeband. In den Zeiten der allgemeinen Börsen- und Wirtschaftskrise wuchs IDS kontinuierlich. Seit der Listung am Neuen Markt im Jahr 1999 verdoppelte sich die Zahl der Mitarbeiter auf heute 2000. Wachstum also auch im Technologiebereich gegen den Trend, das beruht auf dem Grundgedanken der Beratungsgesellschaft: Unternehmenserfolg ist nur möglich mit effizientem Prozessmanagement. Dafür erhielt der Firmengründer Professor Wilhelm August Scheer 2003 den Philip-Morris-Forschungspreis. Wolfram Jost ist Vorstand bei der IDS Scheer AG und zuständig für die Softwareprodukte.

    Jedes Unternehmen hat eine Entwicklung und jedes Unternehmen ist in einen gewissen Kontext eingebettet. Es gibt Unternehmen, die sind in einer Wachstumsphase, es gibt Unternehmen, die sind in einer Restrukturierungsphase, und es hat sich herausgestellt, dass das Management von Geschäftsprozesse eigentlich immer aktuell ist, denn das Unternehmen ändert sich kontinuierlich und diese Änderung in den Geschäftsprozessen muss man nachvollziehen und wenn man das nicht hat, die Prozesse folgen nicht dem Wandel des Unternehmens, dann kommt man in eben diese Schieflage und es gibt nun einmal kein Unternehmen, das keine Prozesse hat, unabhängig von der Größe, unabhängig von der Branche.
    Bricht man diesen Gedanken herunter, bleibt die Erkenntnis, dass ein Unternehmen in seinem Innersten aus Prozessen besteht. Sie bestimmen, wie der Laden läuft, wie Geschäfte gemacht werden. Theorien über die Organisation von Arbeit gibt es seit den 50er Jahren, doch blieben sie oft im Elfenbeinturm. Der Druck auf die Prozesse entstand erst seit den 90er Jahren: Globalisierung, Privatisierung und Internet seien hier als Stichworte genannt, die Unternehmen zum Umdenken brachten. Lief etwa der Betrieb des Staatsmonopolisten Deutsche Bundespost von alleine, so müssen heute die Nachfolger Deutsche Telekom und Deutsche Post mit knappen Ressourcen zurechtkommen und scharfem Wettbewerb. Das gilt für alle Industrien. Beispiel deutsche Bankenbranche: Hier wurde stets gut verdient, doch heute machen ausländische Banken den deutschen Banken das Leben auf dem Heimatmarkt schwer, Fusionen ließen zudem die deutschen Banken in ihrer Bedeutung schrumpfen im internationalen Vergleich. Prozessmanagement ist gefordert, sagt Professor Thomas Allweyer von der Fachhochschule Kaiserslautern:

    Bisher hat man sich keinerlei Gedanken darüber gemacht, was kostet es beispielsweise, einen Kredit zu vergeben? Oder: Was kostet es, ein Konto zu eröffnen, oder, was kostet es, eine Überweisung durchzuführen. Da hat man beispielsweise keine Übersicht über die Kosten gehabt, und jetzt wollen die Banken Kosten senken, das heißt, jetzt müssen sie sich mal ansehen, was sind die Produkte - in Anführungszeichen - die sie herstellen, was sind die Leistungen, die sie erbringen, und wie sehen die Prozesse dazu aus?

    Wie ihre Prozesse aussehen, das erarbeiten viele Unternehmen derzeit. In der Kundenliste der IDS Scheer stehen der Bayerische Rundfunk ebenso wie Henkel und Nestle bis hin zur West LB. Sie holen sich Berater ins Haus. In Workshops wird dann mit den Mitarbeitern geklärt, wer alles an einem Vorgang beteiligt ist. Da geht es ans Eingemachte, die Abteilungen.

    Abteilungen bearbeiten immer ein Stückchen des Arbeitsprozesses: Der Außendienst gewinnt Kunden, der Einkauf bestellt Material, das Rechnungswesen treibt die Gelder ein. Und alle Abteilungen haben eine Leitung, darüber der Vorstand. Wolfram Jost:

    Dieses Wort "Abteilung" ist ja an sich schon ein schwieriges Wort, es kommt ja von ab-teilen. Und wenn wir jetzt über Prozesse reden, wollen wir ja nicht ab-teilen, sondern wir wollen integrieren. Der Prozess hat nun mal die unangenehme Eigenschaft, dass er quer zu diesen Abteilungen läuft. Und das ist auch der Grund, warum sich die Unternehmen immer noch ein bisschen schwer tun, weil eben der Prozessgedanke quer zu diesem Abteilungsgedanken ist und deswegen auch ein Umdenken der Mitarbeiter in den Abteilungen erfordert. Es darf eben dem einen Mitarbeiter nicht egal sein, ob sein Dokument in der nächsten Abteilung angekommen ist, ob der das versteht, und ob der das weiterbearbeiten kann, genau das ist der Punkt.

    Der Prozess, der zum Produkt oder zur Dienstleistung führt ist für alle nur zum Teil sichtbar. Wer ist eigentlich in der Abteilung X für was zuständig und warum dauert die Bearbeitung der Bestellung im Einkauf immer so lange? Vielleicht weil sie über sechs Schreibtische wandert, während die Produktion auf dem Schlauch steht? Das hat dann auch Auswirkungen nach außen, Konsequenzen für Verbraucher und Kunden. Jeder hat das schon einmal erlebt:

    Sie versuchen einen neuen TDSL-Anschluss zu bekommen und sie bestellen sich bei Ihrem Telekommunikationsprovider einen neuen Anschluss. Der Mann sagt Ihnen am Telefon, kein Problem, den haben Sie in zwei Wochen. In zwei Wochen ruft er an und sagt, das schaffen wir nicht, es werden vielleicht auch drei Wochen. Dann kommt der erste Mitarbeiter vor Ort und analysiert das Ganze und sagt nach einer Woche nicht, aber in zwei Wochen. Das heißt also: Das ist das Ergebnis eines schlechten Prozesses. Sie haben diesen Anschluss nicht in zwei Wochen, sie haben ihn in zwei Monaten! Und das ist ärgerlich.

    Dabei kann es freilich auch Ärgernisse geben, wenn trotz kürzester Prozesse Abläufe sehr lange dauern. Warum dauert eigentlich eine Banküberweisung in Zeiten des Internet drei bis vier Werktage?

    Das ist ein Witz! Wobei: Die eigentlichen Prozesse sind hier wesentlich kürzer. Also, rein informationstechnisch ist das in der Bank, die Sie beauftragen eher im Sekundenbereich, und es spricht aus technischer und aus Prozesssicht nichts dagegen, dass die entsprechende Überweisung in Minuten getätigt ist. Wenn Die Banken das wollten, konnten sie das heute auch wesentlich schneller tun.

    So urteilt Professor Allweyer. Die Geschäftspolitik der Banken stehe gegen eine Überweisungsdauer in Echtzeit, lautet sein Fazit, selbst bei schneller Abwicklung im Hintergrund. Banken arbeiten eben mit Kapital...

    Die meisten Unternehmen und Behörden sind freilich daran interessiert, durch Prozessmanagement schneller zu werden.

    Wie etwa die Bundeswehr. Dort läuft derzeit eines der größten Projekte im Bereich der Prozessoptimierung überhaupt. Gleichzeitig ist die Bundeswehr die erste Armee weltweit, die alle ihre Abläufe, auch für alle Teilstreitkräfte, einheitlich definiert. Alles soll auf den Prüfstand. Denn ohne die Prozesse zu verbessern, lassen sich die Sparvorgaben nicht umsetzen. Und eine kaputtgesparte Armee ist keine mehr. Auf der Hardthöhe kümmert sich der Brigadegeneral Hans Herbert Schulz um die Prozessverbesserung:

    Heute kommt es darauf an, etwa den Prozess eines Soldaten im Einsatz zu optimieren. Wir müssen End-to-End-Beziehungen denken, das heißt, den Gesamtprozess betrachten, von der Beschaffung eines Rüstungsgutes über die Truppenteile die beteiligt sind bis zum Soldaten.
    End-to-End-Beziehung, Lean Management. Unter diesen Vorzeichen muss die Bundeswehr künftig funktionieren. Ungewohnt für eine Armee, die sich einem ohnehin äußerst radikalen Umbau ausgesetzt sieht. Das Denken in Prozessen soll dabei helfen. Bis 2008 sollen die verbesserten Abläufe definiert sein. Das Ganze ist Teil eines Gesamtprojekts, die über 1200 technischen Einzelsysteme der Bundeswehr, die teilweise nicht miteinander kompatibel sind, zu vereinheitlichen.

    Schnell kommt da der Gedanke an früheres Missmanagement auf, ebenso wie bei Unternehmen. Doch stimmt dies so nicht. General Schulz blickt zurück:

    Wenn man die Funktion "Materialbewirtschaftung" sich überlegt, ein Depot, so war es sicherlich für einen guten Depotkommandanten ein hohes Ziel, die Lagerbestände zu 100 Prozent gefüllt zu haben, was dabei nicht betrachtet wurde, ist die Frage, ob dabei Ersatzteile waren, die 20 Jahre überhaupt nicht gebraucht wurden. Die eigentlich nur für den großen Krieg in Deutschland mal beschafft worden sind. Und dann 20 Jahre bloß rumliegen, das können wir uns heutzutage gar nicht leisten.

    Die Umstände bestimmen eben die Prozesse. Auch die Banken verdienten einst automatisch gutes Geld, etwa durch die Sonderkonjunktur der Deutschen Einheit. Zur gleichen Zeit aber schrumpften sich die europäischen Mitbewerber aber schon gesund. So lange es gut läuft, herrscht kein Handlungsdruck, das kennt jeder von sich selbst. Unternehmen verhalten sich kaum anders, selten agieren sie auch in guten Zeiten vorausschauend prozessorientiert. Wie etwa die AXA Konzern AG. Die deutsche Holdinggesellschaft mit Sitz in Köln gehört zum gleichnamigen französischen Versicherer in Paris. Die Abteilung Anlagenmanagement verwaltet alle investierten Gelder der deutschen AXA-Töchter, derzeit immerhin 35 Milliarden Euro. Klar, dass das möglichst optimal laufen muss. Die Prozesse, die die Mitarbeiter "im Bauch" hatten, wurden deshalb dokumentiert und erarbeitet. Ulrich Röcker leitet die Systembetreuung des Anlagenmangements der AXA Konzern AG in Köln:

    Nehmen wir mal als beispielhaften Prozess die Anschaffung einer Aktie. Das heißt, wir haben dort einen Portfoliomanager, der kauft eine Aktie, der stellt für dieses Geschäft einen Orderzettel aus, diesen Zettel gibt er meiner Kollegin die für die Abwicklung zuständig ist, diese gibt es im SAP-System ein, sie gibt die Stammdaten ein, sie prüft ob das auch zu einem marktgerechten Kurs abgeschlossen ist, sie kümmert sich um das Meldewesen für Versicherungsunternehmen, und die entsprechenden Freigaben werden dann nach dem Sechsaugenprinzip durchgeführt, so dass dieses Geschäft dann auch gebucht werden kann.

    Das ist das, was in der Abteilung Anlagenmanagement passiert. Der Prozess geht aber weiter:

    An der Stelle haben wir eine Schnittstelle, das heißt, nachdem das Geschäft freigegeben ist, verlässt es den Bereich der Abwicklung, es wird dann in der Buchhaltung gebucht. Diese Sachen werden im Rahmen des Tagesabschlusses oder Monatsabschlusses abgestimmt. Dann gibt es wieder Rückschleifen, dass jetzt eine Depotabrechnung kommt von der Bank, und am Ende des Monats haben wir dann eine Bewertung, so dass wir über diesen Prozess zu einer Prozesslandkarte schließlich gekommen sind, die die unterschiedlichen Aktivitäten deutlich macht, die wir in dem Bereich Finanzen und Kapitalanlagen tun.

    Eine Prozesslandkarte am Computer erstellen, das ist ein Hilfsmittel, um sich einen Prozess grafisch klarzumachen. Wie auf einer Landkarte lässt sich so der Weg eines Arbeitsablaufes über seine Stationen verfolgen. Firmen wie die IDS haben dazu eigene Programme entwickelt. Der Vorteil: Schon nach kurzer Zeit beherrschen die Kunden ein solches Programm, das einem Malprogramm ein wenig ähnelt. Wolfram Jost:

    Mit unserer Software kann man eben Prozesse anlegen, man kann Prozesse optimieren, da gibt es eine grafische Beschreibung, das sind Symbole, die haben eine Farbe, rot, grün, blau oder gelb, und diese Symbole stehen dann für eine Aktivität, für einen Mitarbeiter, für ein EDV-System, und mit diesen Elementen kann man dann den Prozess beschreiben, man kann ihn dann mit dem Unternehmen abstimmen, dann kann man Informationen hinzufügen, wie lange dauert die Funktion, welche Kosten verursacht sie, wie viele Mitarbeiter arbeiten daran, wie oft wird sie durchgeführt? Und diese Informationen werden von dem System dann verwaltet, die können jederzeit wieder aufgerufen werden und sie können analysiert werden.

    So lässt sich, ganz ohne Programmierkenntnisse, ein Ablauf am Bildschirm ändern und per Mausklick wird klar, wer wie betroffen ist. Was kommt dabei heraus? Stimmen aus der Praxis:

    Ich stelle mir den Instandsetzungsfeldwebel bei der Diagnose eines Schadens vor, mit einem Laptop, der drahtlos Zugriff zum Gesamtsystem hat und dann aber auch schon weiß, in dem Moment wo er es eingibt, welche Ersatzteile vorhanden sind, oder ob beispielsweise die Beschaffung oder die Lieferung von Ersatzteilen noch längere Zeit dauern wird.

    hofft General Schulz, und:

    Wir haben auch vor Augen die Absicht des Ministers, den Umfang des Zivilpersonals anzupassen. Alles das geht nur mit Prozessorientierung, indem wir unsere Abläufe so optimieren, dass wir auf der einen Seite mit weniger Personal auskommen und auf der anderen Seite das wenige Personal gezielt und besser einsetzen.

    Wobei er freilich einschränkt:

    Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, als sei das Hauptziel das Freisetzen von Personal, das würde ja automatisch dazu führen, dass wir Ängste erzeugen.

    Beim Anlagenmanagement der AXA hat Ulrich Röcker bereits erste Ziele erreicht:

    Der Mehrwert ist in vielerlei Hinsicht. Wir werden ja auch von Wirtschaftsprüfern, von der Revision, von der Bundesanstalt für Versicherungsdienstleistungen geprüft, und die erste Frage, die wir natürlich beantworten müssen: 'Können wir mal eine Arbeitsplatzbeschreibung haben, eine Stellenbeschreibung, können wir mal eine Prozessbeschreibung haben?' Weil es in der Praxis auf Papier dokumentiert war, war es kaum gedruckt schon wieder veraltet. Jetzt habe ich die Möglichkeit, den Suchenden den Intranetzugang anzubieten, als erste Informationsquelle und den auch Wirtschaftsprüfern oder einer Aufsichtsbehörde zur Verfügung stellen, um im ersten Schritt das auch für uns komfortabler zu machen.

    Direkter Nutzen: Der Jahresabschluss steht 3 Wochen früher und der Halbjahresabschluss nach 6 statt 8 Werktagen fest. Bares Geld für ein Unternehmen, denn die Mitarbeiter können sich eher wieder um ihre eigentlichen Aufgaben kümmern.

    Von der Öffentlichkeit meist unbemerkt, sind Finanzdienstleister auch von anderer Seite unter Druck geraten. Thomas Allweyer:

    Ein ganz aktueller Grund ist, dass Unternehmen zunehmend von gesetzlicher Seite gezwungen werden, ihre Prozesse sauber zu dokumentieren. Es gibt beispielsweise im Bereich der Finanzdienstleistungen Basel II, das ist eine Richtlinie für Banken, wie sie beispielsweise bei der Kreditvergabe vorgehen müssen. Sie müssen dazu genau dokumentieren, wie die Prüfungen, wenn sie einen Kredit vergeben, ablaufen müssen. Und umgekehrt müssen sie auch sehen, um die Kreditwürdigkeit eines Unternehmen beurteilen zu können, ob dieses Unternehmen seine Abläufe im Management und Finanzbereich sauber gegliedert hat.
    Die Unternehmen müssen also ihr Innerstes nach außen kehren. Schuld sind die jüngsten Finanzskandale bei Enron und anderen Konzernen, die zu verschärften Gesetzen geführt haben. In den USA wurde als Konsequenz der Sarbanes Oxley Act verabschiedet mit strengsten Kontrollen und internen Dokumentationen. Dieses neues Gesetz betrifft auch nichtamerikanische Unternehmen, sobald sie in den USA tätig werden wollen.

    Die Credit Suisse in Zürich etwa praktiziert bereits seit sechs Jahren, und zwar extrem genau. Jeder Prozessschritt wird in seiner Länge überwacht. Hakt es irgendwo, schaltet sich der Prozessmanager ein. Das ist eine spezielle Software, die den jeweils Prozessverantwortlichen auf seinem Computer informiert. So wird jeder Verzögerung direkt nachgeforscht. Kaum ein Unternehmen der Branche ist derzeit so weit.

    Ohne die Mitarbeiter freilich funktioniert die optimierte Welt am Reißbrett nicht.

    Es kommt eben auf das Gesamtergebnis an, und die Mitarbeiter dazu zu erziehen, diese Gesamtsichtweise zu bekommen, zu wissen, was ist ein Prozess von Anfang bis Ende, welche anderen Kollegen sind da beteiligt und wie können wir das insgesamt verbessern, das ist eher eine Aufgabe, die bei der Geisteshaltung anfängt, diese Sensibilität der Mitarbeiter für den Prozessgedanken noch zu stärken.

    sagt Wolfram Jost. Prozessmanagement lässt sich nicht einführen und aufpfropfen. Zu diesem Schluss kommt auch der Forscher Thomas Allweyer:

    Das bedeutet, dass Sie ihre Prozesse ständig weiterentwickeln müssen, damit Sie nicht in zwei, drei Jahren wieder da sitzen und feststellen: Unsere Prozesse sind sehr ineffizient, weil sich die Welt schon wieder weitergedreht hat und sie einfach nicht mehr an die neuen Rahmenbedingungen angepasst sind. Und das bedeutet: Prozessmanagement ist eigentlich ein Kreislauf. Sprich: von strategischen Betrachtungen, Ziele - die können sich ja auch ändern - über die Gestaltung neuer Prozesse, dann aber auch eine Prozessüberwachung, ein Prozesscontrolling, um festzustellen, was wieder geändert werden muss und dann geht das Spiel wieder von vorne los.

    Dabei müssen die Mitarbeiter wissen, worum es geht. Denn ohne sie lässt sich ein Hauptproblem in Organisationen, gleich welcher Art, nicht überwinden: Der innere Widerstand gegen Veränderungen.

    Viele Leute wollen natürlich nicht, dass sich etwas ändert. Abläufe werden anders, Verfahren sind anders, am Ende wird natürlich so eine Vorgehensweise die wir haben, auch die Organisation verändern. Als Folge davon irgendwann auch die Aufbauorganisation. Das ist ja auch die große Hoffnung die wir haben: Dass wir auf diese Weise Personal freisetzen für Kernaufgaben.

    Bei der Bundeswehr geht es darum, knappes Personal für den Einsatz, heutzutage weltweit, bereitzustellen. In der Industrie mag es eher darum gehen, etwa den Einkauf zu optimieren, das Hin und Her der Faxe zu beenden und den täglichen Papierkrieg. So manche Bank braucht vielleicht weniger Verwaltung, dann kann sie Kredite so preiswert anbieten wie die Konkurrenz. Alle erhoffen sich einen Mehrwert aus optimierten Prozessen. Vor ihnen liegt akribische Detailarbeit. Und die Konsequenz, einen immateriellen Vorgang gleichsam immer stärker zu industrialisieren, sieht Wolfram Jost voraus:

    Diese Industrialisierung von Verwaltungsprozessen bedeutet, dass man auch Verwaltungsprozesse immer stärker strukturiert, sie immer stärker automatisiert und so dieses Kreative in diesen Prozessen, was ja nicht aus Kreativität kommt, weil es ja Verwaltungsprozesse sind, das man dieses aus den Prozessen herausnimmt, und so sehen wir zukünftig, dass die Verwaltungsprozesse wie die Industrieprozesse immer mehr automatisiert werden, und immer mehr diesen Skaleneffekt erzeugen.

    Skaleneffekte, Prozesse vom Fließband, standardisierte Leistungen: Warum nicht einen Personalausweis in einer Woche statt in sechs erhalten, warum auf ein Auto ein halbes Jahr warten? Nach innen und nach außen wird sich die Wirtschaft verändern. Auch die Menschen werden umdenken müssen, Je weniger sie dazu bereit sind, desto eher werden sie aus dem Prozess ausgeschlossen, drohen Entlassungen. Doch grau ist alle Theorie, auf das Komma genau planbar ist der Mehrwert nicht, auch wenn Prozesse industriell planbar sein werden. General Hans Herbert Schulz:

    Wir haben keine Zielvorgabe, dass wir zehn Prozent des Personals oder 15 Prozent der Kosten dabei einzusparen haben. Wir haben zu optimieren.

    Ikea sieht das anders. Konkret runter sollten die Preise. Beim Sofa war es die optimierte Transportverpackung, eine bundesweite Anzeigenkampagne hakt jetzt Produkt für Produkt ab: Der Preis für einen Schrank sinkt um 20 Euro, die Reihe der Möbel im Hintergrund ist lang. Und der Text in der Anzeige beschreibt nichts anderes als erfolgreiches Prozessmanagement.

    Wir haben unterschiedlichste Dinge angepackt. Wir probierten zum Beispiel ständig neue Materialien aus, die bei gleicher oder sogar verbesserter Qualität preiswerter in der Herstellung sind. Wir kauften in noch größeren Mengen ein. Wir arbeiteten daran, immer wieder Lieferwege zu verkürzen oder die Lagerkosten zu verringern.