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Alles ist gut

Die Universitätsbibliothek Konstanz kennt fast keinen Feierabend. Dort kann man rund um die Uhr lesen und recherchieren, und zwar schon seit 2001, Montags bis Freitags 24 Stunden am Tag, am Wochenende von 9 bis 23 Uhr. Soviel Service will belohnt werden, und darum wird das Haus nun Bibliothek des Jahres.

Von Thomas Wagner | 07.07.2010
    "Ja, wir stehen hier im Innenhof des alten Konstanzer Schlachthofgebäudes. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz, ist über 130 Jahre alt und wurde in den 90er Jahren zur Bibliothek umgebaut."

    Unterwegs mit Bibliotheksleiter Bernd Hannemann ins Innere des klassizistischen Gebäudes am Ufer des Konstanzer Seerheins. In ausreichend Abstand zueinander sind die Regale mit den über 80 000 Büchern angeordnet; dazwischen Tische mit PC-Arbeitsplätzen. Das Ganze erstreckt sich über drei Stockwerke hinweg.

    "Wir stehen hier übrigens in der alten Schlachthalle, die damals so hoch ausgebildet wurde, um die Kühe noch in den Flaschenzügen hoch zu bekommen, um sie denn weiter zu verarbeiten."

    Die Geschichte des Gebäudes sorgt heute dafür, dass es nirgendwo eng wird - ein wichtiges Kriterium für die jüngste Auszeichnung zur besten Hochschulbibliothek Deutschlands. So alt das Gebäude auch sein mag, so modern ist die Technik: Jedes Buch verfügt über einen Minichip, der die ansonsten üblichen Strichcodes abgelöst hat. Mithilfe dieser Chips können Bücher an den Selbstverbuchungsterminals in wenigen Augenblicken ausgeliehen werden. Warteschlangen - Fehlanzeige!

    "Ich nehme meinen Leseausweis, übrigens auch eine Chipkarte, lege sie auf ein Lesefeld. Dann werde ich mit meinem Ausleihkonto erkannt."

    Bernd Hahnemann hat ein Buch mitgebracht, legt es in der gleichen Sekunde auf eine leere Fläche. Für den Nutzer völlig unbemerkt, funkt der Chip im Inneren seine Kennung an einen Empfänger.

    "Ich lasse mir noch einen Quittungsstreifen geben - ratsch - und damit habe ich das Buch verbucht. Die Diebstahlsicherung ist deaktiviert. Und ich kann damit rausgehen."

    Zwischen den Regalen stoßen die Besucher immer wieder auf große Tische, auf denen PCs stehen. 120 Arbeitsplätze stehen den Nutzern der Bibliothek zur Verfügung. An einem der Terminals sitzt ein BWL-Student.

    "Ich lerne auf meine Ethikklausur nachher. Also einerseits habe ich ein Buch ausgeliehen und habe gleichzeitig Wikipedia aufgemacht, damit ich irgendwelche Sachen nachschlagen kann, die ich nicht weiß. Die Rechner sind eigentlich immer frei. Bis auf den Punkt, dass es im Sommer ein bisschen zu warm ist, ist ansonsten alles gut."

    Dabei bieten die Terminals in der Bibliothek der Hochschule für Wirtschaft, Technik und Gesellschaft Konstanz wesentlich mehr Möglichkeiten - beispielsweise den Zugriff auf Tausende von E-books und rund 20.000 Fachzeitschriften, die die HTWG als E-Paper abonniert hat. Bernd Hannemann:

    "Wir waren eine der ersten Hochschulbibliotheken überhaupt, die in größerem Umfang E-Book-Pakete eingekauft hat und dem Leser präsentiert hat. Die anderen Bibliotheken sind da teilweise erst nachgezogen. Und wir versuchen hier, auch die neuen Entwicklungen des Informationsmarktes sehr zeitnah und informationsorientiert abzubilden."

    Von den Terminals können die Nutzer nicht nur Einblick in E-Books und elektronische Ausgaben von Fachzeitschriften nehmen, sondern sich mit wenigen Mausklicks einzelne Artikel an den Bildschirm holen. Nur: Viele Studierende, so die Erfahrung von Bernd Hannemann, kennen diese Möglichkeiten noch gar nicht. Nicht jeder, der ein Digital Native sein will, ist auch einer:

    "Digital Native ist ein schönes Wort. Das beschränkt sich leider oft nur auf die Sucheingabe im Google-Schlitz. Und damit hört's dann auch auf. Es ist immer noch ein Irrtum, dass alle notwendigen Informationen im Internet verfügbar sind. Wir haben's gerade gesehen: Der Student recherchiert bei Wikipedia etwas für den Einstieg, aber bei Weitem nicht ausreichend für die Erstellung einer wissenschaftlichen Arbeit."

    Deshalb tut Beratung not - über das Angebot der E-Books, der Fachzeitschriften in elektronischer Form, über die Recherchemöglichkeiten. Dies alles geschieht im ehemaligen Schlachthofgebäude, während in direkter Nachbarschaft der Konstanzer Seerhein vorbeiplätschert. Ob das fürs Lernen in der Bibliothek gut ist oder nicht, beurteilen die Studierenden unterschiedlich:

    "Also ich finde, man kann gut lernen. Und man kann zwischendrin in der Lernpause einfach mal raus in den See, eine Runde baden, wieder reinkommen. Also man hat mehr Entspannung zwischendrin, als wenn man an der Uni oben sitzt, wo man nur Beton um sich rum hat."

    "Man hat den See vor der Nase: Schönes Wetter, blauer Himmel - da würde man natürlich lieber draußen liegen."

    Auch die exponierte Lage am Wasser, so heißt es in der Begründung der jüngsten Auszeichnung, habe bei dem Ranking auf dem Spitzenplatz mitgespielt. Derweil macht sich Büchereichef Bernd Hannemann bereits Gedanken, wie die Hochschulbibliothek der Zukunft aussehen wird. Seine Prognose: Der Bestand an E-Books wird weiter wachsen, der an Gedrucktem geht zurück.

    " Das heißt: Die Bibliothek nimmt als Lern- und Arbeitsort eine immer größere Bedeutung ein. Vielleicht müssen wir ja auch Dummy-Bücher aufstellen, wegen der Atmosphäre, so wie in Möbelgeschäften. Aber die Erschließung der elektronischen Bestände und die Vermittlung wird eine immer größere Rolle einnehmen."